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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Karl Ludwig Lostenoble.

Zeugnis mehr für sein künstlerisches Naturell ablegt, ist sein Haß aller Schul¬
gelehrten und Buchästhetiker. "Viel Schulwissen ist nicht selten der Mörder
des feinen Geschmacks," schreibt er am 4. Juni 1823. "Das klingt paradox;
aber ich habe darin Erfahrungen gemacht." Am 9. November 1823: "Nach¬
mittags zur Sophie Schröder. Baron Hormayr kam bald nach uns. Wir
wurden von seiner geistreichen Laune sehr angenehm unterhalten. Wie eine
Zentnerlast fühlte ich es auf meinem Herzen, als der Freiherr so viel Anzie¬
hendes sprach, und ich gestehen mußte, daß ich im Wissen im Vergleiche zu
diesem Manne so gar nichts bin. Aber schon eine halbe Stunde später pries
ich den Himmel, der mir, bei allen meinen Mängeln im Schulwesen, richtigeres
Gefühl gab, als dem witzelnden Historiographen. Man kam auf die Schau¬
spielertalente des großen Jffland zu sprechen. Hormayr wagte es, über Ifflands
Darstellungen zu spötteln und nannte das Spiel des vortrefflichen Mimen
Mosaik. "Von fern -- sagte er -- scheint es schön, in der Nähe aber
gewahrt man deutlich die Zusammenstellung." Gelehrte Leute bedienen sich
oft ganz unpassender Vergleiche. Wer sah jemals Zusammensetzung an Ifflands
Wittburg in der "Versöhnung"? Wem fiel Mosaik ein bei Vorführung des
Ifflandschen deutschen Hausvaters oder wenn er Constant oder Amtman Nil-
um war?" Am 13. Dezember 1824 erzählt Costenoble: "Abends bei Sophie
Schröder. Wir lernten bei ihr einen Gelehrten namens Kurike kennen, der
ein humaner, lieber Mann zu sein scheint. Er hat über Mimik und Seelen¬
zustände geschrieben und sprach auch viel von der Gallschen Schädellehre.
Endlich aber wurde sein Geplauder doch verdächtig, als er sagte: Ja, wenn
Kant, Lessing und Engel gewußt hätten, was ich lehre!" Constenobles Haß
gegen Tieck ist teilweise auch auf diesen Haß alles Gelehrtenhochmuts zurück¬
zuführen. Am 12. September 1822 ist Karl Devrient, der Neffe des großen
Ludwig Devrient, als Mortimer gründlich durch gefallen, nachdem er mit großer
Anmaßung für sein erstes Gastspiel diese schwierigste Rolle gefordert hat. In
Hellem Zorn berichtet Costenoble: "Niemals ist wohl ein Schauspieler mehr
mit Trompeten und Pauken durchgefallen; unter Trompeten und Pauken sind
hier Zischen und Hohn zu verstehen. Schwerlich kann er nach solcher Probe
die Hofbühne weiter betreten. Meine Ahnung war also gegründet, als ich
fürchtete, ein so kecker, alles herausfordernder Bursche könne kein guter Schau¬
spieler sein. Und findet Tieck diesen Mortimer wirklich gut, so trage ich kein
Verlangen darnach, jemals von diesem Dichter gelobt zu werden. Der Satan
mag das spitze Rätsel lösen, daß große Geister fast immer seichte Theaterrezen¬
senten sind." So oft Costenoble auf Tieck zu sprechen kommt, wird er ärger¬
lich; zwischen Dresden und Wien bestand damals eine Nebenbuhlerschaft in
dramatischen Sachen; Tieck, scheint es, wollte auch Wien mit seinem Urteil
beeinflussen, und Schreyvogel, als Censor, strich Tiecksche Kritiken schlechtweg
aus dem Blatter Das trug natürlich nicht zu kollegialen Verkehr bei. Das


Karl Ludwig Lostenoble.

Zeugnis mehr für sein künstlerisches Naturell ablegt, ist sein Haß aller Schul¬
gelehrten und Buchästhetiker. „Viel Schulwissen ist nicht selten der Mörder
des feinen Geschmacks," schreibt er am 4. Juni 1823. „Das klingt paradox;
aber ich habe darin Erfahrungen gemacht." Am 9. November 1823: „Nach¬
mittags zur Sophie Schröder. Baron Hormayr kam bald nach uns. Wir
wurden von seiner geistreichen Laune sehr angenehm unterhalten. Wie eine
Zentnerlast fühlte ich es auf meinem Herzen, als der Freiherr so viel Anzie¬
hendes sprach, und ich gestehen mußte, daß ich im Wissen im Vergleiche zu
diesem Manne so gar nichts bin. Aber schon eine halbe Stunde später pries
ich den Himmel, der mir, bei allen meinen Mängeln im Schulwesen, richtigeres
Gefühl gab, als dem witzelnden Historiographen. Man kam auf die Schau¬
spielertalente des großen Jffland zu sprechen. Hormayr wagte es, über Ifflands
Darstellungen zu spötteln und nannte das Spiel des vortrefflichen Mimen
Mosaik. »Von fern — sagte er — scheint es schön, in der Nähe aber
gewahrt man deutlich die Zusammenstellung." Gelehrte Leute bedienen sich
oft ganz unpassender Vergleiche. Wer sah jemals Zusammensetzung an Ifflands
Wittburg in der »Versöhnung«? Wem fiel Mosaik ein bei Vorführung des
Ifflandschen deutschen Hausvaters oder wenn er Constant oder Amtman Nil-
um war?" Am 13. Dezember 1824 erzählt Costenoble: „Abends bei Sophie
Schröder. Wir lernten bei ihr einen Gelehrten namens Kurike kennen, der
ein humaner, lieber Mann zu sein scheint. Er hat über Mimik und Seelen¬
zustände geschrieben und sprach auch viel von der Gallschen Schädellehre.
Endlich aber wurde sein Geplauder doch verdächtig, als er sagte: Ja, wenn
Kant, Lessing und Engel gewußt hätten, was ich lehre!" Constenobles Haß
gegen Tieck ist teilweise auch auf diesen Haß alles Gelehrtenhochmuts zurück¬
zuführen. Am 12. September 1822 ist Karl Devrient, der Neffe des großen
Ludwig Devrient, als Mortimer gründlich durch gefallen, nachdem er mit großer
Anmaßung für sein erstes Gastspiel diese schwierigste Rolle gefordert hat. In
Hellem Zorn berichtet Costenoble: „Niemals ist wohl ein Schauspieler mehr
mit Trompeten und Pauken durchgefallen; unter Trompeten und Pauken sind
hier Zischen und Hohn zu verstehen. Schwerlich kann er nach solcher Probe
die Hofbühne weiter betreten. Meine Ahnung war also gegründet, als ich
fürchtete, ein so kecker, alles herausfordernder Bursche könne kein guter Schau¬
spieler sein. Und findet Tieck diesen Mortimer wirklich gut, so trage ich kein
Verlangen darnach, jemals von diesem Dichter gelobt zu werden. Der Satan
mag das spitze Rätsel lösen, daß große Geister fast immer seichte Theaterrezen¬
senten sind." So oft Costenoble auf Tieck zu sprechen kommt, wird er ärger¬
lich; zwischen Dresden und Wien bestand damals eine Nebenbuhlerschaft in
dramatischen Sachen; Tieck, scheint es, wollte auch Wien mit seinem Urteil
beeinflussen, und Schreyvogel, als Censor, strich Tiecksche Kritiken schlechtweg
aus dem Blatter Das trug natürlich nicht zu kollegialen Verkehr bei. Das


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[0284] Karl Ludwig Lostenoble. Zeugnis mehr für sein künstlerisches Naturell ablegt, ist sein Haß aller Schul¬ gelehrten und Buchästhetiker. „Viel Schulwissen ist nicht selten der Mörder des feinen Geschmacks," schreibt er am 4. Juni 1823. „Das klingt paradox; aber ich habe darin Erfahrungen gemacht." Am 9. November 1823: „Nach¬ mittags zur Sophie Schröder. Baron Hormayr kam bald nach uns. Wir wurden von seiner geistreichen Laune sehr angenehm unterhalten. Wie eine Zentnerlast fühlte ich es auf meinem Herzen, als der Freiherr so viel Anzie¬ hendes sprach, und ich gestehen mußte, daß ich im Wissen im Vergleiche zu diesem Manne so gar nichts bin. Aber schon eine halbe Stunde später pries ich den Himmel, der mir, bei allen meinen Mängeln im Schulwesen, richtigeres Gefühl gab, als dem witzelnden Historiographen. Man kam auf die Schau¬ spielertalente des großen Jffland zu sprechen. Hormayr wagte es, über Ifflands Darstellungen zu spötteln und nannte das Spiel des vortrefflichen Mimen Mosaik. »Von fern — sagte er — scheint es schön, in der Nähe aber gewahrt man deutlich die Zusammenstellung." Gelehrte Leute bedienen sich oft ganz unpassender Vergleiche. Wer sah jemals Zusammensetzung an Ifflands Wittburg in der »Versöhnung«? Wem fiel Mosaik ein bei Vorführung des Ifflandschen deutschen Hausvaters oder wenn er Constant oder Amtman Nil- um war?" Am 13. Dezember 1824 erzählt Costenoble: „Abends bei Sophie Schröder. Wir lernten bei ihr einen Gelehrten namens Kurike kennen, der ein humaner, lieber Mann zu sein scheint. Er hat über Mimik und Seelen¬ zustände geschrieben und sprach auch viel von der Gallschen Schädellehre. Endlich aber wurde sein Geplauder doch verdächtig, als er sagte: Ja, wenn Kant, Lessing und Engel gewußt hätten, was ich lehre!" Constenobles Haß gegen Tieck ist teilweise auch auf diesen Haß alles Gelehrtenhochmuts zurück¬ zuführen. Am 12. September 1822 ist Karl Devrient, der Neffe des großen Ludwig Devrient, als Mortimer gründlich durch gefallen, nachdem er mit großer Anmaßung für sein erstes Gastspiel diese schwierigste Rolle gefordert hat. In Hellem Zorn berichtet Costenoble: „Niemals ist wohl ein Schauspieler mehr mit Trompeten und Pauken durchgefallen; unter Trompeten und Pauken sind hier Zischen und Hohn zu verstehen. Schwerlich kann er nach solcher Probe die Hofbühne weiter betreten. Meine Ahnung war also gegründet, als ich fürchtete, ein so kecker, alles herausfordernder Bursche könne kein guter Schau¬ spieler sein. Und findet Tieck diesen Mortimer wirklich gut, so trage ich kein Verlangen darnach, jemals von diesem Dichter gelobt zu werden. Der Satan mag das spitze Rätsel lösen, daß große Geister fast immer seichte Theaterrezen¬ senten sind." So oft Costenoble auf Tieck zu sprechen kommt, wird er ärger¬ lich; zwischen Dresden und Wien bestand damals eine Nebenbuhlerschaft in dramatischen Sachen; Tieck, scheint es, wollte auch Wien mit seinem Urteil beeinflussen, und Schreyvogel, als Censor, strich Tiecksche Kritiken schlechtweg aus dem Blatter Das trug natürlich nicht zu kollegialen Verkehr bei. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/284>, abgerufen am 04.07.2024.