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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Rarl Ludwig Lostenoble.

datur." ein Schauspiel in fünf Akten von Kleist. Das Kleistsche Stück wurde
nicht gut vorgeführt und noch schlechter begriffen. Selbst der erfahrne Kostüme¬
direktor von Stubcnrauch sagte mir vor der Vorstellung, das heutige Schau¬
spiel sei zurückstoßend, und zwar deshalb, weil ein junger, tapferer Held wie
ein Feigling um sein Leben bitte, das er verwirkt hat. Der Prinz, ein junger,
fast bartloser Held, ist tapfer wie ein Löwe in der Schlacht und zittert vor
dem Tode eines Verbrechers. Das fand man unnatürlich und zurückstoßend,
weil ein Soldat in allen Verhältnissen dem Tode unerschrocken ins Auge blicken
müsse. Wie oberflächlich ist dieses Urteil -- wie so gar nicht auf tiefer Men¬
schenkenntnis begründet! Ein junger fürstlicher Held, von Ehrsucht gespornt,
geht blind und mutig ins Feuer, weil im schlimmsten Falle ein rühmliches
Ende ihm zu teil wird und die Krone des Siegers seiner wartet. Ein ganz
entgegengesetztes Gefühl jedoch wird ihn beherrschen, wenn er nach subordi¬
nationswidrigem Vorgehen an seinem offnen sichern Grabe vorbeigeführt wird und
den Tod der Schande sterben soll. Erwägt man noch die zarte Jugend dieses
Prinzen und daß sein Herz von der feurigsten Liebe und folglich von zwie¬
facher Lebenslust erfüllt ist, so muß es dem verständigen Zuschauer ganz klar
werden, daß Kleist sein Bild nur der Natur entnahm. Aber die Wiener wollen
zuerst die äußern Sinne befriedigt haben, bevor ihr Kunstsinn angeregt werden
mag. Unser Prinz wollte der Natur trotzen mit eiuer blonden, langgelockten
Perrücke und mahnte in diesem Hauptschmucke an die Löwen in der Zauber¬
flöte, welche Sarastros Wagen ziehen. Als der junge Prinz angstvoll die Fürstin
fragt: "Wenn aber der Kurfürst mein Todesurteil bestätigen sollte?" und die
hohe Dame ruhig und beruhigend erwidert: "Dann, mein Sohn, mußt du dich
in dein Schicksal ergeben." lachte die Versammlung laut auf und glaubte recht
was Gescheites zu thun. Mir war es ein ganz neues Schauspiel, ein Theater¬
stück und die sonst beliebten Darsteller grausam verhöhnen zu sehen. Hier galt
kein Unterschied des Kunstranges -- wer sprach, wurde ausgelacht. Ich kann
mich nicht erinnern, jemals über die Unverschämtheit irgend eines Parterres
so im Innern empört gewesen zu sein! Einmal, weil das Stück zu ehrenwert
für solch eine barbarische Behandlung war, und zweitens, weil die Darsteller
unverdient leiden mußten." Wir haben die Stelle ganz gegeben, weil sie eines
der merkwürdigsten Ereignisse der deutschen Theatergeschichte mitteilt, aber auch
von der Unabhängigkeit und Klarheit von Costenobles Urteil Zeugnis ablegt.
Die aus dem Französischen übersetzten Lustspiele, die den Alltagsbedarf der
damaligen Bühne deckten, kritisirt er mit nicht geringer Verachtung. Das beste
zu diesen Stücken mußten die Schauspieler aus ihrer eignen Phantasie hinzu¬
thun, und man machte es auch dem in den dreißiger Jahren fruchtbar auftretenden
Bauernfeld nicht zum geringsten Vorwurfe, daß er in seinen Stücken den ein¬
zelnen Schauspielern die Rollen förmlich auf den Leib schrieb, so daß die Typen
sich wiederholten und nur die'geistreichen Gespräche wechselten. Costenoble hebt


Grenzboten IV. 1888. L5
Rarl Ludwig Lostenoble.

datur.« ein Schauspiel in fünf Akten von Kleist. Das Kleistsche Stück wurde
nicht gut vorgeführt und noch schlechter begriffen. Selbst der erfahrne Kostüme¬
direktor von Stubcnrauch sagte mir vor der Vorstellung, das heutige Schau¬
spiel sei zurückstoßend, und zwar deshalb, weil ein junger, tapferer Held wie
ein Feigling um sein Leben bitte, das er verwirkt hat. Der Prinz, ein junger,
fast bartloser Held, ist tapfer wie ein Löwe in der Schlacht und zittert vor
dem Tode eines Verbrechers. Das fand man unnatürlich und zurückstoßend,
weil ein Soldat in allen Verhältnissen dem Tode unerschrocken ins Auge blicken
müsse. Wie oberflächlich ist dieses Urteil — wie so gar nicht auf tiefer Men¬
schenkenntnis begründet! Ein junger fürstlicher Held, von Ehrsucht gespornt,
geht blind und mutig ins Feuer, weil im schlimmsten Falle ein rühmliches
Ende ihm zu teil wird und die Krone des Siegers seiner wartet. Ein ganz
entgegengesetztes Gefühl jedoch wird ihn beherrschen, wenn er nach subordi¬
nationswidrigem Vorgehen an seinem offnen sichern Grabe vorbeigeführt wird und
den Tod der Schande sterben soll. Erwägt man noch die zarte Jugend dieses
Prinzen und daß sein Herz von der feurigsten Liebe und folglich von zwie¬
facher Lebenslust erfüllt ist, so muß es dem verständigen Zuschauer ganz klar
werden, daß Kleist sein Bild nur der Natur entnahm. Aber die Wiener wollen
zuerst die äußern Sinne befriedigt haben, bevor ihr Kunstsinn angeregt werden
mag. Unser Prinz wollte der Natur trotzen mit eiuer blonden, langgelockten
Perrücke und mahnte in diesem Hauptschmucke an die Löwen in der Zauber¬
flöte, welche Sarastros Wagen ziehen. Als der junge Prinz angstvoll die Fürstin
fragt: »Wenn aber der Kurfürst mein Todesurteil bestätigen sollte?« und die
hohe Dame ruhig und beruhigend erwidert: »Dann, mein Sohn, mußt du dich
in dein Schicksal ergeben.« lachte die Versammlung laut auf und glaubte recht
was Gescheites zu thun. Mir war es ein ganz neues Schauspiel, ein Theater¬
stück und die sonst beliebten Darsteller grausam verhöhnen zu sehen. Hier galt
kein Unterschied des Kunstranges — wer sprach, wurde ausgelacht. Ich kann
mich nicht erinnern, jemals über die Unverschämtheit irgend eines Parterres
so im Innern empört gewesen zu sein! Einmal, weil das Stück zu ehrenwert
für solch eine barbarische Behandlung war, und zweitens, weil die Darsteller
unverdient leiden mußten." Wir haben die Stelle ganz gegeben, weil sie eines
der merkwürdigsten Ereignisse der deutschen Theatergeschichte mitteilt, aber auch
von der Unabhängigkeit und Klarheit von Costenobles Urteil Zeugnis ablegt.
Die aus dem Französischen übersetzten Lustspiele, die den Alltagsbedarf der
damaligen Bühne deckten, kritisirt er mit nicht geringer Verachtung. Das beste
zu diesen Stücken mußten die Schauspieler aus ihrer eignen Phantasie hinzu¬
thun, und man machte es auch dem in den dreißiger Jahren fruchtbar auftretenden
Bauernfeld nicht zum geringsten Vorwurfe, daß er in seinen Stücken den ein¬
zelnen Schauspielern die Rollen förmlich auf den Leib schrieb, so daß die Typen
sich wiederholten und nur die'geistreichen Gespräche wechselten. Costenoble hebt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/281>, abgerufen am 22.07.2024.