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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Universitäten im Mittelalter.

Vorschriften. Die Abstufungen der Prüfungen und der davon abhängenden
akademischen Grade kamen zwar an den verschiedenen Universitäten zu ver¬
schiedenartigem Ausdruck, beruhten aber doch wohl auf dem gleiche" Prinzip
der Zweiteilung. Das Baccalareat (nicht Baccalaureat; das Wort hat mit
limrus, Lorbeer, kaum etwas zu thun) ging dem Doktor vorher, es entspricht
dem heute üblichen Kandidaten. In den Universitäten des Bologneser Typus
bezeichnete es auch im wesentlichen dasselbe, während es auf den Kanzler¬
universitäten des Pariser Musters mit einer scharfen Prüfung (gegen Weih¬
nachten) verbunden war. Bologna kannte nur das Doktorexamen, und zwar
mit privatem und öffentlichem Mus, wie es noch heute üblich ist. Der
akademische Entwicklungsgang war hier weniger langwierig, wohl auch freier.
Der Doktor war hier die übliche Bezeichnung bei den Juristen, der Magister
bei den Artisten. Auch das hat noch Anwendung auf neuere Zeiten. Fausts
"Magister und Doktor gar" mag sich, wie wir annehmen, wohl auf seine Zu¬
gehörigkeit auch zur oberen Fakultät beziehen, oder es mag wenigstens ein ähn¬
liches Gefühl in der Wertschätzung der beiden Titel bei Goethe zu Grunde
gelegen haben. Die Prüfungen waren streng, namentlich die des Baccalareus
in Frankreich und England, der hier in der Novellenlitteratur so charakteristisch
ist. Sie berechtigten ursprünglich nicht zu Staatsämtern, aber nicht wenige
Graduirte, die dann die öffentliche Prüfung als lästig empfanden, wandten
sich ihnen zu. Namentlich in Italien griff bald die Erwerbung des Titels um
des Titels willen um sich. Da es hier mit großem Aufwand verknüpft war,
so erklärt es sich, daß auch die Prüfungspraxis sich sehr bald darnach einrichtete.
Bei dem spektakelsüchtigen Volke ward die Promotion rein zur prunkvollen
Szene. Schon Petrarca kann den Doktorhut, der einen Thoren im Nu zum
Weisen verwandelt, verspotten.

Mit diesen grundlegenden Organisationen war die Ausgestaltung der Uni¬
versität (Mitte des dreizehnten Jahrhunderts) im wesentlichen abgeschlossen,
mindestens nach Geist und Form entschieden. Den an den Brennpunkten der
mittelalterlichen Wissenschaft (der theologischen in Paris, der juristischen in
Bologna) bewährten Mustern beugten sich alle Universitäten, mochten sie sich
organisch gebildet haben, wie die alten englischen Schulstätten Oxford und
Cambridge (bis auf die Beibehaltung des Kanzleramtes), oder von staatlicher
Seite aus mit bewußtem Zweck (aus territorialen Rücksichten) gegründet worden
sein, wie bereits Neapel (von Kaiser Friedrich H.), in Spanien Lerida (von
Jakob von Arragonien) und die berühmten castilischen Universitäten. Die später
gegründeten deutschen Universitäten hielten sich besonders an das Pariser Muster.

Es ist damit nicht gesagt, daß bei dieser Bildung der Universitäten riva-
lisirende Einflüsse ausgeschlossen gewesen seien. Bereits mehr als drei Jahr¬
hunderte vor dem gewaltigen Vorstoß der Jesuiten gegen die Universitäten in
der Zeit der Gegenreformation hatte ihre Bildungsstätte Paris einen ähnlichen,


Die Universitäten im Mittelalter.

Vorschriften. Die Abstufungen der Prüfungen und der davon abhängenden
akademischen Grade kamen zwar an den verschiedenen Universitäten zu ver¬
schiedenartigem Ausdruck, beruhten aber doch wohl auf dem gleiche« Prinzip
der Zweiteilung. Das Baccalareat (nicht Baccalaureat; das Wort hat mit
limrus, Lorbeer, kaum etwas zu thun) ging dem Doktor vorher, es entspricht
dem heute üblichen Kandidaten. In den Universitäten des Bologneser Typus
bezeichnete es auch im wesentlichen dasselbe, während es auf den Kanzler¬
universitäten des Pariser Musters mit einer scharfen Prüfung (gegen Weih¬
nachten) verbunden war. Bologna kannte nur das Doktorexamen, und zwar
mit privatem und öffentlichem Mus, wie es noch heute üblich ist. Der
akademische Entwicklungsgang war hier weniger langwierig, wohl auch freier.
Der Doktor war hier die übliche Bezeichnung bei den Juristen, der Magister
bei den Artisten. Auch das hat noch Anwendung auf neuere Zeiten. Fausts
„Magister und Doktor gar" mag sich, wie wir annehmen, wohl auf seine Zu¬
gehörigkeit auch zur oberen Fakultät beziehen, oder es mag wenigstens ein ähn¬
liches Gefühl in der Wertschätzung der beiden Titel bei Goethe zu Grunde
gelegen haben. Die Prüfungen waren streng, namentlich die des Baccalareus
in Frankreich und England, der hier in der Novellenlitteratur so charakteristisch
ist. Sie berechtigten ursprünglich nicht zu Staatsämtern, aber nicht wenige
Graduirte, die dann die öffentliche Prüfung als lästig empfanden, wandten
sich ihnen zu. Namentlich in Italien griff bald die Erwerbung des Titels um
des Titels willen um sich. Da es hier mit großem Aufwand verknüpft war,
so erklärt es sich, daß auch die Prüfungspraxis sich sehr bald darnach einrichtete.
Bei dem spektakelsüchtigen Volke ward die Promotion rein zur prunkvollen
Szene. Schon Petrarca kann den Doktorhut, der einen Thoren im Nu zum
Weisen verwandelt, verspotten.

Mit diesen grundlegenden Organisationen war die Ausgestaltung der Uni¬
versität (Mitte des dreizehnten Jahrhunderts) im wesentlichen abgeschlossen,
mindestens nach Geist und Form entschieden. Den an den Brennpunkten der
mittelalterlichen Wissenschaft (der theologischen in Paris, der juristischen in
Bologna) bewährten Mustern beugten sich alle Universitäten, mochten sie sich
organisch gebildet haben, wie die alten englischen Schulstätten Oxford und
Cambridge (bis auf die Beibehaltung des Kanzleramtes), oder von staatlicher
Seite aus mit bewußtem Zweck (aus territorialen Rücksichten) gegründet worden
sein, wie bereits Neapel (von Kaiser Friedrich H.), in Spanien Lerida (von
Jakob von Arragonien) und die berühmten castilischen Universitäten. Die später
gegründeten deutschen Universitäten hielten sich besonders an das Pariser Muster.

Es ist damit nicht gesagt, daß bei dieser Bildung der Universitäten riva-
lisirende Einflüsse ausgeschlossen gewesen seien. Bereits mehr als drei Jahr¬
hunderte vor dem gewaltigen Vorstoß der Jesuiten gegen die Universitäten in
der Zeit der Gegenreformation hatte ihre Bildungsstätte Paris einen ähnlichen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/40>, abgerufen am 22.07.2024.