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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Das neue Burgtheater.

Kühle derselben in der lebhaften süddeutschen Stadt beträchtlich gemildert,
die Schranken eines klassischen Konventionalismus öfters durch Leidenschaft und
Sentimentalität durchbrochen, aber man blieb doch weit entfernt von einer
realistischen Darstellungsweise, wie sie nun in Deutschland bereits die idealistische
der Weimarer zu bekämpfen begann.*) Vor allem gedachte man durch die
Macht des Wortes zu rühren und zu ergreifen, der Vers wurde also mit
größter Sorgfalt zur Geltung gebracht, die zusammenhängende Rede im Trauer¬
spiel immer deklamirt. "Die Wiener Manier," sagt Devrient in seiner Geschichte
der Schauspielkunst von der Schrehvogelschen Zeit (1314--1832), "baut den
Vortrag der Sentenzen und Maximen und lyrischen Ergüsse der modernen
Tragödie so effektvoll auf und gipfelt sie so geschickt zum Beifallssignal, daß
sie die Darstellung zu einem Virtuosenkonzert von sogenannten schönen Stellen
macht."

Während der Direktionen Deinhardsteins und Holbeins, die für das
Repertoire des Burgtheaters einen entschiedenen Rückgang bedeuteten, erhielt
sich doch der unter Schreyvvgel eingebürgerte Ton in der Tragödie, während
Lustspiel und Schauspiel immer noch unvergleichlich besser als auf irgend einer
andern deutschen Bühne gespielt wurden. Unter Laube drang endlich eine
realistischere Richtung ein, ohne daß mit der klassischen Überlieferung eigentlich
gebrochen worden wäre. Aber Laube selbst erzählt, wie er bisweilen mit deu
Schauspielern der alten klassischen Schule in Widerspruch geraten sei, so mit
Anschütz beim "Julius Cäsar": Anschütz wollte nicht zugeben, "daß die auf der
Bühne agirenden gar keine gesellige Rücksicht auf das Publikum nehmen, daß
sie dem Publikum sogar den Rücken zukehren." Dem stellte Laube die Ansicht
entgegen, die Szene habe alle Rechte eines Gemäldes. Dawison brachte dann
eine auf dem Burgtheater bis dahin unbekannte Spielweise zur Geltung: sein
Biograph (Wurzbach) nennt ihn sogar einen Revolutionär und Reformator,
der mit den alten Schultraditionen völlig gebrochen und das Streben nach
Natur und thatsächlicher Wahrheit, das unsre Zeit auf allen Gebieten geistigen
Lebens kennzeichnet, zuerst auf die Bühne verpflanzt habe. Stammes- und
Nationalanlage mochten dabei allerdings den wesentlichsten Teil seiner Eigenart
als Schauspieler bestimmt haben, doch hatte gewiß auch die deutsche und die
französische Bühne auf ihn stark eingewirkt. Noch als junger Mann, als Mit¬
glied des Lemberger Theaters (etwa 1839 oder 1840) hatte er einen längeren
Urlaub dazu benützt, die größeren Bühnen Deutschlands und Frankreichs kennen
zu lernen. Namentlich in Frankreich beherrschte die realistische Schule schon
lange das Theater, nur von dem klassischen Drama Corneilles und Nacines
blieb sie ausgeschlossen. Bouff6, Lemaitre, Samson werden die Muster gewesen



*) Vgl. die im vorigen Hefte der Grenzboten eingehend besprochnen Tagebücher
C. L. Costenoblcs.
Grenzboten IV. 1888. 41
Das neue Burgtheater.

Kühle derselben in der lebhaften süddeutschen Stadt beträchtlich gemildert,
die Schranken eines klassischen Konventionalismus öfters durch Leidenschaft und
Sentimentalität durchbrochen, aber man blieb doch weit entfernt von einer
realistischen Darstellungsweise, wie sie nun in Deutschland bereits die idealistische
der Weimarer zu bekämpfen begann.*) Vor allem gedachte man durch die
Macht des Wortes zu rühren und zu ergreifen, der Vers wurde also mit
größter Sorgfalt zur Geltung gebracht, die zusammenhängende Rede im Trauer¬
spiel immer deklamirt. „Die Wiener Manier," sagt Devrient in seiner Geschichte
der Schauspielkunst von der Schrehvogelschen Zeit (1314—1832), „baut den
Vortrag der Sentenzen und Maximen und lyrischen Ergüsse der modernen
Tragödie so effektvoll auf und gipfelt sie so geschickt zum Beifallssignal, daß
sie die Darstellung zu einem Virtuosenkonzert von sogenannten schönen Stellen
macht."

Während der Direktionen Deinhardsteins und Holbeins, die für das
Repertoire des Burgtheaters einen entschiedenen Rückgang bedeuteten, erhielt
sich doch der unter Schreyvvgel eingebürgerte Ton in der Tragödie, während
Lustspiel und Schauspiel immer noch unvergleichlich besser als auf irgend einer
andern deutschen Bühne gespielt wurden. Unter Laube drang endlich eine
realistischere Richtung ein, ohne daß mit der klassischen Überlieferung eigentlich
gebrochen worden wäre. Aber Laube selbst erzählt, wie er bisweilen mit deu
Schauspielern der alten klassischen Schule in Widerspruch geraten sei, so mit
Anschütz beim „Julius Cäsar": Anschütz wollte nicht zugeben, „daß die auf der
Bühne agirenden gar keine gesellige Rücksicht auf das Publikum nehmen, daß
sie dem Publikum sogar den Rücken zukehren." Dem stellte Laube die Ansicht
entgegen, die Szene habe alle Rechte eines Gemäldes. Dawison brachte dann
eine auf dem Burgtheater bis dahin unbekannte Spielweise zur Geltung: sein
Biograph (Wurzbach) nennt ihn sogar einen Revolutionär und Reformator,
der mit den alten Schultraditionen völlig gebrochen und das Streben nach
Natur und thatsächlicher Wahrheit, das unsre Zeit auf allen Gebieten geistigen
Lebens kennzeichnet, zuerst auf die Bühne verpflanzt habe. Stammes- und
Nationalanlage mochten dabei allerdings den wesentlichsten Teil seiner Eigenart
als Schauspieler bestimmt haben, doch hatte gewiß auch die deutsche und die
französische Bühne auf ihn stark eingewirkt. Noch als junger Mann, als Mit¬
glied des Lemberger Theaters (etwa 1839 oder 1840) hatte er einen längeren
Urlaub dazu benützt, die größeren Bühnen Deutschlands und Frankreichs kennen
zu lernen. Namentlich in Frankreich beherrschte die realistische Schule schon
lange das Theater, nur von dem klassischen Drama Corneilles und Nacines
blieb sie ausgeschlossen. Bouff6, Lemaitre, Samson werden die Muster gewesen



*) Vgl. die im vorigen Hefte der Grenzboten eingehend besprochnen Tagebücher
C. L. Costenoblcs.
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[0329] Das neue Burgtheater. Kühle derselben in der lebhaften süddeutschen Stadt beträchtlich gemildert, die Schranken eines klassischen Konventionalismus öfters durch Leidenschaft und Sentimentalität durchbrochen, aber man blieb doch weit entfernt von einer realistischen Darstellungsweise, wie sie nun in Deutschland bereits die idealistische der Weimarer zu bekämpfen begann.*) Vor allem gedachte man durch die Macht des Wortes zu rühren und zu ergreifen, der Vers wurde also mit größter Sorgfalt zur Geltung gebracht, die zusammenhängende Rede im Trauer¬ spiel immer deklamirt. „Die Wiener Manier," sagt Devrient in seiner Geschichte der Schauspielkunst von der Schrehvogelschen Zeit (1314—1832), „baut den Vortrag der Sentenzen und Maximen und lyrischen Ergüsse der modernen Tragödie so effektvoll auf und gipfelt sie so geschickt zum Beifallssignal, daß sie die Darstellung zu einem Virtuosenkonzert von sogenannten schönen Stellen macht." Während der Direktionen Deinhardsteins und Holbeins, die für das Repertoire des Burgtheaters einen entschiedenen Rückgang bedeuteten, erhielt sich doch der unter Schreyvvgel eingebürgerte Ton in der Tragödie, während Lustspiel und Schauspiel immer noch unvergleichlich besser als auf irgend einer andern deutschen Bühne gespielt wurden. Unter Laube drang endlich eine realistischere Richtung ein, ohne daß mit der klassischen Überlieferung eigentlich gebrochen worden wäre. Aber Laube selbst erzählt, wie er bisweilen mit deu Schauspielern der alten klassischen Schule in Widerspruch geraten sei, so mit Anschütz beim „Julius Cäsar": Anschütz wollte nicht zugeben, „daß die auf der Bühne agirenden gar keine gesellige Rücksicht auf das Publikum nehmen, daß sie dem Publikum sogar den Rücken zukehren." Dem stellte Laube die Ansicht entgegen, die Szene habe alle Rechte eines Gemäldes. Dawison brachte dann eine auf dem Burgtheater bis dahin unbekannte Spielweise zur Geltung: sein Biograph (Wurzbach) nennt ihn sogar einen Revolutionär und Reformator, der mit den alten Schultraditionen völlig gebrochen und das Streben nach Natur und thatsächlicher Wahrheit, das unsre Zeit auf allen Gebieten geistigen Lebens kennzeichnet, zuerst auf die Bühne verpflanzt habe. Stammes- und Nationalanlage mochten dabei allerdings den wesentlichsten Teil seiner Eigenart als Schauspieler bestimmt haben, doch hatte gewiß auch die deutsche und die französische Bühne auf ihn stark eingewirkt. Noch als junger Mann, als Mit¬ glied des Lemberger Theaters (etwa 1839 oder 1840) hatte er einen längeren Urlaub dazu benützt, die größeren Bühnen Deutschlands und Frankreichs kennen zu lernen. Namentlich in Frankreich beherrschte die realistische Schule schon lange das Theater, nur von dem klassischen Drama Corneilles und Nacines blieb sie ausgeschlossen. Bouff6, Lemaitre, Samson werden die Muster gewesen *) Vgl. die im vorigen Hefte der Grenzboten eingehend besprochnen Tagebücher C. L. Costenoblcs. Grenzboten IV. 1888. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/329>, abgerufen am 05.07.2024.