Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die preußische Landtagswahl und die römische Frage.

Kanzeln wird für den Sonntag vor der Wahl angeordnet. Mit dem "Wahl¬
aufruf des polnischen Provinzial-Wahlkomitvs in Posen" wollen wir hier nicht
rechten, auffallend ist darin aber die Wendung: "Nur für diese Kandidaten,
die durch unsre höchste Wahlbchörde aufgestellt sind, werden die von euch ge¬
wählten Wahlmänner stimmen." Hiernach giebt es also innerhalb oder außer¬
halb Preußens eine "höchste Wahlbchörde", die den polnischen Preußen die
Kandidaten aufnötigt. Da der Wahlaufruf des Zentrums, sogar unter Be¬
rufung auf Kaiser Friedrich, die Verfassung so sehr in den Vordergrund stellt,
so erfahren wir von dieser Seite vielleicht auch gelegentlich, in welchem ver¬
fassungsmäßigen Verhältnis diese polnische "höchste Wahlbehörde" steht. Dann
wäre es aber anch erwünscht, über die Verfassungsmäßigkeit der bischöflichen
Wahlbeeinflussung Aufschluß zu erhallen. Wenn die Oberpräsidenten von Rhein¬
land und Westfalen in ähnlicher Weise mit Wahlerlassen aufgetreten wären
und den Beamten der Provinz aufgegeben hätten, "mit Eifer für gute Wahlen
einzutreten", wie das die Bischöfe ihre" Beamten gegenüber gethan haben, so
würde wahrscheinlich die Zentrumspresse laut über Vergewaltigung geklagt und
das Zentrum lange Reden über dieses Thema für den Landtag vorbereitet
haben. Fast noch bedenklicher ist das Verhalten des Bischofs von Fulda, der
zwar keinen Hirtenbrief erlassen, jedoch das Fuldaer Wahlkomitö der Zentrums¬
partei ermächtigt hat, den Urwühlcrn von seinem Einverständnis mit den Be¬
strebungen des Zentrums und des Komitss Kenntnis zu geben, denen er in
seiner Diözese den besten Erfolg wünsche. Also hier sogar ein unumwunden
ausgesprochenes Eintreten für die Partei!

Der Staat hat fortan mit dieser, jedenfalls nicht im Sinne des Kircheu-
sriedens liegenden Stellungnahme der Bischöfe für eine bestimmte Partei zu
rechnen, für eine Partei, die im Gegensatz zum Papst erklärt, daß der Religions¬
streit noch lange nicht beendet sei. Als Obliegenheit ihres Oberhirtenamts
vermögen wir uns das nicht zu denken. Wollen die Bischöfe damit die mancherlei
schwerwiegenden Bedenken rechtfertigen, die gegen das Kirchengesetz geltend
gemacht wurden, und deren Überwindung herbeizuführen vielleicht das schwerste
Stück Arbeit des Kanzlers an dem Friedcnswerke gewesen ist? Die Wahl¬
beeinflussung von geistlicher Seite wiegt jedenfalls unendlich schwerer als jede
Wahlbeeinflussung Vonseiten irgend eines weltlichen Beamten, der im schlimmsten
Falle in das irdische Wohlergehen, nicht aber in das Seelenheil der Wähler
eingreift.

Wir stehen der Thatsache gegenüber, daß preußische Bischöfe es auch jetzt
noch als mit ihrem Amte vereinbar erachtet haben, die Offensive gegen den
Staat, welche Herr Windthorst ankündigte, mit allen Mitteln ihres Bischofsamtes
zu unterstützen, eine Offensive, die übrigens eben so deutlich, als in dem Wahl¬
programm selbst, auf der Katholikenversammlung in Freiburg, dem Vereins-
jubiläum in Mainz u. s. w. hervorgetreten ist. Ihre besondere Illustration


Grenzboten IV. 1883. 43
Die preußische Landtagswahl und die römische Frage.

Kanzeln wird für den Sonntag vor der Wahl angeordnet. Mit dem „Wahl¬
aufruf des polnischen Provinzial-Wahlkomitvs in Posen" wollen wir hier nicht
rechten, auffallend ist darin aber die Wendung: „Nur für diese Kandidaten,
die durch unsre höchste Wahlbchörde aufgestellt sind, werden die von euch ge¬
wählten Wahlmänner stimmen." Hiernach giebt es also innerhalb oder außer¬
halb Preußens eine „höchste Wahlbchörde", die den polnischen Preußen die
Kandidaten aufnötigt. Da der Wahlaufruf des Zentrums, sogar unter Be¬
rufung auf Kaiser Friedrich, die Verfassung so sehr in den Vordergrund stellt,
so erfahren wir von dieser Seite vielleicht auch gelegentlich, in welchem ver¬
fassungsmäßigen Verhältnis diese polnische „höchste Wahlbehörde" steht. Dann
wäre es aber anch erwünscht, über die Verfassungsmäßigkeit der bischöflichen
Wahlbeeinflussung Aufschluß zu erhallen. Wenn die Oberpräsidenten von Rhein¬
land und Westfalen in ähnlicher Weise mit Wahlerlassen aufgetreten wären
und den Beamten der Provinz aufgegeben hätten, „mit Eifer für gute Wahlen
einzutreten", wie das die Bischöfe ihre« Beamten gegenüber gethan haben, so
würde wahrscheinlich die Zentrumspresse laut über Vergewaltigung geklagt und
das Zentrum lange Reden über dieses Thema für den Landtag vorbereitet
haben. Fast noch bedenklicher ist das Verhalten des Bischofs von Fulda, der
zwar keinen Hirtenbrief erlassen, jedoch das Fuldaer Wahlkomitö der Zentrums¬
partei ermächtigt hat, den Urwühlcrn von seinem Einverständnis mit den Be¬
strebungen des Zentrums und des Komitss Kenntnis zu geben, denen er in
seiner Diözese den besten Erfolg wünsche. Also hier sogar ein unumwunden
ausgesprochenes Eintreten für die Partei!

Der Staat hat fortan mit dieser, jedenfalls nicht im Sinne des Kircheu-
sriedens liegenden Stellungnahme der Bischöfe für eine bestimmte Partei zu
rechnen, für eine Partei, die im Gegensatz zum Papst erklärt, daß der Religions¬
streit noch lange nicht beendet sei. Als Obliegenheit ihres Oberhirtenamts
vermögen wir uns das nicht zu denken. Wollen die Bischöfe damit die mancherlei
schwerwiegenden Bedenken rechtfertigen, die gegen das Kirchengesetz geltend
gemacht wurden, und deren Überwindung herbeizuführen vielleicht das schwerste
Stück Arbeit des Kanzlers an dem Friedcnswerke gewesen ist? Die Wahl¬
beeinflussung von geistlicher Seite wiegt jedenfalls unendlich schwerer als jede
Wahlbeeinflussung Vonseiten irgend eines weltlichen Beamten, der im schlimmsten
Falle in das irdische Wohlergehen, nicht aber in das Seelenheil der Wähler
eingreift.

Wir stehen der Thatsache gegenüber, daß preußische Bischöfe es auch jetzt
noch als mit ihrem Amte vereinbar erachtet haben, die Offensive gegen den
Staat, welche Herr Windthorst ankündigte, mit allen Mitteln ihres Bischofsamtes
zu unterstützen, eine Offensive, die übrigens eben so deutlich, als in dem Wahl¬
programm selbst, auf der Katholikenversammlung in Freiburg, dem Vereins-
jubiläum in Mainz u. s. w. hervorgetreten ist. Ihre besondere Illustration


Grenzboten IV. 1883. 43
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0385" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203820"/>
          <fw type="header" place="top"> Die preußische Landtagswahl und die römische Frage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_967" prev="#ID_966"> Kanzeln wird für den Sonntag vor der Wahl angeordnet. Mit dem &#x201E;Wahl¬<lb/>
aufruf des polnischen Provinzial-Wahlkomitvs in Posen" wollen wir hier nicht<lb/>
rechten, auffallend ist darin aber die Wendung: &#x201E;Nur für diese Kandidaten,<lb/>
die durch unsre höchste Wahlbchörde aufgestellt sind, werden die von euch ge¬<lb/>
wählten Wahlmänner stimmen." Hiernach giebt es also innerhalb oder außer¬<lb/>
halb Preußens eine &#x201E;höchste Wahlbchörde", die den polnischen Preußen die<lb/>
Kandidaten aufnötigt. Da der Wahlaufruf des Zentrums, sogar unter Be¬<lb/>
rufung auf Kaiser Friedrich, die Verfassung so sehr in den Vordergrund stellt,<lb/>
so erfahren wir von dieser Seite vielleicht auch gelegentlich, in welchem ver¬<lb/>
fassungsmäßigen Verhältnis diese polnische &#x201E;höchste Wahlbehörde" steht. Dann<lb/>
wäre es aber anch erwünscht, über die Verfassungsmäßigkeit der bischöflichen<lb/>
Wahlbeeinflussung Aufschluß zu erhallen. Wenn die Oberpräsidenten von Rhein¬<lb/>
land und Westfalen in ähnlicher Weise mit Wahlerlassen aufgetreten wären<lb/>
und den Beamten der Provinz aufgegeben hätten, &#x201E;mit Eifer für gute Wahlen<lb/>
einzutreten", wie das die Bischöfe ihre« Beamten gegenüber gethan haben, so<lb/>
würde wahrscheinlich die Zentrumspresse laut über Vergewaltigung geklagt und<lb/>
das Zentrum lange Reden über dieses Thema für den Landtag vorbereitet<lb/>
haben. Fast noch bedenklicher ist das Verhalten des Bischofs von Fulda, der<lb/>
zwar keinen Hirtenbrief erlassen, jedoch das Fuldaer Wahlkomitö der Zentrums¬<lb/>
partei ermächtigt hat, den Urwühlcrn von seinem Einverständnis mit den Be¬<lb/>
strebungen des Zentrums und des Komitss Kenntnis zu geben, denen er in<lb/>
seiner Diözese den besten Erfolg wünsche. Also hier sogar ein unumwunden<lb/>
ausgesprochenes Eintreten für die Partei!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_968"> Der Staat hat fortan mit dieser, jedenfalls nicht im Sinne des Kircheu-<lb/>
sriedens liegenden Stellungnahme der Bischöfe für eine bestimmte Partei zu<lb/>
rechnen, für eine Partei, die im Gegensatz zum Papst erklärt, daß der Religions¬<lb/>
streit noch lange nicht beendet sei. Als Obliegenheit ihres Oberhirtenamts<lb/>
vermögen wir uns das nicht zu denken. Wollen die Bischöfe damit die mancherlei<lb/>
schwerwiegenden Bedenken rechtfertigen, die gegen das Kirchengesetz geltend<lb/>
gemacht wurden, und deren Überwindung herbeizuführen vielleicht das schwerste<lb/>
Stück Arbeit des Kanzlers an dem Friedcnswerke gewesen ist? Die Wahl¬<lb/>
beeinflussung von geistlicher Seite wiegt jedenfalls unendlich schwerer als jede<lb/>
Wahlbeeinflussung Vonseiten irgend eines weltlichen Beamten, der im schlimmsten<lb/>
Falle in das irdische Wohlergehen, nicht aber in das Seelenheil der Wähler<lb/>
eingreift.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_969" next="#ID_970"> Wir stehen der Thatsache gegenüber, daß preußische Bischöfe es auch jetzt<lb/>
noch als mit ihrem Amte vereinbar erachtet haben, die Offensive gegen den<lb/>
Staat, welche Herr Windthorst ankündigte, mit allen Mitteln ihres Bischofsamtes<lb/>
zu unterstützen, eine Offensive, die übrigens eben so deutlich, als in dem Wahl¬<lb/>
programm selbst, auf der Katholikenversammlung in Freiburg, dem Vereins-<lb/>
jubiläum in Mainz u. s. w. hervorgetreten ist. Ihre besondere Illustration</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1883. 43</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0385] Die preußische Landtagswahl und die römische Frage. Kanzeln wird für den Sonntag vor der Wahl angeordnet. Mit dem „Wahl¬ aufruf des polnischen Provinzial-Wahlkomitvs in Posen" wollen wir hier nicht rechten, auffallend ist darin aber die Wendung: „Nur für diese Kandidaten, die durch unsre höchste Wahlbchörde aufgestellt sind, werden die von euch ge¬ wählten Wahlmänner stimmen." Hiernach giebt es also innerhalb oder außer¬ halb Preußens eine „höchste Wahlbchörde", die den polnischen Preußen die Kandidaten aufnötigt. Da der Wahlaufruf des Zentrums, sogar unter Be¬ rufung auf Kaiser Friedrich, die Verfassung so sehr in den Vordergrund stellt, so erfahren wir von dieser Seite vielleicht auch gelegentlich, in welchem ver¬ fassungsmäßigen Verhältnis diese polnische „höchste Wahlbehörde" steht. Dann wäre es aber anch erwünscht, über die Verfassungsmäßigkeit der bischöflichen Wahlbeeinflussung Aufschluß zu erhallen. Wenn die Oberpräsidenten von Rhein¬ land und Westfalen in ähnlicher Weise mit Wahlerlassen aufgetreten wären und den Beamten der Provinz aufgegeben hätten, „mit Eifer für gute Wahlen einzutreten", wie das die Bischöfe ihre« Beamten gegenüber gethan haben, so würde wahrscheinlich die Zentrumspresse laut über Vergewaltigung geklagt und das Zentrum lange Reden über dieses Thema für den Landtag vorbereitet haben. Fast noch bedenklicher ist das Verhalten des Bischofs von Fulda, der zwar keinen Hirtenbrief erlassen, jedoch das Fuldaer Wahlkomitö der Zentrums¬ partei ermächtigt hat, den Urwühlcrn von seinem Einverständnis mit den Be¬ strebungen des Zentrums und des Komitss Kenntnis zu geben, denen er in seiner Diözese den besten Erfolg wünsche. Also hier sogar ein unumwunden ausgesprochenes Eintreten für die Partei! Der Staat hat fortan mit dieser, jedenfalls nicht im Sinne des Kircheu- sriedens liegenden Stellungnahme der Bischöfe für eine bestimmte Partei zu rechnen, für eine Partei, die im Gegensatz zum Papst erklärt, daß der Religions¬ streit noch lange nicht beendet sei. Als Obliegenheit ihres Oberhirtenamts vermögen wir uns das nicht zu denken. Wollen die Bischöfe damit die mancherlei schwerwiegenden Bedenken rechtfertigen, die gegen das Kirchengesetz geltend gemacht wurden, und deren Überwindung herbeizuführen vielleicht das schwerste Stück Arbeit des Kanzlers an dem Friedcnswerke gewesen ist? Die Wahl¬ beeinflussung von geistlicher Seite wiegt jedenfalls unendlich schwerer als jede Wahlbeeinflussung Vonseiten irgend eines weltlichen Beamten, der im schlimmsten Falle in das irdische Wohlergehen, nicht aber in das Seelenheil der Wähler eingreift. Wir stehen der Thatsache gegenüber, daß preußische Bischöfe es auch jetzt noch als mit ihrem Amte vereinbar erachtet haben, die Offensive gegen den Staat, welche Herr Windthorst ankündigte, mit allen Mitteln ihres Bischofsamtes zu unterstützen, eine Offensive, die übrigens eben so deutlich, als in dem Wahl¬ programm selbst, auf der Katholikenversammlung in Freiburg, dem Vereins- jubiläum in Mainz u. s. w. hervorgetreten ist. Ihre besondere Illustration Grenzboten IV. 1883. 43

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/385
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/385>, abgerufen am 04.07.2024.