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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklung der Einzelstaaten Deutschlands.

Um die bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts in Württemberg herr¬
schenden Zustände zu kennzeichnen, genügt es, die folgenden Namen zu nennen:
Eberhard Ludwig mit seiner allmächtigen Mätresse, der Grcivenitz; Karl
Alexander, unter dem der Hofjude Süß, bekannt durch Hauff, die Regierung
führte; Karl, der sogenannte Karl-Herzog, mit seiner schönen Geliebten Franziska
von Hohenheim, dem "Franzele." Der letztere wollte Ludwig XV. und Friedrich II.
in einer Person sein; wie er das verstand, ist durch die Schicksale Schubarts
und Schillers bekannt genug.

Obgleich also das Ländchen wirklich schwer heimgesucht wurde, vergrößerte
rs sich dennoch immerfort. Unter den teils durch Belehnung, teils durch Kauf
erworbenen Orten und Herrschaften mögen hier erwähnt werden: Maulbronn,
Weinsberg (bei Heilbronn), Neustadt (unweit Waldungen), Besigheim, Mündels-
heim, Löchgau, Hessigheim, Walheim, Reichenbach (bei Freudenstadt), Altensteig.
Liebenzell, Winnenden, das zeitweilig einer Nebenlinie gehört hatte, Sterneck,
Justingen, Bönnigheim. Die Grafen von Löwenstein nahmen ihr Gebiet von
den Herzögen zu Lehen. Dazu kamen dann noch zwei elsässische und sieben
burgundische Herrschaften, die bei der Krone Frankreich zu Leben gingen; diese
bildeten mit Mömpelgard die linksrheinischen Besitzungen Württembergs. Gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts berechnete man das Herzogtum Württemberg
auf 145 Quadratmeilen. Das Land war von österreichischen, reichsgräflichen,
reichsritterschaftlichen, geistlichen und reichsstädtischen Gebieten vielfach durchsetzt.
Nach der volkstümliche" Teilung zerfiel es in das Ober- und das Unterland,
deren Grenze die sogenannte Weinsteig bei Stuttgart bildete, daher man auch
von dem Lande ob der Steig und unter der Steig sprach. Amtlich unterschied
man dagegen die hochfürstlichen Ämter und Städte, die hochfürstlichen Kammer¬
schreibereigüter und die Klostcrämter.

Im Jahre 1797 bestieg Herzog Friedrich den Thron, der letzte, der diesen
Titel führte. Anfänglich nahm er an dem Kriege gegen die Franzosen eifrigen
Anteil; diese drangen mehrfach in das Land ein und zwangen im Jahre 1800
den Herzog zur Flucht nach Wien. Im Frieden zu Lunvville mußte er seine
linksrheinischen Besitzungen, die Grafschaft Mömpelgard und die oben bezeich¬
nn Unterherrschaften, endgiltig an Frankreich abtreten, 20 Quadratmeilen. Der
Reichsdeputationshauptschluß überwies ihm dafür als Entschädigungen: die ge-
fürstete Probstei Ellwangen, die Abteien und Klöster Zwiefalten, Rothenmünster,
Schönthal und noch andre, die bisherigen Reichsstädte Reutlingcn, Eßlingen,
Weil, Rottweil, Giengen, Aalen, Hall, Gniünd, Heilbronn und ein Neichs-
dorf. Dieses Gebiet, das man als Neuwürttemberg bezeichnete, umfaßte
3V Quadratmeilen; das Land wuchs also um 8 Quadratmeilen, im ganzen bis
auf 153. Weber erwähnt in seinem "Demokritos," daß damals eine große
staatsrechtliche Schrift erschien, betitelt: "Über die Kurwürdigkeit Württem¬
bergs." Da hiernach niemand daran zweifeln konnte, daß das Land wirt-


Die Gebietsentwicklung der Einzelstaaten Deutschlands.

Um die bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts in Württemberg herr¬
schenden Zustände zu kennzeichnen, genügt es, die folgenden Namen zu nennen:
Eberhard Ludwig mit seiner allmächtigen Mätresse, der Grcivenitz; Karl
Alexander, unter dem der Hofjude Süß, bekannt durch Hauff, die Regierung
führte; Karl, der sogenannte Karl-Herzog, mit seiner schönen Geliebten Franziska
von Hohenheim, dem „Franzele." Der letztere wollte Ludwig XV. und Friedrich II.
in einer Person sein; wie er das verstand, ist durch die Schicksale Schubarts
und Schillers bekannt genug.

Obgleich also das Ländchen wirklich schwer heimgesucht wurde, vergrößerte
rs sich dennoch immerfort. Unter den teils durch Belehnung, teils durch Kauf
erworbenen Orten und Herrschaften mögen hier erwähnt werden: Maulbronn,
Weinsberg (bei Heilbronn), Neustadt (unweit Waldungen), Besigheim, Mündels-
heim, Löchgau, Hessigheim, Walheim, Reichenbach (bei Freudenstadt), Altensteig.
Liebenzell, Winnenden, das zeitweilig einer Nebenlinie gehört hatte, Sterneck,
Justingen, Bönnigheim. Die Grafen von Löwenstein nahmen ihr Gebiet von
den Herzögen zu Lehen. Dazu kamen dann noch zwei elsässische und sieben
burgundische Herrschaften, die bei der Krone Frankreich zu Leben gingen; diese
bildeten mit Mömpelgard die linksrheinischen Besitzungen Württembergs. Gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts berechnete man das Herzogtum Württemberg
auf 145 Quadratmeilen. Das Land war von österreichischen, reichsgräflichen,
reichsritterschaftlichen, geistlichen und reichsstädtischen Gebieten vielfach durchsetzt.
Nach der volkstümliche» Teilung zerfiel es in das Ober- und das Unterland,
deren Grenze die sogenannte Weinsteig bei Stuttgart bildete, daher man auch
von dem Lande ob der Steig und unter der Steig sprach. Amtlich unterschied
man dagegen die hochfürstlichen Ämter und Städte, die hochfürstlichen Kammer¬
schreibereigüter und die Klostcrämter.

Im Jahre 1797 bestieg Herzog Friedrich den Thron, der letzte, der diesen
Titel führte. Anfänglich nahm er an dem Kriege gegen die Franzosen eifrigen
Anteil; diese drangen mehrfach in das Land ein und zwangen im Jahre 1800
den Herzog zur Flucht nach Wien. Im Frieden zu Lunvville mußte er seine
linksrheinischen Besitzungen, die Grafschaft Mömpelgard und die oben bezeich¬
nn Unterherrschaften, endgiltig an Frankreich abtreten, 20 Quadratmeilen. Der
Reichsdeputationshauptschluß überwies ihm dafür als Entschädigungen: die ge-
fürstete Probstei Ellwangen, die Abteien und Klöster Zwiefalten, Rothenmünster,
Schönthal und noch andre, die bisherigen Reichsstädte Reutlingcn, Eßlingen,
Weil, Rottweil, Giengen, Aalen, Hall, Gniünd, Heilbronn und ein Neichs-
dorf. Dieses Gebiet, das man als Neuwürttemberg bezeichnete, umfaßte
3V Quadratmeilen; das Land wuchs also um 8 Quadratmeilen, im ganzen bis
auf 153. Weber erwähnt in seinem „Demokritos," daß damals eine große
staatsrechtliche Schrift erschien, betitelt: „Über die Kurwürdigkeit Württem¬
bergs." Da hiernach niemand daran zweifeln konnte, daß das Land wirt-


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[0411] Die Gebietsentwicklung der Einzelstaaten Deutschlands. Um die bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts in Württemberg herr¬ schenden Zustände zu kennzeichnen, genügt es, die folgenden Namen zu nennen: Eberhard Ludwig mit seiner allmächtigen Mätresse, der Grcivenitz; Karl Alexander, unter dem der Hofjude Süß, bekannt durch Hauff, die Regierung führte; Karl, der sogenannte Karl-Herzog, mit seiner schönen Geliebten Franziska von Hohenheim, dem „Franzele." Der letztere wollte Ludwig XV. und Friedrich II. in einer Person sein; wie er das verstand, ist durch die Schicksale Schubarts und Schillers bekannt genug. Obgleich also das Ländchen wirklich schwer heimgesucht wurde, vergrößerte rs sich dennoch immerfort. Unter den teils durch Belehnung, teils durch Kauf erworbenen Orten und Herrschaften mögen hier erwähnt werden: Maulbronn, Weinsberg (bei Heilbronn), Neustadt (unweit Waldungen), Besigheim, Mündels- heim, Löchgau, Hessigheim, Walheim, Reichenbach (bei Freudenstadt), Altensteig. Liebenzell, Winnenden, das zeitweilig einer Nebenlinie gehört hatte, Sterneck, Justingen, Bönnigheim. Die Grafen von Löwenstein nahmen ihr Gebiet von den Herzögen zu Lehen. Dazu kamen dann noch zwei elsässische und sieben burgundische Herrschaften, die bei der Krone Frankreich zu Leben gingen; diese bildeten mit Mömpelgard die linksrheinischen Besitzungen Württembergs. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts berechnete man das Herzogtum Württemberg auf 145 Quadratmeilen. Das Land war von österreichischen, reichsgräflichen, reichsritterschaftlichen, geistlichen und reichsstädtischen Gebieten vielfach durchsetzt. Nach der volkstümliche» Teilung zerfiel es in das Ober- und das Unterland, deren Grenze die sogenannte Weinsteig bei Stuttgart bildete, daher man auch von dem Lande ob der Steig und unter der Steig sprach. Amtlich unterschied man dagegen die hochfürstlichen Ämter und Städte, die hochfürstlichen Kammer¬ schreibereigüter und die Klostcrämter. Im Jahre 1797 bestieg Herzog Friedrich den Thron, der letzte, der diesen Titel führte. Anfänglich nahm er an dem Kriege gegen die Franzosen eifrigen Anteil; diese drangen mehrfach in das Land ein und zwangen im Jahre 1800 den Herzog zur Flucht nach Wien. Im Frieden zu Lunvville mußte er seine linksrheinischen Besitzungen, die Grafschaft Mömpelgard und die oben bezeich¬ nn Unterherrschaften, endgiltig an Frankreich abtreten, 20 Quadratmeilen. Der Reichsdeputationshauptschluß überwies ihm dafür als Entschädigungen: die ge- fürstete Probstei Ellwangen, die Abteien und Klöster Zwiefalten, Rothenmünster, Schönthal und noch andre, die bisherigen Reichsstädte Reutlingcn, Eßlingen, Weil, Rottweil, Giengen, Aalen, Hall, Gniünd, Heilbronn und ein Neichs- dorf. Dieses Gebiet, das man als Neuwürttemberg bezeichnete, umfaßte 3V Quadratmeilen; das Land wuchs also um 8 Quadratmeilen, im ganzen bis auf 153. Weber erwähnt in seinem „Demokritos," daß damals eine große staatsrechtliche Schrift erschien, betitelt: „Über die Kurwürdigkeit Württem¬ bergs." Da hiernach niemand daran zweifeln konnte, daß das Land wirt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/411>, abgerufen am 22.07.2024.