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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Rarl Ludwig Lostenoble.

hatte Geistesgegenwart genug, einen schicklichen Vorwand zur Ablehnung zu
finden. Wie könnte ich auch in den Zirkeln dieser vornehmen Leute mich be¬
haglich fühlen? Ich habe es einmal gekostet. Das ewige Geschnatter in franzö¬
sischer Sprache -- diese ekelhafte Herabwürdigung alles Vaterländischen! Wer
mag es hören, wenn er es nicht muß!" Mit jedem Kollegen oder Schrift¬
steller seines Verkehrs setzt er sich redlich und rückhaltlos auseinander, einmal
verzeichnet er mit Genugthuung, daß er dem jungen Bauernfeld seine Meinung
gesagt habe, ist aber durch Grillparzers formlose Fremdthuerei sehr verletzt.
Schließlich kommt er auf den Standpunkt, den er in folgender Aufzeichnung
vom 19. September 1824 einnimmt: "Kaiser Franz kam heute ins Theater
und wurde lebhaft und anhaltend mit Händeklatschen empfangen. Es ist be¬
merkenswert, daß der Landesherr und die Hofschauspieler aus eine und dieselbe
Weise begrüßt werden. Dabei dachte ich, ob dereinst dem Kaiser die Herzen
nachklopfen werden, oder ob das jetzige Händegcklatsch nur ein verhallendes
Getöse dummer Speichellecker ist. Ist das der Fall, was will dann der Dar¬
steller sich zu gute thun auf das vorübergehende Gelärme der Menge? Über
alles lachen ist die einzige Lebensweisheit." Nur den einen Idealismus
des Künstlers hielt er unerschüttert fest: "Hätte der Künstler nicht den
eignen Richter im Busen, was würde aus der Kunst werden?" (20. Inn
1820.) , ' ' ' ^ ' - ^ '

Dies wird genügen, um den Persönlichen Charakter Costenobles als Mensch
wie als Künstler ins rechte Licht zu setzen; er war wirklich eine sittliche Natur
im besten Sinne, und die Urteile einer solchen sind immer der Beachtung wert.
Aber auch seine litterarische und dramaturgische Urteilskraft verdient große
Wertschätzung. Für uns fünfzig Jahre von seiner Zeit getrennte Rezensenten
ist es sehr leicht, über die Tägesgrößen derselben die Achseln zu zucken. Aber
es ist ein historisches Dokument, wenn Costenoble auf die Nachricht von der
Ermordung Kotzebues niederschreibe: "Als wir heute zur Leseprobe vom "Viel¬
wisser" versammelt waren, erscholl die fürchterliche Kunde/daß Kotzebue von
einem fanatischen Studenten erstochen worden sei. Wir waren alle niederge¬
schmettert durch diese Trauerpost" (1. April 1819), denn diese Mitteilung be¬
weist, wie wichtig Kotzebue für die ^damalige deutsche Bühne geworden war,
deren Repertoire er vor Raupach und den Franzosen, zugleich mit Houwald
und Iffland beherrschte. Daher ist dem Schauspieler Costenoble der große Re¬
spekt, den er mit vielen seiner Zeitgenossen diesen Dichtern zollte, nicht als kri¬
tisches Armutszeugnis anzurechnen. Man muß vielmehr hervorheben, daß er
für Shakespeare, für Schiller und Goethe sich rückhaltlos begeisterte, und ganz
besonders verdient seine Beurteilung Heinrichs von Kleist hervorgehoben zu
werden, die in die Zeit der Schicksalstragödien und der Naupachschen Jamben¬
dramen fällt. Am 3. Oktober 1821 schreibt er ins Tagebuch: "Zum ersten¬
male "Prinz von Hessen-Homburg "unter dem Titel "Die Schlacht von Febr-


Rarl Ludwig Lostenoble.

hatte Geistesgegenwart genug, einen schicklichen Vorwand zur Ablehnung zu
finden. Wie könnte ich auch in den Zirkeln dieser vornehmen Leute mich be¬
haglich fühlen? Ich habe es einmal gekostet. Das ewige Geschnatter in franzö¬
sischer Sprache — diese ekelhafte Herabwürdigung alles Vaterländischen! Wer
mag es hören, wenn er es nicht muß!" Mit jedem Kollegen oder Schrift¬
steller seines Verkehrs setzt er sich redlich und rückhaltlos auseinander, einmal
verzeichnet er mit Genugthuung, daß er dem jungen Bauernfeld seine Meinung
gesagt habe, ist aber durch Grillparzers formlose Fremdthuerei sehr verletzt.
Schließlich kommt er auf den Standpunkt, den er in folgender Aufzeichnung
vom 19. September 1824 einnimmt: „Kaiser Franz kam heute ins Theater
und wurde lebhaft und anhaltend mit Händeklatschen empfangen. Es ist be¬
merkenswert, daß der Landesherr und die Hofschauspieler aus eine und dieselbe
Weise begrüßt werden. Dabei dachte ich, ob dereinst dem Kaiser die Herzen
nachklopfen werden, oder ob das jetzige Händegcklatsch nur ein verhallendes
Getöse dummer Speichellecker ist. Ist das der Fall, was will dann der Dar¬
steller sich zu gute thun auf das vorübergehende Gelärme der Menge? Über
alles lachen ist die einzige Lebensweisheit." Nur den einen Idealismus
des Künstlers hielt er unerschüttert fest: „Hätte der Künstler nicht den
eignen Richter im Busen, was würde aus der Kunst werden?" (20. Inn
1820.) , ' ' ' ^ ' - ^ '

Dies wird genügen, um den Persönlichen Charakter Costenobles als Mensch
wie als Künstler ins rechte Licht zu setzen; er war wirklich eine sittliche Natur
im besten Sinne, und die Urteile einer solchen sind immer der Beachtung wert.
Aber auch seine litterarische und dramaturgische Urteilskraft verdient große
Wertschätzung. Für uns fünfzig Jahre von seiner Zeit getrennte Rezensenten
ist es sehr leicht, über die Tägesgrößen derselben die Achseln zu zucken. Aber
es ist ein historisches Dokument, wenn Costenoble auf die Nachricht von der
Ermordung Kotzebues niederschreibe: „Als wir heute zur Leseprobe vom »Viel¬
wisser« versammelt waren, erscholl die fürchterliche Kunde/daß Kotzebue von
einem fanatischen Studenten erstochen worden sei. Wir waren alle niederge¬
schmettert durch diese Trauerpost" (1. April 1819), denn diese Mitteilung be¬
weist, wie wichtig Kotzebue für die ^damalige deutsche Bühne geworden war,
deren Repertoire er vor Raupach und den Franzosen, zugleich mit Houwald
und Iffland beherrschte. Daher ist dem Schauspieler Costenoble der große Re¬
spekt, den er mit vielen seiner Zeitgenossen diesen Dichtern zollte, nicht als kri¬
tisches Armutszeugnis anzurechnen. Man muß vielmehr hervorheben, daß er
für Shakespeare, für Schiller und Goethe sich rückhaltlos begeisterte, und ganz
besonders verdient seine Beurteilung Heinrichs von Kleist hervorgehoben zu
werden, die in die Zeit der Schicksalstragödien und der Naupachschen Jamben¬
dramen fällt. Am 3. Oktober 1821 schreibt er ins Tagebuch: „Zum ersten¬
male »Prinz von Hessen-Homburg «unter dem Titel »Die Schlacht von Febr-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/280>, abgerufen am 22.07.2024.