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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Beleuchtung aber eine große Tragweite zeigt, hofft er eine wesentliche Minde¬
rung der Betriebsunkosten zu erzielen; durch eine Steigerung des Verkehrs im
allgemeinen und durch das Aufrücken der Reisenden in bessere Bcfördcrungs-
klasfen (d. h. besonders durch gesteigerte Benutzung der ersten Klasse), somit
durch bessere Ausnutzung des Wagenraumes, hofft er den gewaltigen Ein¬
nahmeausfall, der durch die Verbilligung der Fahrpreise entstehen würde, zu
decken.

Es kann nicht meine Absicht sein, hier die Vorschlüge Engels ausführ¬
licher zu behandeln. Insbesondere muß ich wegen der Art und Weise, wie er
versucht, die Durchführbarkeit seines Gedankens durch Zahlen zu belegen, auf
das Buch selbst verweisen. Der Leser wird durch die stellenweise nicht ganz
parlamentarische Form desselben sich nicht abhalten lassen, den Inhalt nach Ver¬
dienst zu würdigen und wird nach meiner Überzeugung dazu kommen, in den
Gedanken Engels wenigstens einen sehr berechtigten Kern zu finden.

Eine gewisse Berechtigung scheint auch der preußische Eisenbahnminister
den Klagen und Anregungen Engels zuerkannt zu haben, denn wenn die
Zeitungsberichte nicht ganz auf falschen Wegen gehen, haben die Erwägungen
in Betreff einer Reform des Personenverkehrs in Preußen eben Engels Vor¬
schläge zum Ausgangspunkte gehabt.

Es soll sich nun freilich die einstweilige Undurchführbarkeit derselben her¬
ausgestellt haben, und es soll beabsichtigt werden, Reformen nach andrer Rich¬
tung zu bewirken. Es ist aber auch gewiß nicht notwendig, daß gerade die
Wege Engels eingeschlagen werden, wenn nur seine Ziele erreicht oder doch
wenigstens annähernd erreicht werden. Letzteres aber ist dringend zu wünschen;
ja es wird sich, wie gesagt, für die Zukunft als ein ganz unabweisbares Be¬
dürfnis herausstellen. Und nun zu der sozialen und volkswirtschaftlichen Wür¬
digung der Sache! Vergegenwärtigen wir es uns vor allem, was die Ver¬
wirklichung der Vorschläge Engels heißen würde.

"Es ist ein Brief da von der Post, der sechsunddreißig Kreuzer kost."
So heißes im Studentenliede, und den Musensohn, der das singt, heimelt es
an, wie ein Stück Mittelalter. Wie von dem hohen Briefporto der Vergan¬
genheit, so wird man vielleicht in Zukunft von den hohen Personenfahrpreisen
der Gegenwart singen und sagen. Denn die Reform, um die es sich im
Eisenbahnwesen handeln wird, wird zum mindesten von gleicher Tragweite sein
müssen, wie die, welche sich im Postwesen vollzogen hat. Man wird sich nach
ihrer Durchführung verhältnismäßig ebensowenig zu scheuen brauchen, in irgend
einer Angelegenheit aufs Geratewohl eine Reise zu thun, wie man sich heute
scheut, einen Brief zu schreiben, auf die Gefahr hin, zehn Pfennige Porto nutz¬
los auszugeben. Verhältnismäßig, sage ich. Wir wollen nicht außer Acht
lassen, daß immerhin ein wesentlicher Unterschied bleiben wird zwischen dem,
was der Schreiber eines Briefes, und dem, was der Unternehmer einer Reise


Beleuchtung aber eine große Tragweite zeigt, hofft er eine wesentliche Minde¬
rung der Betriebsunkosten zu erzielen; durch eine Steigerung des Verkehrs im
allgemeinen und durch das Aufrücken der Reisenden in bessere Bcfördcrungs-
klasfen (d. h. besonders durch gesteigerte Benutzung der ersten Klasse), somit
durch bessere Ausnutzung des Wagenraumes, hofft er den gewaltigen Ein¬
nahmeausfall, der durch die Verbilligung der Fahrpreise entstehen würde, zu
decken.

Es kann nicht meine Absicht sein, hier die Vorschlüge Engels ausführ¬
licher zu behandeln. Insbesondere muß ich wegen der Art und Weise, wie er
versucht, die Durchführbarkeit seines Gedankens durch Zahlen zu belegen, auf
das Buch selbst verweisen. Der Leser wird durch die stellenweise nicht ganz
parlamentarische Form desselben sich nicht abhalten lassen, den Inhalt nach Ver¬
dienst zu würdigen und wird nach meiner Überzeugung dazu kommen, in den
Gedanken Engels wenigstens einen sehr berechtigten Kern zu finden.

Eine gewisse Berechtigung scheint auch der preußische Eisenbahnminister
den Klagen und Anregungen Engels zuerkannt zu haben, denn wenn die
Zeitungsberichte nicht ganz auf falschen Wegen gehen, haben die Erwägungen
in Betreff einer Reform des Personenverkehrs in Preußen eben Engels Vor¬
schläge zum Ausgangspunkte gehabt.

Es soll sich nun freilich die einstweilige Undurchführbarkeit derselben her¬
ausgestellt haben, und es soll beabsichtigt werden, Reformen nach andrer Rich¬
tung zu bewirken. Es ist aber auch gewiß nicht notwendig, daß gerade die
Wege Engels eingeschlagen werden, wenn nur seine Ziele erreicht oder doch
wenigstens annähernd erreicht werden. Letzteres aber ist dringend zu wünschen;
ja es wird sich, wie gesagt, für die Zukunft als ein ganz unabweisbares Be¬
dürfnis herausstellen. Und nun zu der sozialen und volkswirtschaftlichen Wür¬
digung der Sache! Vergegenwärtigen wir es uns vor allem, was die Ver¬
wirklichung der Vorschläge Engels heißen würde.

„Es ist ein Brief da von der Post, der sechsunddreißig Kreuzer kost."
So heißes im Studentenliede, und den Musensohn, der das singt, heimelt es
an, wie ein Stück Mittelalter. Wie von dem hohen Briefporto der Vergan¬
genheit, so wird man vielleicht in Zukunft von den hohen Personenfahrpreisen
der Gegenwart singen und sagen. Denn die Reform, um die es sich im
Eisenbahnwesen handeln wird, wird zum mindesten von gleicher Tragweite sein
müssen, wie die, welche sich im Postwesen vollzogen hat. Man wird sich nach
ihrer Durchführung verhältnismäßig ebensowenig zu scheuen brauchen, in irgend
einer Angelegenheit aufs Geratewohl eine Reise zu thun, wie man sich heute
scheut, einen Brief zu schreiben, auf die Gefahr hin, zehn Pfennige Porto nutz¬
los auszugeben. Verhältnismäßig, sage ich. Wir wollen nicht außer Acht
lassen, daß immerhin ein wesentlicher Unterschied bleiben wird zwischen dem,
was der Schreiber eines Briefes, und dem, was der Unternehmer einer Reise


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/402>, abgerufen am 22.07.2024.