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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Ver Zollanschluß Hamburgs und Biemcns.

von Schleswig und Grafen von Holstein wählten, ans die Dauer von vier
Jahrhunderten dem deutschen Leben entfremdet waren, kehrten mit dem 1815
tauschweise an Dänemark abgetretenen Lauenburg zum großen Vaterlande zurück.
Auf dem Gebiete der materiellen Interessen enthielt die Verfassung Versprech¬
ungen, wovon noch eine nahe Vergangenheit kaum zu träumen wagte. Vor
allem hatte die preußische Handelspolitik endlich einen durchschlagenden Erfolg
zu verzeichnen: der Grundsatz der Zolleinheit ward in die neue Verfassungs-
urkunde aufgenommen. Da es gewiß war, daß die Zollvereins-Verträge mit
den süddeutschen Staaten fortdauern, und daß ebenso die Elbherzogtümer und
die Großherzogtümer Mecklenburg nach den notwendigen Verständigungen mit
den Vereins-Regierungen in den Zollverband eintreten würden, so war in der
That das ganze Hinterland der Hansestädte dem nationalen Wirtschaftsgebiete
angeschlossen. Die von den Wortführern der Hanseaten so oft herbeigesehnte
Zentralgewalt war wirklich vorhanden, und sie war stark genug, die Interessen
unsers Handels und unsrer Schiffahrt gegen jedermann zu wahren. Von den
verschiedensten Seiten wurde daher damals behauptet, die weitere Sonderstellung
der Hansestädte sei völlig Sinn- und zwecklos geworden. Die Ostsee-Hafenstädte
protestirten aufs eindringlichste gegen ein ferneres Handelsmonopol der Hanseaten.
Eine aus Chemnitz stammende Petition von 1400 Fabrikanten-Firmen Deutsch¬
lands forderte ihre sofortige Einschließung in die gemeinsamen Zollliuien. Der
Abgeordnete Wiggers erklärte, daß eine weitere Einräumung der Freihafenstellung
an die Hansestädte dem Gesamtinteresse des Zollvereins widerspreche, und daß
ein Paragraph, der von vornherein das Zollvereinsgebiet zerreiße, überhaupt
nicht in die Verfassungsurkunde gehöre. Es genüge, den Hansestädten einstweilen,
etwa auf drei Jahre, ihre bisherige Stellung zu lassen, damit sie sich auf den
Eintritt in den Zollverein bis dahin vorbereiten könnten. Der Abgeordnete
Evans beantragte, die Hansestädte nur vorläufig als Freihafen außerhalb der
gemeinschaftlichen Zollgrenze fortbestehen zu lassen, bis die Buudesgesetzgebuug
ihren Eintritt beschließen würde. Der konstituirende norddeutsche Reichstag
dagegen schlug einen Mittelweg ein. Er verwarf den Antrag des Abgeord¬
neten Evans, die Frcihafenstellung der Hansestädte nur bis zum Erlaß eines
Bundesgesetzes anzuerkennen, und überließ es vertrauensvoll den Städten
selbst, ihre Einschließung in die gemeinschaftliche Zollgrenze zu beantragen.

Aber wie schonend man auch aus föderalistischen Zartgefühl zu Werke
ging, so zeigen doch Form und Inhalt der Verfassung des Norddeutschen
Bundes unwiderleglich, daß der Gesetzgeber die Ausschließung der Hansestädte
nur als eine einstweilige und vorübergehende betrachtete. Nach Artikel 30 der¬
selben bildet der Bund ein Zoll- und Handelsgebict. Artikel 31 gewährt den
drei Hansestädten eine Ausnahme von diesem Hauptgrundsätze, doch mit der
ausdrücklichen zeitlichen Beschränkung: "bis sie ihren Einschluß beantragen."
Die Verfassung selbst bestimmte also bereits die Formen der Wiederaufhebung


Ver Zollanschluß Hamburgs und Biemcns.

von Schleswig und Grafen von Holstein wählten, ans die Dauer von vier
Jahrhunderten dem deutschen Leben entfremdet waren, kehrten mit dem 1815
tauschweise an Dänemark abgetretenen Lauenburg zum großen Vaterlande zurück.
Auf dem Gebiete der materiellen Interessen enthielt die Verfassung Versprech¬
ungen, wovon noch eine nahe Vergangenheit kaum zu träumen wagte. Vor
allem hatte die preußische Handelspolitik endlich einen durchschlagenden Erfolg
zu verzeichnen: der Grundsatz der Zolleinheit ward in die neue Verfassungs-
urkunde aufgenommen. Da es gewiß war, daß die Zollvereins-Verträge mit
den süddeutschen Staaten fortdauern, und daß ebenso die Elbherzogtümer und
die Großherzogtümer Mecklenburg nach den notwendigen Verständigungen mit
den Vereins-Regierungen in den Zollverband eintreten würden, so war in der
That das ganze Hinterland der Hansestädte dem nationalen Wirtschaftsgebiete
angeschlossen. Die von den Wortführern der Hanseaten so oft herbeigesehnte
Zentralgewalt war wirklich vorhanden, und sie war stark genug, die Interessen
unsers Handels und unsrer Schiffahrt gegen jedermann zu wahren. Von den
verschiedensten Seiten wurde daher damals behauptet, die weitere Sonderstellung
der Hansestädte sei völlig Sinn- und zwecklos geworden. Die Ostsee-Hafenstädte
protestirten aufs eindringlichste gegen ein ferneres Handelsmonopol der Hanseaten.
Eine aus Chemnitz stammende Petition von 1400 Fabrikanten-Firmen Deutsch¬
lands forderte ihre sofortige Einschließung in die gemeinsamen Zollliuien. Der
Abgeordnete Wiggers erklärte, daß eine weitere Einräumung der Freihafenstellung
an die Hansestädte dem Gesamtinteresse des Zollvereins widerspreche, und daß
ein Paragraph, der von vornherein das Zollvereinsgebiet zerreiße, überhaupt
nicht in die Verfassungsurkunde gehöre. Es genüge, den Hansestädten einstweilen,
etwa auf drei Jahre, ihre bisherige Stellung zu lassen, damit sie sich auf den
Eintritt in den Zollverein bis dahin vorbereiten könnten. Der Abgeordnete
Evans beantragte, die Hansestädte nur vorläufig als Freihafen außerhalb der
gemeinschaftlichen Zollgrenze fortbestehen zu lassen, bis die Buudesgesetzgebuug
ihren Eintritt beschließen würde. Der konstituirende norddeutsche Reichstag
dagegen schlug einen Mittelweg ein. Er verwarf den Antrag des Abgeord¬
neten Evans, die Frcihafenstellung der Hansestädte nur bis zum Erlaß eines
Bundesgesetzes anzuerkennen, und überließ es vertrauensvoll den Städten
selbst, ihre Einschließung in die gemeinschaftliche Zollgrenze zu beantragen.

Aber wie schonend man auch aus föderalistischen Zartgefühl zu Werke
ging, so zeigen doch Form und Inhalt der Verfassung des Norddeutschen
Bundes unwiderleglich, daß der Gesetzgeber die Ausschließung der Hansestädte
nur als eine einstweilige und vorübergehende betrachtete. Nach Artikel 30 der¬
selben bildet der Bund ein Zoll- und Handelsgebict. Artikel 31 gewährt den
drei Hansestädten eine Ausnahme von diesem Hauptgrundsätze, doch mit der
ausdrücklichen zeitlichen Beschränkung: „bis sie ihren Einschluß beantragen."
Die Verfassung selbst bestimmte also bereits die Formen der Wiederaufhebung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/399>, abgerufen am 22.07.2024.