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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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nicht, auf Englands Schutz pochend, Deutschland so übermütig herausgefordert
hätte. Welche Langmut bewiesen der Bund und die beiden Großmächte! Man
wollte ja nur nicht die vollständige Einverleibung beider Herzogtümer zugeben,
und wünschte, daß die Verdauung in Schleswig nicht gar zu ungescheut vor¬
gehe. Als man in Deutschland anfing sich darüber aufzuregen, ergriff "ein
Schleswiger," angeblich ein dänischer Diplomat mit deutschem Namen, das
Wort "zur Verständigung." Da Schleswig nie zum Deutschen Bunde ge¬
hört habe, gehe es auch Deutschland nichts an, die Bewohner des Landes, ob
sie dänisch oder deutsch reden, seien Dänen und keine Deutschen. "Schleswig-
Holstein" sei die Erfindung einiger Professoren und Beamten. Unter den
frühern Königen sei Schleswig germanisirt worden, nun werde nur der natür¬
liche Zustand wieder hergestellt. Eigentlich aber könne von Danisiren keine
Rede sein, es geschehe nichts als das durchaus Notwendige. Nämlich, und so
steht wörtlich in der Schrift "Schleswig und Dänemark. Von einem Schles¬
wiger" (1863) zu lesen, in den gemischten Bezirken müsse der Schulunterricht
dänisch sein, weil in dieser Sprache Religionsunterricht und Konfirmation er¬
folge, und die Ablegung des Gelöbnisses und die Einsegnung müssen in däni¬
scher Sprache erfolgen, weil -- diese die Unterrichtssprache sei. Die ganze
Bewegung gehe übrigens von Preußen aus, welches Transalbingien erobern
wolle, deshalb thäten Deutschland und Österreich sehr Unrecht, der preußischen
Politik Vorschub zu leisten u. s. w. Streichen wir den originellen oiroulus
viele>8U8, so haben wir da ein Glaubensbekenntnis, auf das noch heute die
meisten Dänen schwören. Mit Bitterkeit der Zeit gedenkend, wo ihre von
kleinen deutschen Fürstenhöfen geholten Königinnen es nicht der Mühe wert
fanden, die Landessprache zu erlernen, vergessen sie, daß man vor hundert
Jahren in diesem Punkte nicht so empfindlich war wie heutzutage, und daß
der Verzicht der Fürstinnen auf ihre Muttersprache nicht dem Dänischen, son¬
dern dem Französischen zugute gekommen sein würde. Ebenso ist ihrer Erinne¬
rung entschwunden, wie ihre Staatsmänner 1863 Preußen und Österreich förm¬
lich zum Kriege gezwungen und nicht eher geruht haben, als bis mit Holstein auch
Schleswig verloren war. offenbar in dem trügerischen Glauben, daß Old Pair
ihnen noch anders als mit diplomatischen Noten und mit Zeitungsartikeln bei¬
springen werde. Und wegen eines ähnlichen Rechenfehlers ist die Rückgabe des
nördlichen Distrikts verscherzt worden. In den ersten Jahren nach 1866 war
Preußen ja ganz bereit, den Artikel 5 des Prager Friedens zur Ausführung zu
bringen, aber in Kopenhagen machte man Umstände. Bürgschaften dafür zu gewähren,
daß den Deutschen, die dann wieder unter dänische Herrschaft gekommen wären,
die Rechte der Nationalität nicht verkümmert würden. Ein Krieg zwischen Frank¬
reich und Preußen lag in der Luft, es fehlte nur an einem Vorwande, und
den konnte der Z 5 ebensogut liefern wie die spanische Königswahl; weshalb
sollte man diesen Vorwand aus der Welt schaffen? Denn kam es zum frau-


nicht, auf Englands Schutz pochend, Deutschland so übermütig herausgefordert
hätte. Welche Langmut bewiesen der Bund und die beiden Großmächte! Man
wollte ja nur nicht die vollständige Einverleibung beider Herzogtümer zugeben,
und wünschte, daß die Verdauung in Schleswig nicht gar zu ungescheut vor¬
gehe. Als man in Deutschland anfing sich darüber aufzuregen, ergriff „ein
Schleswiger," angeblich ein dänischer Diplomat mit deutschem Namen, das
Wort „zur Verständigung." Da Schleswig nie zum Deutschen Bunde ge¬
hört habe, gehe es auch Deutschland nichts an, die Bewohner des Landes, ob
sie dänisch oder deutsch reden, seien Dänen und keine Deutschen. „Schleswig-
Holstein" sei die Erfindung einiger Professoren und Beamten. Unter den
frühern Königen sei Schleswig germanisirt worden, nun werde nur der natür¬
liche Zustand wieder hergestellt. Eigentlich aber könne von Danisiren keine
Rede sein, es geschehe nichts als das durchaus Notwendige. Nämlich, und so
steht wörtlich in der Schrift „Schleswig und Dänemark. Von einem Schles¬
wiger" (1863) zu lesen, in den gemischten Bezirken müsse der Schulunterricht
dänisch sein, weil in dieser Sprache Religionsunterricht und Konfirmation er¬
folge, und die Ablegung des Gelöbnisses und die Einsegnung müssen in däni¬
scher Sprache erfolgen, weil — diese die Unterrichtssprache sei. Die ganze
Bewegung gehe übrigens von Preußen aus, welches Transalbingien erobern
wolle, deshalb thäten Deutschland und Österreich sehr Unrecht, der preußischen
Politik Vorschub zu leisten u. s. w. Streichen wir den originellen oiroulus
viele>8U8, so haben wir da ein Glaubensbekenntnis, auf das noch heute die
meisten Dänen schwören. Mit Bitterkeit der Zeit gedenkend, wo ihre von
kleinen deutschen Fürstenhöfen geholten Königinnen es nicht der Mühe wert
fanden, die Landessprache zu erlernen, vergessen sie, daß man vor hundert
Jahren in diesem Punkte nicht so empfindlich war wie heutzutage, und daß
der Verzicht der Fürstinnen auf ihre Muttersprache nicht dem Dänischen, son¬
dern dem Französischen zugute gekommen sein würde. Ebenso ist ihrer Erinne¬
rung entschwunden, wie ihre Staatsmänner 1863 Preußen und Österreich förm¬
lich zum Kriege gezwungen und nicht eher geruht haben, als bis mit Holstein auch
Schleswig verloren war. offenbar in dem trügerischen Glauben, daß Old Pair
ihnen noch anders als mit diplomatischen Noten und mit Zeitungsartikeln bei¬
springen werde. Und wegen eines ähnlichen Rechenfehlers ist die Rückgabe des
nördlichen Distrikts verscherzt worden. In den ersten Jahren nach 1866 war
Preußen ja ganz bereit, den Artikel 5 des Prager Friedens zur Ausführung zu
bringen, aber in Kopenhagen machte man Umstände. Bürgschaften dafür zu gewähren,
daß den Deutschen, die dann wieder unter dänische Herrschaft gekommen wären,
die Rechte der Nationalität nicht verkümmert würden. Ein Krieg zwischen Frank¬
reich und Preußen lag in der Luft, es fehlte nur an einem Vorwande, und
den konnte der Z 5 ebensogut liefern wie die spanische Königswahl; weshalb
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/348>, abgerufen am 24.08.2024.