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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich vischer.

liebenswürdig, frcnndschaftwnrdigend, aber auch daran schleckend, von dem "ein¬
ander Liebhaber" mit schmotzelicher Fettigkeit gern redend, bei Vornehmen sich
gern bewirten und verehren lassend" (Zürich 11. Februar 1866) -- so weiß
man, daß Berthold Auerbach mit dem A. gemeint ist, umso sicherer, als ja
kurz zuvor die Mitteilung, daß Vischer sich mit einer Kritik des Auerbachscheu
Romans "Auf der Höhe" beschäftige, ohne Kürzung des Namens gedruckt worden
war. Warum also hier die Kürzung? Warum ferner die durch den Punkt
zwischen "auch" und "eitel" angedeutete Weglassung eines Wortes? Wer hat
das Recht, einen Text Wischers zu Hofmeistern? Ebenso wird der Name Rtt-
melins, dessen "Shakespcarestudien eines Realisten" Vischer sehr beschäftigen,
da er ja darin ein (freilich nicht ganz ebenbürtiges) Seitenstttck zu seiner eben¬
falls eine feststehende Autorität angreifenden .Kritik des zweiten Teiles des
"Faust" fand, immer unterdrückt und durch ein X-- ersetzt. Wozu diese Rätsel¬
aufgaben? Und wenn schon Günthert hier ohne ernste Begründung, da ja
Wischers Gesinnung aller Welt kund ist, kürzt, streicht, wegläßt, nur andeutet,
Worte, halbe Sätze oder ganze Abschnitte, welches Vertrauen kann man weiter
auf seine übrige Redaktion haben? Muß man nicht befürchten, daß er auch
sonst etwas kleiumütig und ängstlich verfahren sei? Das ist es, was man an
dieser Ausgabe der Briefe Wischers zu bedauern hat. Hat man sich einmal
zu einer solchen entschlossen, so hätte man es ohne Rückhalt thun sollen. Man
ist heutzutage doch wahrlich daran gewohnt, den Text eines Schriftstellers vom
Range Wischers zu respektiren; man hat ferner ein viel zu lebhaftes Gefühl
für das realistische Porträt, um sich selbst durch Flecken im Bilde nicht die Liebe
zu ihm stören zu lassen; und es gehört zu der Individualität Wischers, Meister
des Wortes zu sein, auch wenn es nicht parfumirt ist. Dieser sein Charakter
wurde durch Güntherts zu weit getriebene Behutsamkeit einigermaßen verwischt.
Nur vorläufig nehmen wir daher mit dieser Ausgabe der Briefe Wischers vorlieb
und hoffen, daß wir später noch eine vollständigere, nicht in u8um ävlMini
hergerichtete erleben werden.

Das Jahrzehnt, worin diese Briefe geschrieben wurden, ist jedenfalls eines
der bewegtesten unsers ereignisreichen Jahrhunderts. 1861 stand Napoleon III.
auf der Höhe seiner Macht, er beherrschte zum Schmerze aller deutschen Pa¬
trioten die europäische Politik. Man weiß, daß der alte Schwabe und Demo¬
krat von Haus aus kein Freund Preußens war. Einmal spricht er die Be¬
fürchtung aus, daß es von Frankreich ins Schlepptau gezogen werde, wie
Österreich, erkennt aber bald seinen Irrtum. Über Napoleon äußert er im
März 186S: "Sie stecken wohl auch schon im Leben Cäsars? Doch naiv von
dem Manne der Klugheit, seinen Glauben an die Mission der Kronenräuber
und angeblichen Volksbeglücker so offen in einem tendenziösen Geschichtsmerk
niederzulegen und ihn und sich so der Kritik zu exponiren?" Am 9. September
1870, nach Sedan, schreibt er über ihn: "Napoleon ist von Anfang an kein


Friedrich vischer.

liebenswürdig, frcnndschaftwnrdigend, aber auch daran schleckend, von dem „ein¬
ander Liebhaber" mit schmotzelicher Fettigkeit gern redend, bei Vornehmen sich
gern bewirten und verehren lassend" (Zürich 11. Februar 1866) — so weiß
man, daß Berthold Auerbach mit dem A. gemeint ist, umso sicherer, als ja
kurz zuvor die Mitteilung, daß Vischer sich mit einer Kritik des Auerbachscheu
Romans „Auf der Höhe" beschäftige, ohne Kürzung des Namens gedruckt worden
war. Warum also hier die Kürzung? Warum ferner die durch den Punkt
zwischen „auch" und „eitel" angedeutete Weglassung eines Wortes? Wer hat
das Recht, einen Text Wischers zu Hofmeistern? Ebenso wird der Name Rtt-
melins, dessen „Shakespcarestudien eines Realisten" Vischer sehr beschäftigen,
da er ja darin ein (freilich nicht ganz ebenbürtiges) Seitenstttck zu seiner eben¬
falls eine feststehende Autorität angreifenden .Kritik des zweiten Teiles des
„Faust" fand, immer unterdrückt und durch ein X— ersetzt. Wozu diese Rätsel¬
aufgaben? Und wenn schon Günthert hier ohne ernste Begründung, da ja
Wischers Gesinnung aller Welt kund ist, kürzt, streicht, wegläßt, nur andeutet,
Worte, halbe Sätze oder ganze Abschnitte, welches Vertrauen kann man weiter
auf seine übrige Redaktion haben? Muß man nicht befürchten, daß er auch
sonst etwas kleiumütig und ängstlich verfahren sei? Das ist es, was man an
dieser Ausgabe der Briefe Wischers zu bedauern hat. Hat man sich einmal
zu einer solchen entschlossen, so hätte man es ohne Rückhalt thun sollen. Man
ist heutzutage doch wahrlich daran gewohnt, den Text eines Schriftstellers vom
Range Wischers zu respektiren; man hat ferner ein viel zu lebhaftes Gefühl
für das realistische Porträt, um sich selbst durch Flecken im Bilde nicht die Liebe
zu ihm stören zu lassen; und es gehört zu der Individualität Wischers, Meister
des Wortes zu sein, auch wenn es nicht parfumirt ist. Dieser sein Charakter
wurde durch Güntherts zu weit getriebene Behutsamkeit einigermaßen verwischt.
Nur vorläufig nehmen wir daher mit dieser Ausgabe der Briefe Wischers vorlieb
und hoffen, daß wir später noch eine vollständigere, nicht in u8um ävlMini
hergerichtete erleben werden.

Das Jahrzehnt, worin diese Briefe geschrieben wurden, ist jedenfalls eines
der bewegtesten unsers ereignisreichen Jahrhunderts. 1861 stand Napoleon III.
auf der Höhe seiner Macht, er beherrschte zum Schmerze aller deutschen Pa¬
trioten die europäische Politik. Man weiß, daß der alte Schwabe und Demo¬
krat von Haus aus kein Freund Preußens war. Einmal spricht er die Be¬
fürchtung aus, daß es von Frankreich ins Schlepptau gezogen werde, wie
Österreich, erkennt aber bald seinen Irrtum. Über Napoleon äußert er im
März 186S: „Sie stecken wohl auch schon im Leben Cäsars? Doch naiv von
dem Manne der Klugheit, seinen Glauben an die Mission der Kronenräuber
und angeblichen Volksbeglücker so offen in einem tendenziösen Geschichtsmerk
niederzulegen und ihn und sich so der Kritik zu exponiren?" Am 9. September
1870, nach Sedan, schreibt er über ihn: „Napoleon ist von Anfang an kein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/420>, abgerufen am 25.07.2024.