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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Das neue Burgtheater.

geblieben ist, haben wir bereits erwähnt, aber wir sind weit entfernt, damit
einen Tadel aussprechen zu wollen.

Mehr noch als Sonnenthal, hat Baumeister den Kreis seiner Thätigkeit
erweitert: als munterer Liebhaber und Naturbursche hat er begonnen, dann er¬
freute er sich als Bonvivant Jahre lang der höchsten Gunst des Publikums,
mit seinem Falstaff stellte er sich in die Reihe der ersten Charakterspieler, aber
daß er auch eine gewaltige tragische Kraft in sich trägt, erfuhr man erst vor
einigen Jahren, als er den Richter von Zalamea spielte. Auch Götz, der
Erbförster und Musikus Miller liegen im Bereich seines Naturells. Denn
er ist durchaus Naturalist und spielt immer nur sich selber oder doch ein
starkes Stück von sich; zu Mitterwurzcr, der in hundert Gestalten auftreten
und sein Selbst ganz verschwinden machen kann, steht er im schärfsten Gegensatze.

Am wenigsten hat sich Lewinsky verändert: er ist nach wie vor die erste
rhetorische Kraft des Burgtheaters, dessen bester Sprecher. Dem modernen
Realismus hat er nur auf die Einzelheiten seines Spieles Einfluß verstattet;
wo er dies in stärkerem Maße thut -- als Winchester in "Heinrich VI." ---,
verfällt er leicht in Karrikatur. Überhaupt besitzt er keine so kräftige Persön¬
lichkeit, wie sie der Realismus, wenn er wirken soll, erfordert. Er ist immer
vorzüglich auf die Rede, auf Deklamation angewiesen.
'

Frau Gabillon hat das tragische Fach beinahe ganz aufgegeben, herrscht
dagegen unbestritten im Fach der Salouintrigantin. Am besten zeigt sich ihre
Kunst in Rollen wie der Herzogin im "Glas Wasser." Es ist wunderbar, wie
fein und reich sie dn die Rede schattirt, wie sie Geberde und Miene mit der
Rede in Harmonie zu setzen versteht. Von realistischen Anwandlungen -- die
Anhänger der alten Schule würden sagen "Übertreibungen" -- ist sie allerdings
nicht frei. Die russische Gräfin in "Feodora," die alte Herzogin in Pail-
lerons "Welt, in der man sich langweilt" streifen hie und da an die Karrikatur,
aber diese Karrikawreu bestehe" wirklich, man begegnet ihnen in den modernen
Salons.

Ungemein verwendbar, weil sehr verwandlungsfähig, ist immer noch Herr
Gabillon. Alte Lebemänner, Haudegen und Trunkenbolde, Salonbösewichte und
Höflinge weiß er immer zu drastischer Wirkung zu bringen. Aber er leistet
auch in einer höheren Gattung rühmliches: wenn seine Kraft für den Hagen
nicht ausreicht, so ist er doch einem Julius Cäsar, einem Andreas Doria, einem
Kardinal Kiehl durchaus gewachsen. Überhaupt gelingen ihm Staatsmänner,
die aus kühler Fassung nur in einzelnen Augenblicken höheren Schwunges
pathetisch und stolz heraustreten, immer vortrefflich; den Purpur der römischen
Kirche weiß keiner mit solchem Anstande zu tragen wie er. Schade, daß er
den Großinquisitor im "Don Carlos" nicht spielt! Aber den Alba hat er schon
seit vielen Jahren inne.

Von Hartmann darf man sagen, daß seine schönste Zeit vorüber ist,


Das neue Burgtheater.

geblieben ist, haben wir bereits erwähnt, aber wir sind weit entfernt, damit
einen Tadel aussprechen zu wollen.

Mehr noch als Sonnenthal, hat Baumeister den Kreis seiner Thätigkeit
erweitert: als munterer Liebhaber und Naturbursche hat er begonnen, dann er¬
freute er sich als Bonvivant Jahre lang der höchsten Gunst des Publikums,
mit seinem Falstaff stellte er sich in die Reihe der ersten Charakterspieler, aber
daß er auch eine gewaltige tragische Kraft in sich trägt, erfuhr man erst vor
einigen Jahren, als er den Richter von Zalamea spielte. Auch Götz, der
Erbförster und Musikus Miller liegen im Bereich seines Naturells. Denn
er ist durchaus Naturalist und spielt immer nur sich selber oder doch ein
starkes Stück von sich; zu Mitterwurzcr, der in hundert Gestalten auftreten
und sein Selbst ganz verschwinden machen kann, steht er im schärfsten Gegensatze.

Am wenigsten hat sich Lewinsky verändert: er ist nach wie vor die erste
rhetorische Kraft des Burgtheaters, dessen bester Sprecher. Dem modernen
Realismus hat er nur auf die Einzelheiten seines Spieles Einfluß verstattet;
wo er dies in stärkerem Maße thut — als Winchester in „Heinrich VI." —-,
verfällt er leicht in Karrikatur. Überhaupt besitzt er keine so kräftige Persön¬
lichkeit, wie sie der Realismus, wenn er wirken soll, erfordert. Er ist immer
vorzüglich auf die Rede, auf Deklamation angewiesen.
'

Frau Gabillon hat das tragische Fach beinahe ganz aufgegeben, herrscht
dagegen unbestritten im Fach der Salouintrigantin. Am besten zeigt sich ihre
Kunst in Rollen wie der Herzogin im „Glas Wasser." Es ist wunderbar, wie
fein und reich sie dn die Rede schattirt, wie sie Geberde und Miene mit der
Rede in Harmonie zu setzen versteht. Von realistischen Anwandlungen — die
Anhänger der alten Schule würden sagen „Übertreibungen" — ist sie allerdings
nicht frei. Die russische Gräfin in „Feodora," die alte Herzogin in Pail-
lerons „Welt, in der man sich langweilt" streifen hie und da an die Karrikatur,
aber diese Karrikawreu bestehe» wirklich, man begegnet ihnen in den modernen
Salons.

Ungemein verwendbar, weil sehr verwandlungsfähig, ist immer noch Herr
Gabillon. Alte Lebemänner, Haudegen und Trunkenbolde, Salonbösewichte und
Höflinge weiß er immer zu drastischer Wirkung zu bringen. Aber er leistet
auch in einer höheren Gattung rühmliches: wenn seine Kraft für den Hagen
nicht ausreicht, so ist er doch einem Julius Cäsar, einem Andreas Doria, einem
Kardinal Kiehl durchaus gewachsen. Überhaupt gelingen ihm Staatsmänner,
die aus kühler Fassung nur in einzelnen Augenblicken höheren Schwunges
pathetisch und stolz heraustreten, immer vortrefflich; den Purpur der römischen
Kirche weiß keiner mit solchem Anstande zu tragen wie er. Schade, daß er
den Großinquisitor im „Don Carlos" nicht spielt! Aber den Alba hat er schon
seit vielen Jahren inne.

Von Hartmann darf man sagen, daß seine schönste Zeit vorüber ist,


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[0333] Das neue Burgtheater. geblieben ist, haben wir bereits erwähnt, aber wir sind weit entfernt, damit einen Tadel aussprechen zu wollen. Mehr noch als Sonnenthal, hat Baumeister den Kreis seiner Thätigkeit erweitert: als munterer Liebhaber und Naturbursche hat er begonnen, dann er¬ freute er sich als Bonvivant Jahre lang der höchsten Gunst des Publikums, mit seinem Falstaff stellte er sich in die Reihe der ersten Charakterspieler, aber daß er auch eine gewaltige tragische Kraft in sich trägt, erfuhr man erst vor einigen Jahren, als er den Richter von Zalamea spielte. Auch Götz, der Erbförster und Musikus Miller liegen im Bereich seines Naturells. Denn er ist durchaus Naturalist und spielt immer nur sich selber oder doch ein starkes Stück von sich; zu Mitterwurzcr, der in hundert Gestalten auftreten und sein Selbst ganz verschwinden machen kann, steht er im schärfsten Gegensatze. Am wenigsten hat sich Lewinsky verändert: er ist nach wie vor die erste rhetorische Kraft des Burgtheaters, dessen bester Sprecher. Dem modernen Realismus hat er nur auf die Einzelheiten seines Spieles Einfluß verstattet; wo er dies in stärkerem Maße thut — als Winchester in „Heinrich VI." —-, verfällt er leicht in Karrikatur. Überhaupt besitzt er keine so kräftige Persön¬ lichkeit, wie sie der Realismus, wenn er wirken soll, erfordert. Er ist immer vorzüglich auf die Rede, auf Deklamation angewiesen. ' Frau Gabillon hat das tragische Fach beinahe ganz aufgegeben, herrscht dagegen unbestritten im Fach der Salouintrigantin. Am besten zeigt sich ihre Kunst in Rollen wie der Herzogin im „Glas Wasser." Es ist wunderbar, wie fein und reich sie dn die Rede schattirt, wie sie Geberde und Miene mit der Rede in Harmonie zu setzen versteht. Von realistischen Anwandlungen — die Anhänger der alten Schule würden sagen „Übertreibungen" — ist sie allerdings nicht frei. Die russische Gräfin in „Feodora," die alte Herzogin in Pail- lerons „Welt, in der man sich langweilt" streifen hie und da an die Karrikatur, aber diese Karrikawreu bestehe» wirklich, man begegnet ihnen in den modernen Salons. Ungemein verwendbar, weil sehr verwandlungsfähig, ist immer noch Herr Gabillon. Alte Lebemänner, Haudegen und Trunkenbolde, Salonbösewichte und Höflinge weiß er immer zu drastischer Wirkung zu bringen. Aber er leistet auch in einer höheren Gattung rühmliches: wenn seine Kraft für den Hagen nicht ausreicht, so ist er doch einem Julius Cäsar, einem Andreas Doria, einem Kardinal Kiehl durchaus gewachsen. Überhaupt gelingen ihm Staatsmänner, die aus kühler Fassung nur in einzelnen Augenblicken höheren Schwunges pathetisch und stolz heraustreten, immer vortrefflich; den Purpur der römischen Kirche weiß keiner mit solchem Anstande zu tragen wie er. Schade, daß er den Großinquisitor im „Don Carlos" nicht spielt! Aber den Alba hat er schon seit vielen Jahren inne. Von Hartmann darf man sagen, daß seine schönste Zeit vorüber ist,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/333>, abgerufen am 04.07.2024.