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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Vie Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

Reihe von urteilsfähigen Persönlichkeiten gerade in den maßgebenden Kreisen die
Augen geöffnet hatten.

Wie mögen die Fürsten Wolfgang Klemens von Metternich und Felix von
Schwarzenberg, die Grafen von Nechberg und von Mensdorff-Pouilly und
hundert andre minder hervorragende Minister und Diplomaten der Hofburg
sich ins Fäustchen oder anch nach römischer Augurenart einander angelacht
haben, wenn immer aufs neue der deutsche Michel auf diese mit echt-österreichischem
Biedersinn hingehaltene Lockspeise hineinfiel, wenn immer aufs neue die deutsche
Nation mit echt wienerischer Gemütlichkeit über den Löffel barbiert wurde, ohne
anch nur das Gesicht dabei zu verziehen. Der höchste Triumph der schlauen
k. k. Staatskunst war aber der, daß sogar Preußen fast ein halbes Jahrhundert
lang, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung, sich von dieser Politik hatte
nasführen lassen, und daß diese systematische Majorisirung von vielen Kreisen,
besonders von der konservativen Partei, in der damals doch das alte Preußentum
am reinsten vertreten war, als höchste Weisheit gepriesen wurde.

Thatsächlich hat Osterreich, von den Zeiten des Wiener Kongresses an bis
zu der "großen preußischen Woche" im Jahre 1866, in der die Krieger Preußens
auf den blutigen Gefilden Böhmens das Band, das zum Schaden beider Reiche
den Kaiserstaat allzu enge mit Deutschland verband, mit blankem Stahle durch¬
hieben, nichts gethan, als eine Einigung Deutschlands auf jede mögliche Weise
und durch alle denkbaren Mittel verhindert. Zum Heile des deutschen Vol¬
kes hat der Staat, dessen Fürsten Jahrhunderte lang als des heiligen römi¬
schen Reiches Oberhäupter die Krone Karls des Großen getragen hatten, nie¬
mals auch nur das Geringste gethan, aber stets das, was von andrer Seite,
namentlich von seiten Preußens, zum Besten der Nation geplant war, ge¬
hindert, so lange es in seiner Macht stand. Der einzige Anlauf, den Österreich
scheinbar gemacht hat, um eine größere Einigung des zerfahrenen und jammer¬
vollen Bundes herbeizuführen, der Frankfurter Fürstentag von 1363 mit dem
Entwürfe einer angeblichen Bundesreform, hatte in Wirklichkeit nur den Zweck,
die Leitung der deutschen Angelegenheiten noch mehr in seine Hand zu bringen,
Preußen noch mehr in die zweite Stelle zu drängen, die Abhängigkeit der
Mittel- und Kleinstaaten noch zu vergrößern und dadurch die Macht Deutsch¬
lands noch mehr für das habsburgische Sonderinteresse auszunutzen, als es
bisher schon der Fall gewesen war. Wie kläglich dieser Versuch scheiterte, ist
an einer andern Stelle geschildert worden.*)

Dagegen hatte sich Österreich und das Haus Habsburg unleugbare Ver¬
dienste um die Dynastien der Einzelstaaten erworben, die Hohenzollern natürlich
ausgeschlossen. Es hatte im Vertrage zu Ried (8. Oktober 1813) Baien
nicht nur seine volle Souveränität gewährleistet, sondern auch alle die Gebiete,



*) Pape, Vom alten zum neuen Reich, S. 141 f., S. 166 ff.
Grenzboten IV. 1888. 4
Vie Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

Reihe von urteilsfähigen Persönlichkeiten gerade in den maßgebenden Kreisen die
Augen geöffnet hatten.

Wie mögen die Fürsten Wolfgang Klemens von Metternich und Felix von
Schwarzenberg, die Grafen von Nechberg und von Mensdorff-Pouilly und
hundert andre minder hervorragende Minister und Diplomaten der Hofburg
sich ins Fäustchen oder anch nach römischer Augurenart einander angelacht
haben, wenn immer aufs neue der deutsche Michel auf diese mit echt-österreichischem
Biedersinn hingehaltene Lockspeise hineinfiel, wenn immer aufs neue die deutsche
Nation mit echt wienerischer Gemütlichkeit über den Löffel barbiert wurde, ohne
anch nur das Gesicht dabei zu verziehen. Der höchste Triumph der schlauen
k. k. Staatskunst war aber der, daß sogar Preußen fast ein halbes Jahrhundert
lang, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung, sich von dieser Politik hatte
nasführen lassen, und daß diese systematische Majorisirung von vielen Kreisen,
besonders von der konservativen Partei, in der damals doch das alte Preußentum
am reinsten vertreten war, als höchste Weisheit gepriesen wurde.

Thatsächlich hat Osterreich, von den Zeiten des Wiener Kongresses an bis
zu der „großen preußischen Woche" im Jahre 1866, in der die Krieger Preußens
auf den blutigen Gefilden Böhmens das Band, das zum Schaden beider Reiche
den Kaiserstaat allzu enge mit Deutschland verband, mit blankem Stahle durch¬
hieben, nichts gethan, als eine Einigung Deutschlands auf jede mögliche Weise
und durch alle denkbaren Mittel verhindert. Zum Heile des deutschen Vol¬
kes hat der Staat, dessen Fürsten Jahrhunderte lang als des heiligen römi¬
schen Reiches Oberhäupter die Krone Karls des Großen getragen hatten, nie¬
mals auch nur das Geringste gethan, aber stets das, was von andrer Seite,
namentlich von seiten Preußens, zum Besten der Nation geplant war, ge¬
hindert, so lange es in seiner Macht stand. Der einzige Anlauf, den Österreich
scheinbar gemacht hat, um eine größere Einigung des zerfahrenen und jammer¬
vollen Bundes herbeizuführen, der Frankfurter Fürstentag von 1363 mit dem
Entwürfe einer angeblichen Bundesreform, hatte in Wirklichkeit nur den Zweck,
die Leitung der deutschen Angelegenheiten noch mehr in seine Hand zu bringen,
Preußen noch mehr in die zweite Stelle zu drängen, die Abhängigkeit der
Mittel- und Kleinstaaten noch zu vergrößern und dadurch die Macht Deutsch¬
lands noch mehr für das habsburgische Sonderinteresse auszunutzen, als es
bisher schon der Fall gewesen war. Wie kläglich dieser Versuch scheiterte, ist
an einer andern Stelle geschildert worden.*)

Dagegen hatte sich Österreich und das Haus Habsburg unleugbare Ver¬
dienste um die Dynastien der Einzelstaaten erworben, die Hohenzollern natürlich
ausgeschlossen. Es hatte im Vertrage zu Ried (8. Oktober 1813) Baien
nicht nur seine volle Souveränität gewährleistet, sondern auch alle die Gebiete,



*) Pape, Vom alten zum neuen Reich, S. 141 f., S. 166 ff.
Grenzboten IV. 1888. 4
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[0033] Vie Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands. Reihe von urteilsfähigen Persönlichkeiten gerade in den maßgebenden Kreisen die Augen geöffnet hatten. Wie mögen die Fürsten Wolfgang Klemens von Metternich und Felix von Schwarzenberg, die Grafen von Nechberg und von Mensdorff-Pouilly und hundert andre minder hervorragende Minister und Diplomaten der Hofburg sich ins Fäustchen oder anch nach römischer Augurenart einander angelacht haben, wenn immer aufs neue der deutsche Michel auf diese mit echt-österreichischem Biedersinn hingehaltene Lockspeise hineinfiel, wenn immer aufs neue die deutsche Nation mit echt wienerischer Gemütlichkeit über den Löffel barbiert wurde, ohne anch nur das Gesicht dabei zu verziehen. Der höchste Triumph der schlauen k. k. Staatskunst war aber der, daß sogar Preußen fast ein halbes Jahrhundert lang, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung, sich von dieser Politik hatte nasführen lassen, und daß diese systematische Majorisirung von vielen Kreisen, besonders von der konservativen Partei, in der damals doch das alte Preußentum am reinsten vertreten war, als höchste Weisheit gepriesen wurde. Thatsächlich hat Osterreich, von den Zeiten des Wiener Kongresses an bis zu der „großen preußischen Woche" im Jahre 1866, in der die Krieger Preußens auf den blutigen Gefilden Böhmens das Band, das zum Schaden beider Reiche den Kaiserstaat allzu enge mit Deutschland verband, mit blankem Stahle durch¬ hieben, nichts gethan, als eine Einigung Deutschlands auf jede mögliche Weise und durch alle denkbaren Mittel verhindert. Zum Heile des deutschen Vol¬ kes hat der Staat, dessen Fürsten Jahrhunderte lang als des heiligen römi¬ schen Reiches Oberhäupter die Krone Karls des Großen getragen hatten, nie¬ mals auch nur das Geringste gethan, aber stets das, was von andrer Seite, namentlich von seiten Preußens, zum Besten der Nation geplant war, ge¬ hindert, so lange es in seiner Macht stand. Der einzige Anlauf, den Österreich scheinbar gemacht hat, um eine größere Einigung des zerfahrenen und jammer¬ vollen Bundes herbeizuführen, der Frankfurter Fürstentag von 1363 mit dem Entwürfe einer angeblichen Bundesreform, hatte in Wirklichkeit nur den Zweck, die Leitung der deutschen Angelegenheiten noch mehr in seine Hand zu bringen, Preußen noch mehr in die zweite Stelle zu drängen, die Abhängigkeit der Mittel- und Kleinstaaten noch zu vergrößern und dadurch die Macht Deutsch¬ lands noch mehr für das habsburgische Sonderinteresse auszunutzen, als es bisher schon der Fall gewesen war. Wie kläglich dieser Versuch scheiterte, ist an einer andern Stelle geschildert worden.*) Dagegen hatte sich Österreich und das Haus Habsburg unleugbare Ver¬ dienste um die Dynastien der Einzelstaaten erworben, die Hohenzollern natürlich ausgeschlossen. Es hatte im Vertrage zu Ried (8. Oktober 1813) Baien nicht nur seine volle Souveränität gewährleistet, sondern auch alle die Gebiete, *) Pape, Vom alten zum neuen Reich, S. 141 f., S. 166 ff. Grenzboten IV. 1888. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/33>, abgerufen am 24.08.2024.