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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Universitäten im Mittelalter.

den kirchlichen Obergewalten befand. Schon früh hebt sich der bedeutendere
Kopf, das Lehrtalent, im allgemeinen der berühmte Name in weitem Umkreise
heraus. Ein gefeierter Lehrer eines Klosters wirbt in allen Landen für dessen
Schule. Dem Andrange zu genügen, wird die Einrichtung einer äußern Kloster¬
schule für Fremde, neben der innern für die künftigen Mönche und Kanoniker,
nötig. Sehr bald emanzipiren sich solche Lehrkräfte. Sie werden gesucht, sie
versammeln außerhalb des Nahmens der festen Kloster- oder Kirchenschule Schüler
für ihre freien Vorträge, sie gründen schließlich auf ihren Namen ganze Schulen.
Das Geschäft ist ein ausschlaggebender Faktor für die äußere Organisation auch
der wissenschaftlichen Studien. "Die Universitäten sind aus keiner Art der
mittelalterlichen Schulen direkt hervorgegangen, sondern aus dem teilweise aller¬
dings in Anlehnung an Kirchen- und Klosterschulen entwickelten Treiben eines
Standes von Gelehrten, die aus dem Lehren und Lernen einen Lebensberuf
machten." Ihre Schulen waren oft reine Privatunternehmungen in beliebigen,
oft abgelegenen Orten auf dem Lande. Allein die durch Pfründen gesicherten
Kirchen- und Klosterschulen boten doch einen natürlichen Anhalt. Ein hier
angestellter berühmter Magister oder MwlWtivus fand die Grundlage vor und
hatte nur Schwung in das gesamte wissenschaftliche Treiben zu bringen. Junge
Dozenten wurden ausgebildet und versuchten sich in und neben der Schule, wie
es in den alten Rechtsschulen Italiens üblich war. Der Titel Magister war
kein Diplom, er galt lediglich der Beschäftigung. In Italien war diese Art
der Lehrthätigkeit seit der Blüte der Grammatiker- und Rhetorcnschulen des
Altertums nie abgerissen. Nun verbreitete sie sich (im elften und zwölften
Jahrhundert) über den gesamten höher entwickelten Kontinent, und gewisse
Mittelpunkte, auch für die Richtung der Studien, machten sich bald geltend.
"Siehe, da lernen die Kleriker in Paris die freien Künste, in Orleans die Auto¬
ren, in Bologna den Kodex, in Salerno Medizin, in Toledo die Dämonen
(Astrologie?) und nirgends gute Sitten," so klagt der französische Abt Helinand.
Aus der großen Zahl der wissenschaftlichen Zentralstätten aber -- wir nennen
nur Se. Gallen und Reims -- die es zu großem Ruf und einer durch Geschlechter
dauernden Blüte brachten -- ragen früh jene beiden hervor, die das aka¬
demische Leben des Mittelalters zu dem unsrigen in Beziehung setzen: Bologna
und Paris. Sie zeigen die ersten Ansätze zu fester Organisation, sie erhalten
die ersten Privilegien und werden dadurch Muster und Anlchnungspunkte für
das gesamte Universitätsleben, wie es sich nunmehr entwickelt.

An den Namen des zweiten der genannten deutschen Kaiser knüpft sich
wiederum dieser Anfang. Auf dem berühmten Reichstage auf den Roncalischen
Feldern 11S8, der so bedeutungsvoll für den jungen deutschen Reichsgedanken
ist, erließ sein verkörpertes Symbol, Kaiser Friedrich der Rotbart, das Gesetz
über die^uttiMtiog,, nach dem Anfangsworte Havitg, genannt, die erste Universitäts¬
akte. Sie nimmt alle diejenigen, welche og-usel Lwäiorura xöroZriuÄuwr.


Die Universitäten im Mittelalter.

den kirchlichen Obergewalten befand. Schon früh hebt sich der bedeutendere
Kopf, das Lehrtalent, im allgemeinen der berühmte Name in weitem Umkreise
heraus. Ein gefeierter Lehrer eines Klosters wirbt in allen Landen für dessen
Schule. Dem Andrange zu genügen, wird die Einrichtung einer äußern Kloster¬
schule für Fremde, neben der innern für die künftigen Mönche und Kanoniker,
nötig. Sehr bald emanzipiren sich solche Lehrkräfte. Sie werden gesucht, sie
versammeln außerhalb des Nahmens der festen Kloster- oder Kirchenschule Schüler
für ihre freien Vorträge, sie gründen schließlich auf ihren Namen ganze Schulen.
Das Geschäft ist ein ausschlaggebender Faktor für die äußere Organisation auch
der wissenschaftlichen Studien. „Die Universitäten sind aus keiner Art der
mittelalterlichen Schulen direkt hervorgegangen, sondern aus dem teilweise aller¬
dings in Anlehnung an Kirchen- und Klosterschulen entwickelten Treiben eines
Standes von Gelehrten, die aus dem Lehren und Lernen einen Lebensberuf
machten." Ihre Schulen waren oft reine Privatunternehmungen in beliebigen,
oft abgelegenen Orten auf dem Lande. Allein die durch Pfründen gesicherten
Kirchen- und Klosterschulen boten doch einen natürlichen Anhalt. Ein hier
angestellter berühmter Magister oder MwlWtivus fand die Grundlage vor und
hatte nur Schwung in das gesamte wissenschaftliche Treiben zu bringen. Junge
Dozenten wurden ausgebildet und versuchten sich in und neben der Schule, wie
es in den alten Rechtsschulen Italiens üblich war. Der Titel Magister war
kein Diplom, er galt lediglich der Beschäftigung. In Italien war diese Art
der Lehrthätigkeit seit der Blüte der Grammatiker- und Rhetorcnschulen des
Altertums nie abgerissen. Nun verbreitete sie sich (im elften und zwölften
Jahrhundert) über den gesamten höher entwickelten Kontinent, und gewisse
Mittelpunkte, auch für die Richtung der Studien, machten sich bald geltend.
„Siehe, da lernen die Kleriker in Paris die freien Künste, in Orleans die Auto¬
ren, in Bologna den Kodex, in Salerno Medizin, in Toledo die Dämonen
(Astrologie?) und nirgends gute Sitten," so klagt der französische Abt Helinand.
Aus der großen Zahl der wissenschaftlichen Zentralstätten aber — wir nennen
nur Se. Gallen und Reims — die es zu großem Ruf und einer durch Geschlechter
dauernden Blüte brachten — ragen früh jene beiden hervor, die das aka¬
demische Leben des Mittelalters zu dem unsrigen in Beziehung setzen: Bologna
und Paris. Sie zeigen die ersten Ansätze zu fester Organisation, sie erhalten
die ersten Privilegien und werden dadurch Muster und Anlchnungspunkte für
das gesamte Universitätsleben, wie es sich nunmehr entwickelt.

An den Namen des zweiten der genannten deutschen Kaiser knüpft sich
wiederum dieser Anfang. Auf dem berühmten Reichstage auf den Roncalischen
Feldern 11S8, der so bedeutungsvoll für den jungen deutschen Reichsgedanken
ist, erließ sein verkörpertes Symbol, Kaiser Friedrich der Rotbart, das Gesetz
über die^uttiMtiog,, nach dem Anfangsworte Havitg, genannt, die erste Universitäts¬
akte. Sie nimmt alle diejenigen, welche og-usel Lwäiorura xöroZriuÄuwr.


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[0037] Die Universitäten im Mittelalter. den kirchlichen Obergewalten befand. Schon früh hebt sich der bedeutendere Kopf, das Lehrtalent, im allgemeinen der berühmte Name in weitem Umkreise heraus. Ein gefeierter Lehrer eines Klosters wirbt in allen Landen für dessen Schule. Dem Andrange zu genügen, wird die Einrichtung einer äußern Kloster¬ schule für Fremde, neben der innern für die künftigen Mönche und Kanoniker, nötig. Sehr bald emanzipiren sich solche Lehrkräfte. Sie werden gesucht, sie versammeln außerhalb des Nahmens der festen Kloster- oder Kirchenschule Schüler für ihre freien Vorträge, sie gründen schließlich auf ihren Namen ganze Schulen. Das Geschäft ist ein ausschlaggebender Faktor für die äußere Organisation auch der wissenschaftlichen Studien. „Die Universitäten sind aus keiner Art der mittelalterlichen Schulen direkt hervorgegangen, sondern aus dem teilweise aller¬ dings in Anlehnung an Kirchen- und Klosterschulen entwickelten Treiben eines Standes von Gelehrten, die aus dem Lehren und Lernen einen Lebensberuf machten." Ihre Schulen waren oft reine Privatunternehmungen in beliebigen, oft abgelegenen Orten auf dem Lande. Allein die durch Pfründen gesicherten Kirchen- und Klosterschulen boten doch einen natürlichen Anhalt. Ein hier angestellter berühmter Magister oder MwlWtivus fand die Grundlage vor und hatte nur Schwung in das gesamte wissenschaftliche Treiben zu bringen. Junge Dozenten wurden ausgebildet und versuchten sich in und neben der Schule, wie es in den alten Rechtsschulen Italiens üblich war. Der Titel Magister war kein Diplom, er galt lediglich der Beschäftigung. In Italien war diese Art der Lehrthätigkeit seit der Blüte der Grammatiker- und Rhetorcnschulen des Altertums nie abgerissen. Nun verbreitete sie sich (im elften und zwölften Jahrhundert) über den gesamten höher entwickelten Kontinent, und gewisse Mittelpunkte, auch für die Richtung der Studien, machten sich bald geltend. „Siehe, da lernen die Kleriker in Paris die freien Künste, in Orleans die Auto¬ ren, in Bologna den Kodex, in Salerno Medizin, in Toledo die Dämonen (Astrologie?) und nirgends gute Sitten," so klagt der französische Abt Helinand. Aus der großen Zahl der wissenschaftlichen Zentralstätten aber — wir nennen nur Se. Gallen und Reims — die es zu großem Ruf und einer durch Geschlechter dauernden Blüte brachten — ragen früh jene beiden hervor, die das aka¬ demische Leben des Mittelalters zu dem unsrigen in Beziehung setzen: Bologna und Paris. Sie zeigen die ersten Ansätze zu fester Organisation, sie erhalten die ersten Privilegien und werden dadurch Muster und Anlchnungspunkte für das gesamte Universitätsleben, wie es sich nunmehr entwickelt. An den Namen des zweiten der genannten deutschen Kaiser knüpft sich wiederum dieser Anfang. Auf dem berühmten Reichstage auf den Roncalischen Feldern 11S8, der so bedeutungsvoll für den jungen deutschen Reichsgedanken ist, erließ sein verkörpertes Symbol, Kaiser Friedrich der Rotbart, das Gesetz über die^uttiMtiog,, nach dem Anfangsworte Havitg, genannt, die erste Universitäts¬ akte. Sie nimmt alle diejenigen, welche og-usel Lwäiorura xöroZriuÄuwr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/37>, abgerufen am 24.08.2024.