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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Kupferstich und die vervielfältigenden Künste der Neuzeit.

schaftsmalcrei, hatten niemals verlernt, flüchtige Eindrücke mit der Nadel fest¬
zuhalten, und in England war die Radirung schon seit dem Anfange der sech¬
ziger Jahre eine Art Sport geworden, an dem sich auch Dilettanten beteiligten.
Dort wie hier gewannen diese Bestrebungen Mittelpunkte in Vereinigungen von
Künstlern und Kunstfreunden, die einerseits die Malerradirnng übten und aus¬
bildeten, anderseits die Erzeugnisse derselben selbst ankauften oder unter das
Publikum brachten. In neuester Zeit sind auch in Deutschland ähnliche Ver¬
eine gegründet worden: der Düsseldorfer Radirklub, die Gesellschaft für Radir-
kunst in Weimar und der Verein für Originalradirung in Berlin. Dieses Ein¬
greifen der Maler in ein Gebiet der Technik, das schließlich über das Stadium
geistreicher Improvisation und launenhafter Willkür zu einem mannigfach ge¬
gliederten Organismus, welcher Studium und Lehre erforderte, hinausgediehen
war, diente nur dazu, die berufsmäßigen Radirer, deren Darstellungsmittel sich
im Verein mit einer raffinirten Druckmethode immer weiter entwickelt hatten,
zu größern Anstrengungen anzuspornen. Aus den Blättern für Galeriewerke,
aus den Illustrationen für sogenannte Prachtwerke erhoben sie sich zu der Be¬
arbeitung umfangreicher Platten, deren Abdrücke für den Wandschmuck bestimmt
waren und den Kupferstich aus seiner letzten, nur noch mühsam behaupteten
Stellung zu vertreiben suchten. Die ersten Wagnisse dieser Art wurden von
französischen Künstlern unternommen, deren Verleger es nicht unterließen, dem
Wettlauf der Nadiruug mit dem Kupferstich noch einige stark gewürzte Zu¬
thaten zu verleihen. Sie spekulirten auf die Leidenschaft eifersüchtiger Sammler
und forderten unverschämt hohe Preise unter dem Vorwande, daß nach einer
in Ziffern begrenzten Zahl von Abzügen die Platte zerstört und jedem der
drei- oder vierhundert Abnehmer ein Stückchen der Platte eingehändigt werden
würde. Soviel wir wissen, ist dieser schlau auf die Sammelwut berechnete Hum¬
bug, der doch keinen vernünftigen Menschen über den wirklichen Wert eines
radirten oder gestochenen Blattes täuschen kann, zuerst bei der Nadiruug Ch.
Waltners nach Rembrandts "Nachtwache", beiläufig bemerkt, einer Nachbildung,
die von dem Originale eine ganz unrichtige Vorstellung giebt, in Szene gesetzt,
seitdem aber, wie alle Narrheiten, häufig wiederholt worden. Die materiellen
Erfolge, welche die alten Meistern nachschaffenden Radirer mit ihren großen
Platten errangen, ließen wiederum die Malerradirer nicht schlafen. Sie griffen
nach ebenso großen und noch größern Kupferplatten und bedeckten sie meist
mit landschaftlichen Ansichten und Architekturstttcken, deren Ausführung sich na¬
türlich mit dekorativen, sozusagen summarischen Andentungen begnügen mußte,
wenn nicht abermals ein Mißverhältnis zwischen aufgewandter Arbeitskraft und
demi daraus zu erzielenden Gewinn entstehen sollte. Hatte sich die Radirung
schon in der Nachbildung von Gemälden alter Meister in großem Maßstabe
Aufgaben gestellt, die ihrem innersten, auf intime malerische Wirkung gerichteten
Wesen zuwider waren, die aber wegen des bedeutsamen geistigen Inhalts der


Der Kupferstich und die vervielfältigenden Künste der Neuzeit.

schaftsmalcrei, hatten niemals verlernt, flüchtige Eindrücke mit der Nadel fest¬
zuhalten, und in England war die Radirung schon seit dem Anfange der sech¬
ziger Jahre eine Art Sport geworden, an dem sich auch Dilettanten beteiligten.
Dort wie hier gewannen diese Bestrebungen Mittelpunkte in Vereinigungen von
Künstlern und Kunstfreunden, die einerseits die Malerradirnng übten und aus¬
bildeten, anderseits die Erzeugnisse derselben selbst ankauften oder unter das
Publikum brachten. In neuester Zeit sind auch in Deutschland ähnliche Ver¬
eine gegründet worden: der Düsseldorfer Radirklub, die Gesellschaft für Radir-
kunst in Weimar und der Verein für Originalradirung in Berlin. Dieses Ein¬
greifen der Maler in ein Gebiet der Technik, das schließlich über das Stadium
geistreicher Improvisation und launenhafter Willkür zu einem mannigfach ge¬
gliederten Organismus, welcher Studium und Lehre erforderte, hinausgediehen
war, diente nur dazu, die berufsmäßigen Radirer, deren Darstellungsmittel sich
im Verein mit einer raffinirten Druckmethode immer weiter entwickelt hatten,
zu größern Anstrengungen anzuspornen. Aus den Blättern für Galeriewerke,
aus den Illustrationen für sogenannte Prachtwerke erhoben sie sich zu der Be¬
arbeitung umfangreicher Platten, deren Abdrücke für den Wandschmuck bestimmt
waren und den Kupferstich aus seiner letzten, nur noch mühsam behaupteten
Stellung zu vertreiben suchten. Die ersten Wagnisse dieser Art wurden von
französischen Künstlern unternommen, deren Verleger es nicht unterließen, dem
Wettlauf der Nadiruug mit dem Kupferstich noch einige stark gewürzte Zu¬
thaten zu verleihen. Sie spekulirten auf die Leidenschaft eifersüchtiger Sammler
und forderten unverschämt hohe Preise unter dem Vorwande, daß nach einer
in Ziffern begrenzten Zahl von Abzügen die Platte zerstört und jedem der
drei- oder vierhundert Abnehmer ein Stückchen der Platte eingehändigt werden
würde. Soviel wir wissen, ist dieser schlau auf die Sammelwut berechnete Hum¬
bug, der doch keinen vernünftigen Menschen über den wirklichen Wert eines
radirten oder gestochenen Blattes täuschen kann, zuerst bei der Nadiruug Ch.
Waltners nach Rembrandts „Nachtwache", beiläufig bemerkt, einer Nachbildung,
die von dem Originale eine ganz unrichtige Vorstellung giebt, in Szene gesetzt,
seitdem aber, wie alle Narrheiten, häufig wiederholt worden. Die materiellen
Erfolge, welche die alten Meistern nachschaffenden Radirer mit ihren großen
Platten errangen, ließen wiederum die Malerradirer nicht schlafen. Sie griffen
nach ebenso großen und noch größern Kupferplatten und bedeckten sie meist
mit landschaftlichen Ansichten und Architekturstttcken, deren Ausführung sich na¬
türlich mit dekorativen, sozusagen summarischen Andentungen begnügen mußte,
wenn nicht abermals ein Mißverhältnis zwischen aufgewandter Arbeitskraft und
demi daraus zu erzielenden Gewinn entstehen sollte. Hatte sich die Radirung
schon in der Nachbildung von Gemälden alter Meister in großem Maßstabe
Aufgaben gestellt, die ihrem innersten, auf intime malerische Wirkung gerichteten
Wesen zuwider waren, die aber wegen des bedeutsamen geistigen Inhalts der


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[0434] Der Kupferstich und die vervielfältigenden Künste der Neuzeit. schaftsmalcrei, hatten niemals verlernt, flüchtige Eindrücke mit der Nadel fest¬ zuhalten, und in England war die Radirung schon seit dem Anfange der sech¬ ziger Jahre eine Art Sport geworden, an dem sich auch Dilettanten beteiligten. Dort wie hier gewannen diese Bestrebungen Mittelpunkte in Vereinigungen von Künstlern und Kunstfreunden, die einerseits die Malerradirnng übten und aus¬ bildeten, anderseits die Erzeugnisse derselben selbst ankauften oder unter das Publikum brachten. In neuester Zeit sind auch in Deutschland ähnliche Ver¬ eine gegründet worden: der Düsseldorfer Radirklub, die Gesellschaft für Radir- kunst in Weimar und der Verein für Originalradirung in Berlin. Dieses Ein¬ greifen der Maler in ein Gebiet der Technik, das schließlich über das Stadium geistreicher Improvisation und launenhafter Willkür zu einem mannigfach ge¬ gliederten Organismus, welcher Studium und Lehre erforderte, hinausgediehen war, diente nur dazu, die berufsmäßigen Radirer, deren Darstellungsmittel sich im Verein mit einer raffinirten Druckmethode immer weiter entwickelt hatten, zu größern Anstrengungen anzuspornen. Aus den Blättern für Galeriewerke, aus den Illustrationen für sogenannte Prachtwerke erhoben sie sich zu der Be¬ arbeitung umfangreicher Platten, deren Abdrücke für den Wandschmuck bestimmt waren und den Kupferstich aus seiner letzten, nur noch mühsam behaupteten Stellung zu vertreiben suchten. Die ersten Wagnisse dieser Art wurden von französischen Künstlern unternommen, deren Verleger es nicht unterließen, dem Wettlauf der Nadiruug mit dem Kupferstich noch einige stark gewürzte Zu¬ thaten zu verleihen. Sie spekulirten auf die Leidenschaft eifersüchtiger Sammler und forderten unverschämt hohe Preise unter dem Vorwande, daß nach einer in Ziffern begrenzten Zahl von Abzügen die Platte zerstört und jedem der drei- oder vierhundert Abnehmer ein Stückchen der Platte eingehändigt werden würde. Soviel wir wissen, ist dieser schlau auf die Sammelwut berechnete Hum¬ bug, der doch keinen vernünftigen Menschen über den wirklichen Wert eines radirten oder gestochenen Blattes täuschen kann, zuerst bei der Nadiruug Ch. Waltners nach Rembrandts „Nachtwache", beiläufig bemerkt, einer Nachbildung, die von dem Originale eine ganz unrichtige Vorstellung giebt, in Szene gesetzt, seitdem aber, wie alle Narrheiten, häufig wiederholt worden. Die materiellen Erfolge, welche die alten Meistern nachschaffenden Radirer mit ihren großen Platten errangen, ließen wiederum die Malerradirer nicht schlafen. Sie griffen nach ebenso großen und noch größern Kupferplatten und bedeckten sie meist mit landschaftlichen Ansichten und Architekturstttcken, deren Ausführung sich na¬ türlich mit dekorativen, sozusagen summarischen Andentungen begnügen mußte, wenn nicht abermals ein Mißverhältnis zwischen aufgewandter Arbeitskraft und demi daraus zu erzielenden Gewinn entstehen sollte. Hatte sich die Radirung schon in der Nachbildung von Gemälden alter Meister in großem Maßstabe Aufgaben gestellt, die ihrem innersten, auf intime malerische Wirkung gerichteten Wesen zuwider waren, die aber wegen des bedeutsamen geistigen Inhalts der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/434>, abgerufen am 25.07.2024.