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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Gefühls für Günthert ist, daß er ihm aus Zürich, am 2. November 1863, eine
auf dem historischen Friedhof von S. Lucia gepflückte Rose schickte. Ebenso
brachte er ihm 1872 aus Italien ein am Grabe Tassos gepflücktes Epheublatt
mit. "Meine Freude war, daß er auch an jener halbmythischer Stelle meiner
dachte," fügt Günthert hinzu. Mehr vielleicht, als künstlerisch geboten war, hat
sich der Herausgeber dieser Briefe selbst in den Hintergrund geschoben; denn
um einen Briefwechsel richtig würdigen zu können, muß man beide Korrespon¬
denten klar vor Augen hoben. Wir erfahren nur mittelbar etwas von
Güntherts Thätigkeit und Lebensumständen. In seiner stillen Garnison be¬
trieb er fleißig philosophische und poetische Studien, bei denen ihm Bischer mit
Kritik und Rat behilflich war. Zu Beginn der Bekanntschaft war der Haupt¬
mann Günthert schon Familienvater, es traf sich, daß Bischer Pate seines bald
darauf gebornen Sohnes wurde, der nach dem großen Freunde auf den Namen
Fritz getauft wurde. Dadurch wurde der Verkehr zwischen Ulm und Zürich noch
vertrauter, es kam ein familiärer Zug hinein. Wir können uns von der Er¬
scheinung Güntherts durch einige Zeilen Wischers eine Vorstellung machen, die
den Empfang seiner Photographie beantworten. Anfangs Januar 1866 schreibt
Bischer aus Zürich: "Vorigen Sonntag morgens, unmittelbar ehe ich nach
Basel abreiste, erhielt ich Ihre Zusendung, das Bild mit den reingefühlten
Versen. Es gehörte dies unter die Freuden, welche mir die Feiertage ver¬
schönerten. Ich darf im Plural reden, weil ich ein paar angenehme Tage in
Basel zubrachte. Ihr Bild ist sehr gut, selten gelingt eine Photographie so;
ein kompakter, fixer, braver Soldat und lebendiger, Zutrauen erweckender Mensch
sieht einen aus diesem Bilde ein . . --"

Indem wir diese Punkte und diesen Gedankenstrich genau dem Texte des
Buches nachzeichnen, stoßen wir auf die fatale Seite desselben. Man findet
nämlich diese unangenehmen Punkte in den abgedruckten Briefen Wischers sehr
oft; sie bedeuten immer eine Auslassung, eine rücksichtsvolle Streichung
Güntherts. Bischer gab sich in seinen Briefen mit echt schwäbischer Ur¬
wüchsigkeit und Derbheit, mit Rabelaisscher Leidenschaft im Ausdrucke.
Hier zu dämpfen, zarte Mädchenseelen vor nicht salonfähiger Sprache,
vor Wendungen aus der Kneipe zu bewahren, dort auch vielleich lebende
Personen zu schonen, ließ sich der Herausgeber nur allzusehr angelegen sein.
Oft errät man aus den beibehaltenen Anfangsbuchstaben, wer gemeint ist, so
wenn Bischer einmal von einer "Zusammensäblung C.s" spricht; da erinnert man
sich an den köstlichen kritischen Gang gegen den "Sonntagsnachmittagsprediger
für alte Weiber." Oder wenn es heißt: "A.s Figuren erscheinen mir doch in
besserem Lichte, dagegen fürchte ich, seine Pikanterie nach geistreichen äivta,
diese Geistreiterci-Schrauberei - Spicgelei nicht scharf genug jm dem für die
Augsburger Allgemeine Zeitung geschriebenen Artikel, von dem vorher die Rede
warZ gepackt zu haben. Persönlich ist er gutmütig, aber auch eitel, aufopfernd,


Gefühls für Günthert ist, daß er ihm aus Zürich, am 2. November 1863, eine
auf dem historischen Friedhof von S. Lucia gepflückte Rose schickte. Ebenso
brachte er ihm 1872 aus Italien ein am Grabe Tassos gepflücktes Epheublatt
mit. „Meine Freude war, daß er auch an jener halbmythischer Stelle meiner
dachte," fügt Günthert hinzu. Mehr vielleicht, als künstlerisch geboten war, hat
sich der Herausgeber dieser Briefe selbst in den Hintergrund geschoben; denn
um einen Briefwechsel richtig würdigen zu können, muß man beide Korrespon¬
denten klar vor Augen hoben. Wir erfahren nur mittelbar etwas von
Güntherts Thätigkeit und Lebensumständen. In seiner stillen Garnison be¬
trieb er fleißig philosophische und poetische Studien, bei denen ihm Bischer mit
Kritik und Rat behilflich war. Zu Beginn der Bekanntschaft war der Haupt¬
mann Günthert schon Familienvater, es traf sich, daß Bischer Pate seines bald
darauf gebornen Sohnes wurde, der nach dem großen Freunde auf den Namen
Fritz getauft wurde. Dadurch wurde der Verkehr zwischen Ulm und Zürich noch
vertrauter, es kam ein familiärer Zug hinein. Wir können uns von der Er¬
scheinung Güntherts durch einige Zeilen Wischers eine Vorstellung machen, die
den Empfang seiner Photographie beantworten. Anfangs Januar 1866 schreibt
Bischer aus Zürich: „Vorigen Sonntag morgens, unmittelbar ehe ich nach
Basel abreiste, erhielt ich Ihre Zusendung, das Bild mit den reingefühlten
Versen. Es gehörte dies unter die Freuden, welche mir die Feiertage ver¬
schönerten. Ich darf im Plural reden, weil ich ein paar angenehme Tage in
Basel zubrachte. Ihr Bild ist sehr gut, selten gelingt eine Photographie so;
ein kompakter, fixer, braver Soldat und lebendiger, Zutrauen erweckender Mensch
sieht einen aus diesem Bilde ein . . —"

Indem wir diese Punkte und diesen Gedankenstrich genau dem Texte des
Buches nachzeichnen, stoßen wir auf die fatale Seite desselben. Man findet
nämlich diese unangenehmen Punkte in den abgedruckten Briefen Wischers sehr
oft; sie bedeuten immer eine Auslassung, eine rücksichtsvolle Streichung
Güntherts. Bischer gab sich in seinen Briefen mit echt schwäbischer Ur¬
wüchsigkeit und Derbheit, mit Rabelaisscher Leidenschaft im Ausdrucke.
Hier zu dämpfen, zarte Mädchenseelen vor nicht salonfähiger Sprache,
vor Wendungen aus der Kneipe zu bewahren, dort auch vielleich lebende
Personen zu schonen, ließ sich der Herausgeber nur allzusehr angelegen sein.
Oft errät man aus den beibehaltenen Anfangsbuchstaben, wer gemeint ist, so
wenn Bischer einmal von einer „Zusammensäblung C.s" spricht; da erinnert man
sich an den köstlichen kritischen Gang gegen den „Sonntagsnachmittagsprediger
für alte Weiber." Oder wenn es heißt: „A.s Figuren erscheinen mir doch in
besserem Lichte, dagegen fürchte ich, seine Pikanterie nach geistreichen äivta,
diese Geistreiterci-Schrauberei - Spicgelei nicht scharf genug jm dem für die
Augsburger Allgemeine Zeitung geschriebenen Artikel, von dem vorher die Rede
warZ gepackt zu haben. Persönlich ist er gutmütig, aber auch eitel, aufopfernd,


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[0419] Gefühls für Günthert ist, daß er ihm aus Zürich, am 2. November 1863, eine auf dem historischen Friedhof von S. Lucia gepflückte Rose schickte. Ebenso brachte er ihm 1872 aus Italien ein am Grabe Tassos gepflücktes Epheublatt mit. „Meine Freude war, daß er auch an jener halbmythischer Stelle meiner dachte," fügt Günthert hinzu. Mehr vielleicht, als künstlerisch geboten war, hat sich der Herausgeber dieser Briefe selbst in den Hintergrund geschoben; denn um einen Briefwechsel richtig würdigen zu können, muß man beide Korrespon¬ denten klar vor Augen hoben. Wir erfahren nur mittelbar etwas von Güntherts Thätigkeit und Lebensumständen. In seiner stillen Garnison be¬ trieb er fleißig philosophische und poetische Studien, bei denen ihm Bischer mit Kritik und Rat behilflich war. Zu Beginn der Bekanntschaft war der Haupt¬ mann Günthert schon Familienvater, es traf sich, daß Bischer Pate seines bald darauf gebornen Sohnes wurde, der nach dem großen Freunde auf den Namen Fritz getauft wurde. Dadurch wurde der Verkehr zwischen Ulm und Zürich noch vertrauter, es kam ein familiärer Zug hinein. Wir können uns von der Er¬ scheinung Güntherts durch einige Zeilen Wischers eine Vorstellung machen, die den Empfang seiner Photographie beantworten. Anfangs Januar 1866 schreibt Bischer aus Zürich: „Vorigen Sonntag morgens, unmittelbar ehe ich nach Basel abreiste, erhielt ich Ihre Zusendung, das Bild mit den reingefühlten Versen. Es gehörte dies unter die Freuden, welche mir die Feiertage ver¬ schönerten. Ich darf im Plural reden, weil ich ein paar angenehme Tage in Basel zubrachte. Ihr Bild ist sehr gut, selten gelingt eine Photographie so; ein kompakter, fixer, braver Soldat und lebendiger, Zutrauen erweckender Mensch sieht einen aus diesem Bilde ein . . —" Indem wir diese Punkte und diesen Gedankenstrich genau dem Texte des Buches nachzeichnen, stoßen wir auf die fatale Seite desselben. Man findet nämlich diese unangenehmen Punkte in den abgedruckten Briefen Wischers sehr oft; sie bedeuten immer eine Auslassung, eine rücksichtsvolle Streichung Güntherts. Bischer gab sich in seinen Briefen mit echt schwäbischer Ur¬ wüchsigkeit und Derbheit, mit Rabelaisscher Leidenschaft im Ausdrucke. Hier zu dämpfen, zarte Mädchenseelen vor nicht salonfähiger Sprache, vor Wendungen aus der Kneipe zu bewahren, dort auch vielleich lebende Personen zu schonen, ließ sich der Herausgeber nur allzusehr angelegen sein. Oft errät man aus den beibehaltenen Anfangsbuchstaben, wer gemeint ist, so wenn Bischer einmal von einer „Zusammensäblung C.s" spricht; da erinnert man sich an den köstlichen kritischen Gang gegen den „Sonntagsnachmittagsprediger für alte Weiber." Oder wenn es heißt: „A.s Figuren erscheinen mir doch in besserem Lichte, dagegen fürchte ich, seine Pikanterie nach geistreichen äivta, diese Geistreiterci-Schrauberei - Spicgelei nicht scharf genug jm dem für die Augsburger Allgemeine Zeitung geschriebenen Artikel, von dem vorher die Rede warZ gepackt zu haben. Persönlich ist er gutmütig, aber auch eitel, aufopfernd,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/419>, abgerufen am 04.07.2024.