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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Berlin als Theaterhauptstadt.

Experimenten und ihren flachen Gesellschaftskomödien und blöden Schwanken,
zwischen Richard Wagner und "Treptow und Mannstädt" besteht. Wir meinen
in Bezug auf das Publikum. Da ist der Abgrund dazwischen wirklich nicht so
wcltenweit. Ein Wagnerianer vermag mit der größten Eleganz die Schwärmerei
für "Triften" und die "Götterdämmerung" mit der unermüdlichen Pflege des
Genres der "Kleinen Fischerin" und des Schunkelwalzers zu verbinden, und der
gebildete Börsianer ist für Gretchen und Tuschen im deutschen Theater ebenso
interessirt, wie für eine "Blumenthalpremiöre." Der Zusammenhang zwischen
Theater und Börse in unsrer Zeit, der sich bis auf die Aeußerlichkeiten, die
Agenten, die Thcaterblätter, die Ausdrücke und Geschäftsgepflogenheiten erstreckt,
ist durchaus nicht zufällig und hat tiefere Beziehungen. So ist es mir immer
merkwürdig gewesen, daß der erste Vertreter der "Wagnersache" in der Tages¬
presse ein bekanntes Berliner, recht eigentlich so zu nennendes Börsenblatt ge¬
wesen ist, wie ja der neueste Schacher mit dem Wagnerschen Nachlaß uns die
"Ausnutzung der Konjunktur," von der wir sprachen, ganz besonders lebhaft
vor Augen führt. Weisen wir noch hin auf das dekorative Element, auf das
intime Verhältnis unsrer Bühne nicht blos zum Photographen -- das ist ver¬
hältnismäßig unschuldig --, sondern zum Möbelgeschäft, zur Koufektions- und
Toiletten°"Vranche," ja, wie nicht selten vorkommt, zur Restaurationsreklame,
so ist das Bild des modernen Theaters vollständig. Sehr färben- und bedeu¬
tungsreich ist es nicht, dafür aber schlagend. Man könnte freilich ergänzen
niederschlagend; aber doch nur sür den, der nicht aus dem Studium unsrer
Zeitgeschichte erkannt hat, daß es gar nicht anders sein kann und durchaus
nicht immer so zu sein braucht.

Eine Meinung möchten wir hierbei schließlich zur Unterstützung dieser
letzteren, tröstlicheren Aussicht gleich widerlegen: das ist die neuerdings auf¬
getauchte, sehr erklärliche und mit dem Hochdruck der Börsenmittel aufrecht ge¬
haltene Meinung, an die wir diesen Aufsatz anknüpften, von Berlin als der
"Theaterhauptstadt," soweit die deutsche Zunge klingt. Man kann sie zugleich
eine Meinung im kaufmännischen Sinne nennen, insofern sie nämlich das Zu¬
trauen auf eine gewisse geschäftliche Entwicklung bedeutet. Sie ist ebenso falsch
wie verderblich. Falsch im geschäftlichen Sinne, das möchten wir allen Grün¬
dern auf diesem Gebiete zu bedenken geben, und verderblich im künstlerischen.
Die äußerliche Anschauung, daß Berlin als Reichshauptstadt eine bloße Kopie
von London und Paris abgeben werde, hat sich bereits hinlänglich als un¬
begründet erwiesen. Das setzt einen so völligen Verzicht des ^Landes zu Gunsten
eines einzigen Mittelpunktes, oder ein so plötzliches und maßloses Anwachsen
voraus, wie es weder in der Natur der deutscheu Verhältnisse (wie sie sich
nun schon drei Jahrhunderte in mancher Beziehung leider allzu schroff aufrecht
erhalten haben), noch in der Lage und den Aussichten Berlins -- glücklicher¬
weise -- liegt. Deutschland braucht und will weder ein souveränes Paris


Berlin als Theaterhauptstadt.

Experimenten und ihren flachen Gesellschaftskomödien und blöden Schwanken,
zwischen Richard Wagner und „Treptow und Mannstädt" besteht. Wir meinen
in Bezug auf das Publikum. Da ist der Abgrund dazwischen wirklich nicht so
wcltenweit. Ein Wagnerianer vermag mit der größten Eleganz die Schwärmerei
für „Triften" und die „Götterdämmerung" mit der unermüdlichen Pflege des
Genres der „Kleinen Fischerin" und des Schunkelwalzers zu verbinden, und der
gebildete Börsianer ist für Gretchen und Tuschen im deutschen Theater ebenso
interessirt, wie für eine „Blumenthalpremiöre." Der Zusammenhang zwischen
Theater und Börse in unsrer Zeit, der sich bis auf die Aeußerlichkeiten, die
Agenten, die Thcaterblätter, die Ausdrücke und Geschäftsgepflogenheiten erstreckt,
ist durchaus nicht zufällig und hat tiefere Beziehungen. So ist es mir immer
merkwürdig gewesen, daß der erste Vertreter der „Wagnersache" in der Tages¬
presse ein bekanntes Berliner, recht eigentlich so zu nennendes Börsenblatt ge¬
wesen ist, wie ja der neueste Schacher mit dem Wagnerschen Nachlaß uns die
„Ausnutzung der Konjunktur," von der wir sprachen, ganz besonders lebhaft
vor Augen führt. Weisen wir noch hin auf das dekorative Element, auf das
intime Verhältnis unsrer Bühne nicht blos zum Photographen — das ist ver¬
hältnismäßig unschuldig —, sondern zum Möbelgeschäft, zur Koufektions- und
Toiletten°„Vranche," ja, wie nicht selten vorkommt, zur Restaurationsreklame,
so ist das Bild des modernen Theaters vollständig. Sehr färben- und bedeu¬
tungsreich ist es nicht, dafür aber schlagend. Man könnte freilich ergänzen
niederschlagend; aber doch nur sür den, der nicht aus dem Studium unsrer
Zeitgeschichte erkannt hat, daß es gar nicht anders sein kann und durchaus
nicht immer so zu sein braucht.

Eine Meinung möchten wir hierbei schließlich zur Unterstützung dieser
letzteren, tröstlicheren Aussicht gleich widerlegen: das ist die neuerdings auf¬
getauchte, sehr erklärliche und mit dem Hochdruck der Börsenmittel aufrecht ge¬
haltene Meinung, an die wir diesen Aufsatz anknüpften, von Berlin als der
„Theaterhauptstadt," soweit die deutsche Zunge klingt. Man kann sie zugleich
eine Meinung im kaufmännischen Sinne nennen, insofern sie nämlich das Zu¬
trauen auf eine gewisse geschäftliche Entwicklung bedeutet. Sie ist ebenso falsch
wie verderblich. Falsch im geschäftlichen Sinne, das möchten wir allen Grün¬
dern auf diesem Gebiete zu bedenken geben, und verderblich im künstlerischen.
Die äußerliche Anschauung, daß Berlin als Reichshauptstadt eine bloße Kopie
von London und Paris abgeben werde, hat sich bereits hinlänglich als un¬
begründet erwiesen. Das setzt einen so völligen Verzicht des ^Landes zu Gunsten
eines einzigen Mittelpunktes, oder ein so plötzliches und maßloses Anwachsen
voraus, wie es weder in der Natur der deutscheu Verhältnisse (wie sie sich
nun schon drei Jahrhunderte in mancher Beziehung leider allzu schroff aufrecht
erhalten haben), noch in der Lage und den Aussichten Berlins — glücklicher¬
weise — liegt. Deutschland braucht und will weder ein souveränes Paris


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[0370] Berlin als Theaterhauptstadt. Experimenten und ihren flachen Gesellschaftskomödien und blöden Schwanken, zwischen Richard Wagner und „Treptow und Mannstädt" besteht. Wir meinen in Bezug auf das Publikum. Da ist der Abgrund dazwischen wirklich nicht so wcltenweit. Ein Wagnerianer vermag mit der größten Eleganz die Schwärmerei für „Triften" und die „Götterdämmerung" mit der unermüdlichen Pflege des Genres der „Kleinen Fischerin" und des Schunkelwalzers zu verbinden, und der gebildete Börsianer ist für Gretchen und Tuschen im deutschen Theater ebenso interessirt, wie für eine „Blumenthalpremiöre." Der Zusammenhang zwischen Theater und Börse in unsrer Zeit, der sich bis auf die Aeußerlichkeiten, die Agenten, die Thcaterblätter, die Ausdrücke und Geschäftsgepflogenheiten erstreckt, ist durchaus nicht zufällig und hat tiefere Beziehungen. So ist es mir immer merkwürdig gewesen, daß der erste Vertreter der „Wagnersache" in der Tages¬ presse ein bekanntes Berliner, recht eigentlich so zu nennendes Börsenblatt ge¬ wesen ist, wie ja der neueste Schacher mit dem Wagnerschen Nachlaß uns die „Ausnutzung der Konjunktur," von der wir sprachen, ganz besonders lebhaft vor Augen führt. Weisen wir noch hin auf das dekorative Element, auf das intime Verhältnis unsrer Bühne nicht blos zum Photographen — das ist ver¬ hältnismäßig unschuldig —, sondern zum Möbelgeschäft, zur Koufektions- und Toiletten°„Vranche," ja, wie nicht selten vorkommt, zur Restaurationsreklame, so ist das Bild des modernen Theaters vollständig. Sehr färben- und bedeu¬ tungsreich ist es nicht, dafür aber schlagend. Man könnte freilich ergänzen niederschlagend; aber doch nur sür den, der nicht aus dem Studium unsrer Zeitgeschichte erkannt hat, daß es gar nicht anders sein kann und durchaus nicht immer so zu sein braucht. Eine Meinung möchten wir hierbei schließlich zur Unterstützung dieser letzteren, tröstlicheren Aussicht gleich widerlegen: das ist die neuerdings auf¬ getauchte, sehr erklärliche und mit dem Hochdruck der Börsenmittel aufrecht ge¬ haltene Meinung, an die wir diesen Aufsatz anknüpften, von Berlin als der „Theaterhauptstadt," soweit die deutsche Zunge klingt. Man kann sie zugleich eine Meinung im kaufmännischen Sinne nennen, insofern sie nämlich das Zu¬ trauen auf eine gewisse geschäftliche Entwicklung bedeutet. Sie ist ebenso falsch wie verderblich. Falsch im geschäftlichen Sinne, das möchten wir allen Grün¬ dern auf diesem Gebiete zu bedenken geben, und verderblich im künstlerischen. Die äußerliche Anschauung, daß Berlin als Reichshauptstadt eine bloße Kopie von London und Paris abgeben werde, hat sich bereits hinlänglich als un¬ begründet erwiesen. Das setzt einen so völligen Verzicht des ^Landes zu Gunsten eines einzigen Mittelpunktes, oder ein so plötzliches und maßloses Anwachsen voraus, wie es weder in der Natur der deutscheu Verhältnisse (wie sie sich nun schon drei Jahrhunderte in mancher Beziehung leider allzu schroff aufrecht erhalten haben), noch in der Lage und den Aussichten Berlins — glücklicher¬ weise — liegt. Deutschland braucht und will weder ein souveränes Paris

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/370>, abgerufen am 25.07.2024.