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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

in württembergischen Besitz übergingen; die meisten sind früher, bei der Gebiets--
entwicklung Baierns genannt worden; die damit verbundenen kleinern Aus¬
tauschungen können übergangen werden. Der Zuwachs betrug im ganzen
12 Quadratmeilen, so daß damit das Königreich eine Ausdehnung vou 354
Quadratmeilen erlangte, die heute vou etwa 2 Millionen Einwohnern be¬
völkert sind.

Damit war die Gebietsentwicklung des zweitgrößten Staates in Süddeutsch-
land abgeschlossen. Denn weder der Krieg von 1866, in welchem Württemberg
auf Seiten der Feinde Preußens, dem ja sein damaliger leitender Minister,
Herr von Varnbüler, etwas voreilig das bekannte viotis! zurief, noch
der Krieg von 1L70, in welchem die Söhne Württembergs vereint mit ihren
deutschen Brüdern kämpften und die altberühmte Tapferkeit des Schwaben¬
stammes aufs neue glänzend bewährten, haben in dieser Beziehung eine Ände¬
rung hervorgebracht.

Die meisten der Landesteile, die das heutige Königreich bilden, haben vor¬
mals dem schwäbischen Neichskreise angehört; doch ist auch die Zahl der Gebiete,
die zum österreichischen, fränkischen und niederrheinischen Kreise gerechnet wurden,
nicht gering. Es ist aber schwierig, hierüber ganz bestimmte Angaben zu machen;
denn wenn man auch das alte Herzogtum Württemberg und Teck als ein ab¬
geschlossenes Ganzes betrachtet und davon absieht, die Einzelgebiete, aus denen
es hervorgegangen war, besonders in Anrechnung zu bringen, und wenn man
ebenso die vielen Gebiete der frühern Reichsritterschaft ganz aus dem Spiele
läßt, so kann dennoch die Zählung sehr verschieden sein. Man weiß dann immer
noch nicht, ob man z. B. die Besitzungen des deutschen Ordens, die unter dem
Hochmeistertum Mergentheim standen, die Besitzungen der Fürsten von Hohen-
lohe, Thurn und Taxis, Waldburg, der Grafen Löwenstein, Königsegg :c. mit
ihren verschiedenen Linien besonders zählen oder zu Einheiten zusammenfassen
soll. Ebenso weiß man nicht, was man mit den Gebieten machen soll, von
denen ein Fetzen zu Württemberg, ein andrer zu Baiern oder zu Baden gehört.
Jedenfalls mag zum Schlüsse festgestellt werden, daß die Anzahl der in Württem¬
berg einverleibten Territorien, die noch 1792 reichsunmittelbar waren, nahezu
76 beträgt. Auf den heutigen Donaukreis allein rechnet Daniel z. V. 44.
Bon einer geschichtlich begründeten Zusammengehörigkeit dieser einzelnen Landes¬
teile, die erst im Anfange dieses Jahrhunderts die Laune des gewaltigen Frau-
zosenkaisers und allerlei Zufälligkeiten mit einander verbunden haben, kann ebenso
wenig die Rede sein wie bei Baiern, und wenn man die Größe der beiden
Länder vergleicht, so ist Württemberg bei weitem willkürlicher und bunter zu¬
sammengestückelt und gewürfelt, als dies bei dem Nachbarkönigreiche der Fall
ist. Weit mehr als die Hälfte seines Gebietes -- nämlich von 354 Quadrat¬
meilen 209 -- hat ursprünglich gar nichts mit ihm zu thun gehabt. Irgend
welches Recht auf Erwerbung oder richtiger Aneignung ist niemals vorhanden


Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

in württembergischen Besitz übergingen; die meisten sind früher, bei der Gebiets--
entwicklung Baierns genannt worden; die damit verbundenen kleinern Aus¬
tauschungen können übergangen werden. Der Zuwachs betrug im ganzen
12 Quadratmeilen, so daß damit das Königreich eine Ausdehnung vou 354
Quadratmeilen erlangte, die heute vou etwa 2 Millionen Einwohnern be¬
völkert sind.

Damit war die Gebietsentwicklung des zweitgrößten Staates in Süddeutsch-
land abgeschlossen. Denn weder der Krieg von 1866, in welchem Württemberg
auf Seiten der Feinde Preußens, dem ja sein damaliger leitender Minister,
Herr von Varnbüler, etwas voreilig das bekannte viotis! zurief, noch
der Krieg von 1L70, in welchem die Söhne Württembergs vereint mit ihren
deutschen Brüdern kämpften und die altberühmte Tapferkeit des Schwaben¬
stammes aufs neue glänzend bewährten, haben in dieser Beziehung eine Ände¬
rung hervorgebracht.

Die meisten der Landesteile, die das heutige Königreich bilden, haben vor¬
mals dem schwäbischen Neichskreise angehört; doch ist auch die Zahl der Gebiete,
die zum österreichischen, fränkischen und niederrheinischen Kreise gerechnet wurden,
nicht gering. Es ist aber schwierig, hierüber ganz bestimmte Angaben zu machen;
denn wenn man auch das alte Herzogtum Württemberg und Teck als ein ab¬
geschlossenes Ganzes betrachtet und davon absieht, die Einzelgebiete, aus denen
es hervorgegangen war, besonders in Anrechnung zu bringen, und wenn man
ebenso die vielen Gebiete der frühern Reichsritterschaft ganz aus dem Spiele
läßt, so kann dennoch die Zählung sehr verschieden sein. Man weiß dann immer
noch nicht, ob man z. B. die Besitzungen des deutschen Ordens, die unter dem
Hochmeistertum Mergentheim standen, die Besitzungen der Fürsten von Hohen-
lohe, Thurn und Taxis, Waldburg, der Grafen Löwenstein, Königsegg :c. mit
ihren verschiedenen Linien besonders zählen oder zu Einheiten zusammenfassen
soll. Ebenso weiß man nicht, was man mit den Gebieten machen soll, von
denen ein Fetzen zu Württemberg, ein andrer zu Baiern oder zu Baden gehört.
Jedenfalls mag zum Schlüsse festgestellt werden, daß die Anzahl der in Württem¬
berg einverleibten Territorien, die noch 1792 reichsunmittelbar waren, nahezu
76 beträgt. Auf den heutigen Donaukreis allein rechnet Daniel z. V. 44.
Bon einer geschichtlich begründeten Zusammengehörigkeit dieser einzelnen Landes¬
teile, die erst im Anfange dieses Jahrhunderts die Laune des gewaltigen Frau-
zosenkaisers und allerlei Zufälligkeiten mit einander verbunden haben, kann ebenso
wenig die Rede sein wie bei Baiern, und wenn man die Größe der beiden
Länder vergleicht, so ist Württemberg bei weitem willkürlicher und bunter zu¬
sammengestückelt und gewürfelt, als dies bei dem Nachbarkönigreiche der Fall
ist. Weit mehr als die Hälfte seines Gebietes — nämlich von 354 Quadrat¬
meilen 209 — hat ursprünglich gar nichts mit ihm zu thun gehabt. Irgend
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[0413] Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands. in württembergischen Besitz übergingen; die meisten sind früher, bei der Gebiets-- entwicklung Baierns genannt worden; die damit verbundenen kleinern Aus¬ tauschungen können übergangen werden. Der Zuwachs betrug im ganzen 12 Quadratmeilen, so daß damit das Königreich eine Ausdehnung vou 354 Quadratmeilen erlangte, die heute vou etwa 2 Millionen Einwohnern be¬ völkert sind. Damit war die Gebietsentwicklung des zweitgrößten Staates in Süddeutsch- land abgeschlossen. Denn weder der Krieg von 1866, in welchem Württemberg auf Seiten der Feinde Preußens, dem ja sein damaliger leitender Minister, Herr von Varnbüler, etwas voreilig das bekannte viotis! zurief, noch der Krieg von 1L70, in welchem die Söhne Württembergs vereint mit ihren deutschen Brüdern kämpften und die altberühmte Tapferkeit des Schwaben¬ stammes aufs neue glänzend bewährten, haben in dieser Beziehung eine Ände¬ rung hervorgebracht. Die meisten der Landesteile, die das heutige Königreich bilden, haben vor¬ mals dem schwäbischen Neichskreise angehört; doch ist auch die Zahl der Gebiete, die zum österreichischen, fränkischen und niederrheinischen Kreise gerechnet wurden, nicht gering. Es ist aber schwierig, hierüber ganz bestimmte Angaben zu machen; denn wenn man auch das alte Herzogtum Württemberg und Teck als ein ab¬ geschlossenes Ganzes betrachtet und davon absieht, die Einzelgebiete, aus denen es hervorgegangen war, besonders in Anrechnung zu bringen, und wenn man ebenso die vielen Gebiete der frühern Reichsritterschaft ganz aus dem Spiele läßt, so kann dennoch die Zählung sehr verschieden sein. Man weiß dann immer noch nicht, ob man z. B. die Besitzungen des deutschen Ordens, die unter dem Hochmeistertum Mergentheim standen, die Besitzungen der Fürsten von Hohen- lohe, Thurn und Taxis, Waldburg, der Grafen Löwenstein, Königsegg :c. mit ihren verschiedenen Linien besonders zählen oder zu Einheiten zusammenfassen soll. Ebenso weiß man nicht, was man mit den Gebieten machen soll, von denen ein Fetzen zu Württemberg, ein andrer zu Baiern oder zu Baden gehört. Jedenfalls mag zum Schlüsse festgestellt werden, daß die Anzahl der in Württem¬ berg einverleibten Territorien, die noch 1792 reichsunmittelbar waren, nahezu 76 beträgt. Auf den heutigen Donaukreis allein rechnet Daniel z. V. 44. Bon einer geschichtlich begründeten Zusammengehörigkeit dieser einzelnen Landes¬ teile, die erst im Anfange dieses Jahrhunderts die Laune des gewaltigen Frau- zosenkaisers und allerlei Zufälligkeiten mit einander verbunden haben, kann ebenso wenig die Rede sein wie bei Baiern, und wenn man die Größe der beiden Länder vergleicht, so ist Württemberg bei weitem willkürlicher und bunter zu¬ sammengestückelt und gewürfelt, als dies bei dem Nachbarkönigreiche der Fall ist. Weit mehr als die Hälfte seines Gebietes — nämlich von 354 Quadrat¬ meilen 209 — hat ursprünglich gar nichts mit ihm zu thun gehabt. Irgend welches Recht auf Erwerbung oder richtiger Aneignung ist niemals vorhanden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/413>, abgerufen am 04.07.2024.