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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich vischer.

der ein Wort von politischem Interesse sprach, mit Kretinblicken an, "Stupidität"
ist der Ausdruck, den die gegen Deutschland sonst billigste Schweizerzeitung, der
"Bund" dafür braucht. Lateinisch torxor. Bankerutte, Verzweiflung, Hungersnot
müssen kommen, ihn in Bewegung zubringen..--" Die Siege Preußens verstimmten
den alten Republikaner tief; er wollte sich nicht mehr mit der Politik beschäftigen.
So schrieb er am 18. Juni 1867 aus Tübingen: "Eigentlich aber könnt' ich
nur erwärmen, wenn wieder ein Freiheitshauch käme. Ich werde ihn nicht
erleben. Unsereiner kann mit der Politik bloß thun, so lange moralische Faktoren
wirken; in einer Zeit, wo alle Politik in Staatsraison aufgeht, kann er bloß
bitter schweigend zusehen." Bischer war verstimmt gegen Bismarck, weil dieser
Napoleon in der Luxemburger Frage nachgab; die folgenden Jahre aber
stimmten ihn um. Am 9. September 1870 schreibt er ans Baden-Baden:
"Sie wissen, daß ich kein " Demokrat bin; ich hätte den giftigen Kanaillen eine
Kugel vor die Stirne jagen können, als sie bei Beginn des Krieges gegen
Preußen statt gegen Frankreich schürten." Und hell lodert seine Begeisterung
auf, als sich der durch lange Jahre aufgehäufte Haß Napoleons in dem Kriege
von 1870 Luft macht. Schon am 1. Januar 1868 hatte er dem Freunde
geschrieben: "Und nun Prosit neu Jahr! Es bringe Ihnen gute, inhaltsvolle,
ruhig fließende Tage! Wenn es nicht anders sein kann -- und mir will es so
scheinen -- der Nation den Krieg, der ja doch einmal kommen muß! Nun und
dann bei allen Göttern: recht ausreichende Wix für die Franzosen!" Als der
Krieg, der lange vorhergesehene, ausbrach, da wollte der dreiundscchzigjährige
Bischer allen Ernstes selbst mit ins Feld ziehen: "Das Kriegsministerium soll
nun doch seinen Konsens zu einem normal militärischen Freikorps gegeben haben.
Ich will zusehen, ob es nicht nach Soldatenspiclcrei aussieht, ob es nach
Wahrscheinlichkeit wirklich auch zu thun bekommt. Dann will ich an die Ver-
sichernngsbank, worin ich auf -- eingezeichnet bin, schreiben, ob ich alles ver¬
liere, wenn ich ins Feld gehe. Es zuckt in mir, dies zu thun. Am Ende wär'
es auch die beste Badekur gegen den Katarrh," fügt er humoristisch in seiner
"Auch Einer"-Weise hinzu. Aber am 18. August 1870 meldet er: "Mir hat
das Schicksal jeden Gedanken, anzuthun, mit einem festen Knopf, einem Übel
unterschnttrt, das ihm -- diesem Dämon, der mir das Komische tragisch in den
Weg wirft -- ganz gleich sieht: ich könnte keine Stunde marschiren vor einem
Hühnerauge, das jeder Behandlung spottet." Er war aber doch in Frankreich,
um die Schlachtfelder zu betrachten; sein eigner Sohn stand ja im Felde. Die
Notwendigkeit, die Einheit Deutschlands mit allen Opfern aus diesem Kriege
zu gewinnen, erkannte Bischer gleich; er spricht darüber sich merkwürdig und
seinen ganzen politischen Charakter zusammenfassend in einem Briefe vom
2. November 1870 ans: "Gestern erscheint eine Deputation ans Vaihingen:
sie wollen mich zum Abgeordneten, um endlich den Hopf wegzubringen. Ich
kann nicht. Es ist eine Pflichtenkollision. Meine Pflichten gegen Amt und


Friedrich vischer.

der ein Wort von politischem Interesse sprach, mit Kretinblicken an, »Stupidität«
ist der Ausdruck, den die gegen Deutschland sonst billigste Schweizerzeitung, der
»Bund« dafür braucht. Lateinisch torxor. Bankerutte, Verzweiflung, Hungersnot
müssen kommen, ihn in Bewegung zubringen..—" Die Siege Preußens verstimmten
den alten Republikaner tief; er wollte sich nicht mehr mit der Politik beschäftigen.
So schrieb er am 18. Juni 1867 aus Tübingen: „Eigentlich aber könnt' ich
nur erwärmen, wenn wieder ein Freiheitshauch käme. Ich werde ihn nicht
erleben. Unsereiner kann mit der Politik bloß thun, so lange moralische Faktoren
wirken; in einer Zeit, wo alle Politik in Staatsraison aufgeht, kann er bloß
bitter schweigend zusehen." Bischer war verstimmt gegen Bismarck, weil dieser
Napoleon in der Luxemburger Frage nachgab; die folgenden Jahre aber
stimmten ihn um. Am 9. September 1870 schreibt er ans Baden-Baden:
„Sie wissen, daß ich kein » Demokrat bin; ich hätte den giftigen Kanaillen eine
Kugel vor die Stirne jagen können, als sie bei Beginn des Krieges gegen
Preußen statt gegen Frankreich schürten." Und hell lodert seine Begeisterung
auf, als sich der durch lange Jahre aufgehäufte Haß Napoleons in dem Kriege
von 1870 Luft macht. Schon am 1. Januar 1868 hatte er dem Freunde
geschrieben: „Und nun Prosit neu Jahr! Es bringe Ihnen gute, inhaltsvolle,
ruhig fließende Tage! Wenn es nicht anders sein kann — und mir will es so
scheinen — der Nation den Krieg, der ja doch einmal kommen muß! Nun und
dann bei allen Göttern: recht ausreichende Wix für die Franzosen!" Als der
Krieg, der lange vorhergesehene, ausbrach, da wollte der dreiundscchzigjährige
Bischer allen Ernstes selbst mit ins Feld ziehen: „Das Kriegsministerium soll
nun doch seinen Konsens zu einem normal militärischen Freikorps gegeben haben.
Ich will zusehen, ob es nicht nach Soldatenspiclcrei aussieht, ob es nach
Wahrscheinlichkeit wirklich auch zu thun bekommt. Dann will ich an die Ver-
sichernngsbank, worin ich auf — eingezeichnet bin, schreiben, ob ich alles ver¬
liere, wenn ich ins Feld gehe. Es zuckt in mir, dies zu thun. Am Ende wär'
es auch die beste Badekur gegen den Katarrh," fügt er humoristisch in seiner
„Auch Einer"-Weise hinzu. Aber am 18. August 1870 meldet er: „Mir hat
das Schicksal jeden Gedanken, anzuthun, mit einem festen Knopf, einem Übel
unterschnttrt, das ihm — diesem Dämon, der mir das Komische tragisch in den
Weg wirft — ganz gleich sieht: ich könnte keine Stunde marschiren vor einem
Hühnerauge, das jeder Behandlung spottet." Er war aber doch in Frankreich,
um die Schlachtfelder zu betrachten; sein eigner Sohn stand ja im Felde. Die
Notwendigkeit, die Einheit Deutschlands mit allen Opfern aus diesem Kriege
zu gewinnen, erkannte Bischer gleich; er spricht darüber sich merkwürdig und
seinen ganzen politischen Charakter zusammenfassend in einem Briefe vom
2. November 1870 ans: „Gestern erscheint eine Deputation ans Vaihingen:
sie wollen mich zum Abgeordneten, um endlich den Hopf wegzubringen. Ich
kann nicht. Es ist eine Pflichtenkollision. Meine Pflichten gegen Amt und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/422>, abgerufen am 25.07.2024.