Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die preußische Landtagswahl und die römische Frage.

nehmen, ward zwar von dem Fürstbischof zu Breslau unterdrückt, bleibt aber
bezeichnend für den Geist der Auflehnung gegen höchste päpstliche Entscheidung,
wie er bei diesem Kirchengesetz in kaum je erhörter Weise hervortrat. Im Fe¬
bruar stellte Herr Windthorst auf dem Landtage seine bekannten Schulauträge,
aus seinem Verhalten bei der Beratung des Kultusetats hätte niemand ent¬
nehmen können, daß diese doch fast ein Jahr nach dem Friedensschlüsse stattfand.

Die schweren Schickungen, die dann über Deutschland hereinbrachen, drängten
wie so viele andre Fragen auch die kirchliche in den Hintergrund; erst mit
der Wahlbewegung für die Landtagswahl erschien das Zentrum wieder auf
dem Plane. Die Verhältnisse hatten sich inzwischen wesentlich geändert. Das
Drei-Kaiser-Jahr hatte die Tragfähigkeit des jungen Reiches der denkbar
schwersten Probe unterworfen, und das Reich hatte sie glänzend bestanden. Aus
der Einmütigkeit der Trauer war im Süden wie im Norden eine entschlossene
Einmütigkeit der nationalen Gesinnung erwachsen, für partikularistische Regungen,
die ehedem mit zu den stärksten Nährwurzeln des Zentrums gehört hatten,
schien fortan nur noch geringe Aussicht zu sein. Deutschlands ausschlaggebende
Stellung war eher befestigt als gemindert, im Innern war die Nation in
weitesten Kreisen von einer unverkennbaren Beruhigung und Zuversicht erfüllt.

Unter einer so gestalteten Gesamtlage erging am 4. Oktober, als der Kaiser
auf dem Wege uach Rom bereits in Wien weilte, der aus dem Monat Juni (!)
datirte Wahlaufruf des Zentrums. Nicht ohne Mühe war aus ihm zu ersehen,
ob er vor oder nach dem 16. Juni redigirt war, zweimal sind darin Stellen
aus dem Erlasse Kaiser Friedrichs vom 12. März zitirt. Auch hier also der
Versuch, den König gegen den König auszuspielen. Gleich Herrn Richter findet
auch das Zentrum "in den feierlichen Königsworten jüngster Zeit unsre
ganze Haltung seit dem Bestände der Partei bestätigt." Als ob die von Kaiser
Friedrich befürwortete "gesunde Grundlage der Gottesfurcht" die von Herrn
Windthorst verfochtene wäre!

Wer geglaubt hatte, das Zentrum werde zu den Wahlen eine der neuen
politischen Lage Rechnung tragende, sie erleichternde Haltung annehmen, hatte
sich somit verrechnet. Des Kirchenfriedens ward zwar "dankbar" als eines "nicht
zu unterschätzenden Anfanges" gedacht, jedoch hinzugefügt: "Noch ist die Freiheit
unsrer heiligen Religion in Preußen und in Deutschland nicht erstritten, die
Aufgabe, die wir uns- vorgesetzt, noch nicht gelöst." Also auf das llnis ürixo-
Mus des Papstes die erneute Ankündigung der Fortsetzung des Streites, auf
die Erklärung des päpstlichen Breve, daß die Katholiken nunmehr in unge¬
störter Freiheit ihre kirchlichen Bedürfnisse befriedigen könnten, die Behauptung,
daß diese Freiheit erst erstritten werden müsse! Daran knüpfte sich in behag¬
licher Breite von neuem der Schulantrag, der den gesamten Religionsunterricht
einfach in die Hände der "kirchlichen Oberen" legt. Welche Früchte der
preußische Staat davon zu gewärtigen hätte, haben uns die polnischen Landes-


Die preußische Landtagswahl und die römische Frage.

nehmen, ward zwar von dem Fürstbischof zu Breslau unterdrückt, bleibt aber
bezeichnend für den Geist der Auflehnung gegen höchste päpstliche Entscheidung,
wie er bei diesem Kirchengesetz in kaum je erhörter Weise hervortrat. Im Fe¬
bruar stellte Herr Windthorst auf dem Landtage seine bekannten Schulauträge,
aus seinem Verhalten bei der Beratung des Kultusetats hätte niemand ent¬
nehmen können, daß diese doch fast ein Jahr nach dem Friedensschlüsse stattfand.

Die schweren Schickungen, die dann über Deutschland hereinbrachen, drängten
wie so viele andre Fragen auch die kirchliche in den Hintergrund; erst mit
der Wahlbewegung für die Landtagswahl erschien das Zentrum wieder auf
dem Plane. Die Verhältnisse hatten sich inzwischen wesentlich geändert. Das
Drei-Kaiser-Jahr hatte die Tragfähigkeit des jungen Reiches der denkbar
schwersten Probe unterworfen, und das Reich hatte sie glänzend bestanden. Aus
der Einmütigkeit der Trauer war im Süden wie im Norden eine entschlossene
Einmütigkeit der nationalen Gesinnung erwachsen, für partikularistische Regungen,
die ehedem mit zu den stärksten Nährwurzeln des Zentrums gehört hatten,
schien fortan nur noch geringe Aussicht zu sein. Deutschlands ausschlaggebende
Stellung war eher befestigt als gemindert, im Innern war die Nation in
weitesten Kreisen von einer unverkennbaren Beruhigung und Zuversicht erfüllt.

Unter einer so gestalteten Gesamtlage erging am 4. Oktober, als der Kaiser
auf dem Wege uach Rom bereits in Wien weilte, der aus dem Monat Juni (!)
datirte Wahlaufruf des Zentrums. Nicht ohne Mühe war aus ihm zu ersehen,
ob er vor oder nach dem 16. Juni redigirt war, zweimal sind darin Stellen
aus dem Erlasse Kaiser Friedrichs vom 12. März zitirt. Auch hier also der
Versuch, den König gegen den König auszuspielen. Gleich Herrn Richter findet
auch das Zentrum „in den feierlichen Königsworten jüngster Zeit unsre
ganze Haltung seit dem Bestände der Partei bestätigt." Als ob die von Kaiser
Friedrich befürwortete „gesunde Grundlage der Gottesfurcht" die von Herrn
Windthorst verfochtene wäre!

Wer geglaubt hatte, das Zentrum werde zu den Wahlen eine der neuen
politischen Lage Rechnung tragende, sie erleichternde Haltung annehmen, hatte
sich somit verrechnet. Des Kirchenfriedens ward zwar „dankbar" als eines „nicht
zu unterschätzenden Anfanges" gedacht, jedoch hinzugefügt: „Noch ist die Freiheit
unsrer heiligen Religion in Preußen und in Deutschland nicht erstritten, die
Aufgabe, die wir uns- vorgesetzt, noch nicht gelöst." Also auf das llnis ürixo-
Mus des Papstes die erneute Ankündigung der Fortsetzung des Streites, auf
die Erklärung des päpstlichen Breve, daß die Katholiken nunmehr in unge¬
störter Freiheit ihre kirchlichen Bedürfnisse befriedigen könnten, die Behauptung,
daß diese Freiheit erst erstritten werden müsse! Daran knüpfte sich in behag¬
licher Breite von neuem der Schulantrag, der den gesamten Religionsunterricht
einfach in die Hände der „kirchlichen Oberen" legt. Welche Früchte der
preußische Staat davon zu gewärtigen hätte, haben uns die polnischen Landes-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203818"/>
          <fw type="header" place="top"> Die preußische Landtagswahl und die römische Frage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_961" prev="#ID_960"> nehmen, ward zwar von dem Fürstbischof zu Breslau unterdrückt, bleibt aber<lb/>
bezeichnend für den Geist der Auflehnung gegen höchste päpstliche Entscheidung,<lb/>
wie er bei diesem Kirchengesetz in kaum je erhörter Weise hervortrat. Im Fe¬<lb/>
bruar stellte Herr Windthorst auf dem Landtage seine bekannten Schulauträge,<lb/>
aus seinem Verhalten bei der Beratung des Kultusetats hätte niemand ent¬<lb/>
nehmen können, daß diese doch fast ein Jahr nach dem Friedensschlüsse stattfand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_962"> Die schweren Schickungen, die dann über Deutschland hereinbrachen, drängten<lb/>
wie so viele andre Fragen auch die kirchliche in den Hintergrund; erst mit<lb/>
der Wahlbewegung für die Landtagswahl erschien das Zentrum wieder auf<lb/>
dem Plane. Die Verhältnisse hatten sich inzwischen wesentlich geändert. Das<lb/>
Drei-Kaiser-Jahr hatte die Tragfähigkeit des jungen Reiches der denkbar<lb/>
schwersten Probe unterworfen, und das Reich hatte sie glänzend bestanden. Aus<lb/>
der Einmütigkeit der Trauer war im Süden wie im Norden eine entschlossene<lb/>
Einmütigkeit der nationalen Gesinnung erwachsen, für partikularistische Regungen,<lb/>
die ehedem mit zu den stärksten Nährwurzeln des Zentrums gehört hatten,<lb/>
schien fortan nur noch geringe Aussicht zu sein. Deutschlands ausschlaggebende<lb/>
Stellung war eher befestigt als gemindert, im Innern war die Nation in<lb/>
weitesten Kreisen von einer unverkennbaren Beruhigung und Zuversicht erfüllt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_963"> Unter einer so gestalteten Gesamtlage erging am 4. Oktober, als der Kaiser<lb/>
auf dem Wege uach Rom bereits in Wien weilte, der aus dem Monat Juni (!)<lb/>
datirte Wahlaufruf des Zentrums. Nicht ohne Mühe war aus ihm zu ersehen,<lb/>
ob er vor oder nach dem 16. Juni redigirt war, zweimal sind darin Stellen<lb/>
aus dem Erlasse Kaiser Friedrichs vom 12. März zitirt. Auch hier also der<lb/>
Versuch, den König gegen den König auszuspielen. Gleich Herrn Richter findet<lb/>
auch das Zentrum &#x201E;in den feierlichen Königsworten jüngster Zeit unsre<lb/>
ganze Haltung seit dem Bestände der Partei bestätigt." Als ob die von Kaiser<lb/>
Friedrich befürwortete &#x201E;gesunde Grundlage der Gottesfurcht" die von Herrn<lb/>
Windthorst verfochtene wäre!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_964" next="#ID_965"> Wer geglaubt hatte, das Zentrum werde zu den Wahlen eine der neuen<lb/>
politischen Lage Rechnung tragende, sie erleichternde Haltung annehmen, hatte<lb/>
sich somit verrechnet. Des Kirchenfriedens ward zwar &#x201E;dankbar" als eines &#x201E;nicht<lb/>
zu unterschätzenden Anfanges" gedacht, jedoch hinzugefügt: &#x201E;Noch ist die Freiheit<lb/>
unsrer heiligen Religion in Preußen und in Deutschland nicht erstritten, die<lb/>
Aufgabe, die wir uns- vorgesetzt, noch nicht gelöst." Also auf das llnis ürixo-<lb/>
Mus des Papstes die erneute Ankündigung der Fortsetzung des Streites, auf<lb/>
die Erklärung des päpstlichen Breve, daß die Katholiken nunmehr in unge¬<lb/>
störter Freiheit ihre kirchlichen Bedürfnisse befriedigen könnten, die Behauptung,<lb/>
daß diese Freiheit erst erstritten werden müsse! Daran knüpfte sich in behag¬<lb/>
licher Breite von neuem der Schulantrag, der den gesamten Religionsunterricht<lb/>
einfach in die Hände der &#x201E;kirchlichen Oberen" legt. Welche Früchte der<lb/>
preußische Staat davon zu gewärtigen hätte, haben uns die polnischen Landes-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0383] Die preußische Landtagswahl und die römische Frage. nehmen, ward zwar von dem Fürstbischof zu Breslau unterdrückt, bleibt aber bezeichnend für den Geist der Auflehnung gegen höchste päpstliche Entscheidung, wie er bei diesem Kirchengesetz in kaum je erhörter Weise hervortrat. Im Fe¬ bruar stellte Herr Windthorst auf dem Landtage seine bekannten Schulauträge, aus seinem Verhalten bei der Beratung des Kultusetats hätte niemand ent¬ nehmen können, daß diese doch fast ein Jahr nach dem Friedensschlüsse stattfand. Die schweren Schickungen, die dann über Deutschland hereinbrachen, drängten wie so viele andre Fragen auch die kirchliche in den Hintergrund; erst mit der Wahlbewegung für die Landtagswahl erschien das Zentrum wieder auf dem Plane. Die Verhältnisse hatten sich inzwischen wesentlich geändert. Das Drei-Kaiser-Jahr hatte die Tragfähigkeit des jungen Reiches der denkbar schwersten Probe unterworfen, und das Reich hatte sie glänzend bestanden. Aus der Einmütigkeit der Trauer war im Süden wie im Norden eine entschlossene Einmütigkeit der nationalen Gesinnung erwachsen, für partikularistische Regungen, die ehedem mit zu den stärksten Nährwurzeln des Zentrums gehört hatten, schien fortan nur noch geringe Aussicht zu sein. Deutschlands ausschlaggebende Stellung war eher befestigt als gemindert, im Innern war die Nation in weitesten Kreisen von einer unverkennbaren Beruhigung und Zuversicht erfüllt. Unter einer so gestalteten Gesamtlage erging am 4. Oktober, als der Kaiser auf dem Wege uach Rom bereits in Wien weilte, der aus dem Monat Juni (!) datirte Wahlaufruf des Zentrums. Nicht ohne Mühe war aus ihm zu ersehen, ob er vor oder nach dem 16. Juni redigirt war, zweimal sind darin Stellen aus dem Erlasse Kaiser Friedrichs vom 12. März zitirt. Auch hier also der Versuch, den König gegen den König auszuspielen. Gleich Herrn Richter findet auch das Zentrum „in den feierlichen Königsworten jüngster Zeit unsre ganze Haltung seit dem Bestände der Partei bestätigt." Als ob die von Kaiser Friedrich befürwortete „gesunde Grundlage der Gottesfurcht" die von Herrn Windthorst verfochtene wäre! Wer geglaubt hatte, das Zentrum werde zu den Wahlen eine der neuen politischen Lage Rechnung tragende, sie erleichternde Haltung annehmen, hatte sich somit verrechnet. Des Kirchenfriedens ward zwar „dankbar" als eines „nicht zu unterschätzenden Anfanges" gedacht, jedoch hinzugefügt: „Noch ist die Freiheit unsrer heiligen Religion in Preußen und in Deutschland nicht erstritten, die Aufgabe, die wir uns- vorgesetzt, noch nicht gelöst." Also auf das llnis ürixo- Mus des Papstes die erneute Ankündigung der Fortsetzung des Streites, auf die Erklärung des päpstlichen Breve, daß die Katholiken nunmehr in unge¬ störter Freiheit ihre kirchlichen Bedürfnisse befriedigen könnten, die Behauptung, daß diese Freiheit erst erstritten werden müsse! Daran knüpfte sich in behag¬ licher Breite von neuem der Schulantrag, der den gesamten Religionsunterricht einfach in die Hände der „kirchlichen Oberen" legt. Welche Früchte der preußische Staat davon zu gewärtigen hätte, haben uns die polnischen Landes-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/383
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/383>, abgerufen am 04.07.2024.