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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Dichter und der Staat.

wie ihre Zusammensetzung, wie die Grundsätze ihrer Auswahl, ihrer Entscheidung?
Mag sie sich nun ausschließlich aus Dichtern, oder aus Dichtern, Kritikern und
Gelehrten oder sonst wie zusammensetzen, die Streitigkeiten über die Wahl der
Sachverständigen, wie über ihre Urteile und Richtersprüche würden kein Ende
finden, Vorwürfe der Unbilligkeit, der Parteilichkeit nimmer verhallen. Und
noch mehr: eine wirkliche Gefahr läge in dem Bestände einer solchen litterarischen
Prüfungskommission für die gesunde Entwicklung der Litteratur, für die Gesund¬
heit unsrer litterarischen Zustände. Kliquenwesen und Strebertum würden empor¬
schießen, und bei der staatlichen Beeinflussung würde eine offizielle Litteratur
erblühen, die Freiheit und Beweglichkeit des geistigen Lebens aufs ernstlichste
geschädigt werden.

Nein, der Dichter muß -- und wir dürfen bei dem hier über den drama¬
tischen Dichter gesagten stehen bleiben, da es sich auf den von dem Drucke der
Verhältnisse weit weniger leidenden epischen oder lyrischen Dichter ohne weiteres
übertragen läßt -- jedes derartige Eingreifen des Staates in seine Wirksamkeit,
aufs entschiedenste ablehnen. Es liegt im Interesse seiner Kunst, im Interesse
der Freiheit seines Schaffens, Denkens und Wirkens, bei dem Staate nichts
andres zu suchen, als Schutz und Freiheit für seine Werke. Die Dichtung ist
eine Macht, die stärkste geistige Macht, die der Staat wohl seinen Zwecken
dienstbar machen könnte, aber nimmermehr zu ihrem Segen. Über das Maß
der Freiheit, das ihr gewährt ist, mag man denken, wie man will, die Hand
aber, die erst als eine helfende dargereicht würde, würde nur zu leicht eine
lastende und gebietende werden.

Doch wir brauchen uns nicht zu beunruhigen, wir haben ein solches
Danaergeschenk gar nicht zu fürchten. Wir hoffen nur die gewährten Rechte
voll und ungetrübt zu behalten.

Abhilfe für die dringenden Notstände ist also andern Ortes zu suchen:
bei dem Volke und bei den Schriftstellern selbst. Eine Berufung an die erstere
Instanz darf freilich nicht als erfolgreich gelten, zumal nicht in unserer Zeit,
die von den hohen Aufgaben der Kunst nicht viel ahnt und von ihr oft nicht
mehr verlangt als flüchtige, wechselvolle Unterhaltung. Die Erziehung des
Volksgeschmackes liegt in der Macht der Dichter selbst, und rücksichtsloser Kampf
gegen alle Elemente, zumal aus dem eigenen Lager, die sich der Erreichung
dieses Zieles entgegenstemmen, ist für sie eine unabweisbare Forderung. Im
engeren, kleinliche und persönliche Abneigungen und Anfeindungen überwindenden
Anschluß unter einander läßt sich zudem Kraft und Vermögen genug finden,
um dem bedrängten Genossen Hilfe zu gewähren, die ihm willkommener sein
muß von Freunden und Mitstrebenden, als von einem andern. Möchten die
Bemühungen, aus eigenen Mitteln den vorhandenen Notständen wirksam zu
begegnen, in einmütigem Bestreben reichen Erfolg finden. Dann wird es auch
nicht an thätiger Teilnahme der Genießenden fehlen.


Der Dichter und der Staat.

wie ihre Zusammensetzung, wie die Grundsätze ihrer Auswahl, ihrer Entscheidung?
Mag sie sich nun ausschließlich aus Dichtern, oder aus Dichtern, Kritikern und
Gelehrten oder sonst wie zusammensetzen, die Streitigkeiten über die Wahl der
Sachverständigen, wie über ihre Urteile und Richtersprüche würden kein Ende
finden, Vorwürfe der Unbilligkeit, der Parteilichkeit nimmer verhallen. Und
noch mehr: eine wirkliche Gefahr läge in dem Bestände einer solchen litterarischen
Prüfungskommission für die gesunde Entwicklung der Litteratur, für die Gesund¬
heit unsrer litterarischen Zustände. Kliquenwesen und Strebertum würden empor¬
schießen, und bei der staatlichen Beeinflussung würde eine offizielle Litteratur
erblühen, die Freiheit und Beweglichkeit des geistigen Lebens aufs ernstlichste
geschädigt werden.

Nein, der Dichter muß — und wir dürfen bei dem hier über den drama¬
tischen Dichter gesagten stehen bleiben, da es sich auf den von dem Drucke der
Verhältnisse weit weniger leidenden epischen oder lyrischen Dichter ohne weiteres
übertragen läßt — jedes derartige Eingreifen des Staates in seine Wirksamkeit,
aufs entschiedenste ablehnen. Es liegt im Interesse seiner Kunst, im Interesse
der Freiheit seines Schaffens, Denkens und Wirkens, bei dem Staate nichts
andres zu suchen, als Schutz und Freiheit für seine Werke. Die Dichtung ist
eine Macht, die stärkste geistige Macht, die der Staat wohl seinen Zwecken
dienstbar machen könnte, aber nimmermehr zu ihrem Segen. Über das Maß
der Freiheit, das ihr gewährt ist, mag man denken, wie man will, die Hand
aber, die erst als eine helfende dargereicht würde, würde nur zu leicht eine
lastende und gebietende werden.

Doch wir brauchen uns nicht zu beunruhigen, wir haben ein solches
Danaergeschenk gar nicht zu fürchten. Wir hoffen nur die gewährten Rechte
voll und ungetrübt zu behalten.

Abhilfe für die dringenden Notstände ist also andern Ortes zu suchen:
bei dem Volke und bei den Schriftstellern selbst. Eine Berufung an die erstere
Instanz darf freilich nicht als erfolgreich gelten, zumal nicht in unserer Zeit,
die von den hohen Aufgaben der Kunst nicht viel ahnt und von ihr oft nicht
mehr verlangt als flüchtige, wechselvolle Unterhaltung. Die Erziehung des
Volksgeschmackes liegt in der Macht der Dichter selbst, und rücksichtsloser Kampf
gegen alle Elemente, zumal aus dem eigenen Lager, die sich der Erreichung
dieses Zieles entgegenstemmen, ist für sie eine unabweisbare Forderung. Im
engeren, kleinliche und persönliche Abneigungen und Anfeindungen überwindenden
Anschluß unter einander läßt sich zudem Kraft und Vermögen genug finden,
um dem bedrängten Genossen Hilfe zu gewähren, die ihm willkommener sein
muß von Freunden und Mitstrebenden, als von einem andern. Möchten die
Bemühungen, aus eigenen Mitteln den vorhandenen Notständen wirksam zu
begegnen, in einmütigem Bestreben reichen Erfolg finden. Dann wird es auch
nicht an thätiger Teilnahme der Genießenden fehlen.


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[0341] Der Dichter und der Staat. wie ihre Zusammensetzung, wie die Grundsätze ihrer Auswahl, ihrer Entscheidung? Mag sie sich nun ausschließlich aus Dichtern, oder aus Dichtern, Kritikern und Gelehrten oder sonst wie zusammensetzen, die Streitigkeiten über die Wahl der Sachverständigen, wie über ihre Urteile und Richtersprüche würden kein Ende finden, Vorwürfe der Unbilligkeit, der Parteilichkeit nimmer verhallen. Und noch mehr: eine wirkliche Gefahr läge in dem Bestände einer solchen litterarischen Prüfungskommission für die gesunde Entwicklung der Litteratur, für die Gesund¬ heit unsrer litterarischen Zustände. Kliquenwesen und Strebertum würden empor¬ schießen, und bei der staatlichen Beeinflussung würde eine offizielle Litteratur erblühen, die Freiheit und Beweglichkeit des geistigen Lebens aufs ernstlichste geschädigt werden. Nein, der Dichter muß — und wir dürfen bei dem hier über den drama¬ tischen Dichter gesagten stehen bleiben, da es sich auf den von dem Drucke der Verhältnisse weit weniger leidenden epischen oder lyrischen Dichter ohne weiteres übertragen läßt — jedes derartige Eingreifen des Staates in seine Wirksamkeit, aufs entschiedenste ablehnen. Es liegt im Interesse seiner Kunst, im Interesse der Freiheit seines Schaffens, Denkens und Wirkens, bei dem Staate nichts andres zu suchen, als Schutz und Freiheit für seine Werke. Die Dichtung ist eine Macht, die stärkste geistige Macht, die der Staat wohl seinen Zwecken dienstbar machen könnte, aber nimmermehr zu ihrem Segen. Über das Maß der Freiheit, das ihr gewährt ist, mag man denken, wie man will, die Hand aber, die erst als eine helfende dargereicht würde, würde nur zu leicht eine lastende und gebietende werden. Doch wir brauchen uns nicht zu beunruhigen, wir haben ein solches Danaergeschenk gar nicht zu fürchten. Wir hoffen nur die gewährten Rechte voll und ungetrübt zu behalten. Abhilfe für die dringenden Notstände ist also andern Ortes zu suchen: bei dem Volke und bei den Schriftstellern selbst. Eine Berufung an die erstere Instanz darf freilich nicht als erfolgreich gelten, zumal nicht in unserer Zeit, die von den hohen Aufgaben der Kunst nicht viel ahnt und von ihr oft nicht mehr verlangt als flüchtige, wechselvolle Unterhaltung. Die Erziehung des Volksgeschmackes liegt in der Macht der Dichter selbst, und rücksichtsloser Kampf gegen alle Elemente, zumal aus dem eigenen Lager, die sich der Erreichung dieses Zieles entgegenstemmen, ist für sie eine unabweisbare Forderung. Im engeren, kleinliche und persönliche Abneigungen und Anfeindungen überwindenden Anschluß unter einander läßt sich zudem Kraft und Vermögen genug finden, um dem bedrängten Genossen Hilfe zu gewähren, die ihm willkommener sein muß von Freunden und Mitstrebenden, als von einem andern. Möchten die Bemühungen, aus eigenen Mitteln den vorhandenen Notständen wirksam zu begegnen, in einmütigem Bestreben reichen Erfolg finden. Dann wird es auch nicht an thätiger Teilnahme der Genießenden fehlen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/341>, abgerufen am 04.07.2024.