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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Karl Ludwig Costenoble.

spreche, den Humor. Publikum und Kunstgenossen waren nicht befriedigt. Neit
sagte, es sei falsch, den Narren so wehmütig zu spielen, denn der Narr dürfe
sich Ausfälle nur im Gewände des Scherzes erlauben. Aber wie stimmt denn
der Scherz ohne Wehmut mit dem Grame des Narren und mit den Worten:
"Sang ich vor Kummer Lieder?" Unserm Narren will, indem er sich zur tollen
Laune schraubt, vor Leid das Herz brechen. Man muß nicht immer nach in¬
nerer Überzeugung thun, sondern wie es die Welt will, die immer lachen möchte."
Am 9. März 1824: "Lear. Ich gab den Narren heute etwas bunter gefärbt
und gefiel auch mehr. Sophie Schröder kam zu mir und bemerkte: "So ist
der Narr, wie ihn die Narren haben wollen." Also das Volk will Charlata-
nerie oder Gaukelei. Mir kanns recht sein, und Shakespeare muß es sich ge¬
fallen lassen." Aber er ist noch immer nicht fertig mit seinem Narren, denn
am 22. Oktober 1824 verzeichnet er: "König Lear. Mein Narr gefiel weder
dem Publikum, noch den Kunstgenossen. Ich kann mich von der Idee, den
Narren mit Wehmut und Schmerz zu gebe", nicht losmachen; sie ist mit mir
alt geworden, und kein Mensch hat mir noch eine andre Überzeugung geben
können. Das Volk will einen Lustigmacher und weiter nichts; so mag es sich
denn einen andern Narren suchen. Ich mag kein Narr so vieler Narren werden
und thue Verzicht.auf zweideutigen Beifall."

Ebenso redlich war Costenoble im praktischen Leben. Einmal war er ge¬
zwungen, zu einer Notlüge zu greifen; seine Frau sollte eine Rolle spielen, die
sie noch nicht ganz innehatte, und mußte sich krank melden. Costenoble erzählt
den Vorfall und schließt: "So zwingen eigensinnige und alberne Theatervor¬
stände die bessern Mitglieder oft zur Falschheit und impfen die Anlage zu
Ränken selbst ein. Wie leicht können Notlügen zur Gewohnheit werden und
in Bequemlichkeitsfällen zur Anwendung kommen!" (23. September 1822.) Ein
andermal, nachdem er von der Vorstellung des ganzen Personals vor dem
neuen Direktor, dem Grafen Moriz von Dietrichstein, erzählt hat, fügt er
hinzu: "Viele meiner Kunstgenossen drängten sich um den neuen Herrscher, ich
aber mochte mich um keinen Preis mit heranmachen und lief nach löblicher
oder, wenn man lieber will, nach unlöblicher Gewohnheit auf und davon.
Durch Courmachen werde ich nie das Glück erjagen." (22. April 1821.) So¬
viel er auch seine Kollegin Sophie Schröder verehrte, über ihre weibliche Schlau¬
heit konnte er sich immer ärgern; so schreibt er am 6. November 1824: "Sophie
Schröder schimpft auf die Wiener und besucht dennoch öffentliche Bälle. Ich
würde die Volksmenge fliehen, die ich verachte." Gegen den stolzen Erb- und
Geldadel kehrt er sein gut bürgerliches Selbstgefühl heraus; er flieht die aristo¬
kratischen Liebhabertheater, die ihn als Regisseur benutzen wollen, und meidet
die reichen jüdischen Bankiers, die mit den Burgschauspielern ihren Salon auf¬
putzen. Am 22. Juni 1819 schreibt er: "Ich war beim Bankier Baron von
Arnstein, um mir Empfehlungsbriefe nach Frankfurt a. M. auszubitten. Ich


Karl Ludwig Costenoble.

spreche, den Humor. Publikum und Kunstgenossen waren nicht befriedigt. Neit
sagte, es sei falsch, den Narren so wehmütig zu spielen, denn der Narr dürfe
sich Ausfälle nur im Gewände des Scherzes erlauben. Aber wie stimmt denn
der Scherz ohne Wehmut mit dem Grame des Narren und mit den Worten:
»Sang ich vor Kummer Lieder?« Unserm Narren will, indem er sich zur tollen
Laune schraubt, vor Leid das Herz brechen. Man muß nicht immer nach in¬
nerer Überzeugung thun, sondern wie es die Welt will, die immer lachen möchte."
Am 9. März 1824: „Lear. Ich gab den Narren heute etwas bunter gefärbt
und gefiel auch mehr. Sophie Schröder kam zu mir und bemerkte: »So ist
der Narr, wie ihn die Narren haben wollen.« Also das Volk will Charlata-
nerie oder Gaukelei. Mir kanns recht sein, und Shakespeare muß es sich ge¬
fallen lassen." Aber er ist noch immer nicht fertig mit seinem Narren, denn
am 22. Oktober 1824 verzeichnet er: „König Lear. Mein Narr gefiel weder
dem Publikum, noch den Kunstgenossen. Ich kann mich von der Idee, den
Narren mit Wehmut und Schmerz zu gebe«, nicht losmachen; sie ist mit mir
alt geworden, und kein Mensch hat mir noch eine andre Überzeugung geben
können. Das Volk will einen Lustigmacher und weiter nichts; so mag es sich
denn einen andern Narren suchen. Ich mag kein Narr so vieler Narren werden
und thue Verzicht.auf zweideutigen Beifall."

Ebenso redlich war Costenoble im praktischen Leben. Einmal war er ge¬
zwungen, zu einer Notlüge zu greifen; seine Frau sollte eine Rolle spielen, die
sie noch nicht ganz innehatte, und mußte sich krank melden. Costenoble erzählt
den Vorfall und schließt: „So zwingen eigensinnige und alberne Theatervor¬
stände die bessern Mitglieder oft zur Falschheit und impfen die Anlage zu
Ränken selbst ein. Wie leicht können Notlügen zur Gewohnheit werden und
in Bequemlichkeitsfällen zur Anwendung kommen!" (23. September 1822.) Ein
andermal, nachdem er von der Vorstellung des ganzen Personals vor dem
neuen Direktor, dem Grafen Moriz von Dietrichstein, erzählt hat, fügt er
hinzu: „Viele meiner Kunstgenossen drängten sich um den neuen Herrscher, ich
aber mochte mich um keinen Preis mit heranmachen und lief nach löblicher
oder, wenn man lieber will, nach unlöblicher Gewohnheit auf und davon.
Durch Courmachen werde ich nie das Glück erjagen." (22. April 1821.) So¬
viel er auch seine Kollegin Sophie Schröder verehrte, über ihre weibliche Schlau¬
heit konnte er sich immer ärgern; so schreibt er am 6. November 1824: „Sophie
Schröder schimpft auf die Wiener und besucht dennoch öffentliche Bälle. Ich
würde die Volksmenge fliehen, die ich verachte." Gegen den stolzen Erb- und
Geldadel kehrt er sein gut bürgerliches Selbstgefühl heraus; er flieht die aristo¬
kratischen Liebhabertheater, die ihn als Regisseur benutzen wollen, und meidet
die reichen jüdischen Bankiers, die mit den Burgschauspielern ihren Salon auf¬
putzen. Am 22. Juni 1819 schreibt er: „Ich war beim Bankier Baron von
Arnstein, um mir Empfehlungsbriefe nach Frankfurt a. M. auszubitten. Ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/279>, abgerufen am 22.07.2024.