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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Karl Ludwig Costenoble.

nicht weniger Takt als Kenntnisse erfordert, muß man den Herausgebern alle
Anerkennung zollen. Denn Costenoble wurde je älter, desto schreiblustiger; an
Wiederholungen mochte es nicht fehlen, und ganz und gar beziehungsloser
Klatsch war gewiß zu entbehren. Wenn es galt, das Selbstporträt des
Schauspielers und die wertvollsten Nachrichten für den abgesteckten Zeit¬
raum einheitlich zusammenzufassen, so haben die Herausgeber ihre Aufgabe gut
gelöst. Ein kurzes biographisches Vorwort und ausführliche Sach- und Per¬
sonenregister erleichtern den Gebrauch des Buches. Leider besteht in den Tage¬
büchern eine große Lücke von fünf Jahren (1828--1830), die Hefte aus diesen
Jahren sind (wie es scheint, unwiederbringlich) verloren gegangen.

Der Wert einer geschichtlichen Quelle, wie diese Tagebücher, hängt ganz und
gar ab von dem Charakter und der geistigen Kraft desjenigen, der sie geführt hat.
Während in politischen Dingen die Subjektivität des Berichterstatters fast gar nicht
in Betracht kommt, wenn er nur in der Lage war, den Haupt- und Staatsaktionen
mit Karen Sinnen beizuwohnen, und die Fähigkeit besaß, streng sachlich darüber zu
berichten, so ist es in der Kunst- und Litteraturgeschichte vor allem wichtig, zu
wissen, wie es um die künstlerische und sittliche Urteilskraft des Berichterstatters be¬
stellt ist. Denn er berichtet über die zartesten Erscheinungen menschlicher Schöpfer¬
kraft, er kann überhaupt nicht berichten, ohne zu urteilen, seine Auffassung ist
schon beeinflußt von seinem ästhetischen Bekenntnis und seinem sittlichen Fein¬
gefühl. Er ist blind und stumpf und unempfänglich für die Vorgänge,, wenn
es ihm an künstlerischem Sinn mangelt, er ist scharfsichtig, ja prophetisch, wenn
er künstlerischen Sinn in hohem Grade besitzt. Und da muß man denn gleich
sagen, daß Costenoble ein Mann von der letztern Art war, daß er zwar auch
im Banne seiner Zeit stand und. Götter verehrte, die für uns längst ihre Herr¬
lichkeit verloren haben, daß er aber doch eine echt künstlerische, sehr einsichts?
volle und vor allem grundehrliche, echtdeutsche Natur war, daß er ein empfäng¬
liches Gemüt besaß, einen idealen, nie selbstzufriedenen, immer hochstrebenden
Geist, bereit zur Anerkennung, stark in der Liebe, zäh. in der Abneigung und
für helpe Kunst begeistert in grenzenloser Weife. Als Schauspieler von Beruf
blieb er sich stets bewußt, daß keine Untugend ihm gefährlicher werden könne,
als die der Eitelkeit, durch welche so viele ausgezeichnete Künstler sich lächerlich,
ja unerträglich gemacht haben. In seinen Tagebuchblättern ärgert er sich über
den Hochmut schnell anerkannter Künstler oder befürchtet, daß junge Talente
von dem Laster befallen werden, und warnt sich selbst davor. So schreibt er
am 11. Februar 1824: "Ziegler kein Schriftsteller) begegnete mir heute und
sprach von einer Ästhetik, die er verfaßt habe und drucken lassen wolle, als
Von einem Werke, das noch keine Nation besitze. Es ist traurig, wenn solche
Menschen, wie Dädalus, mit ihrem wächsernen Gefieder zur Sonne sich schwingen
wollen! -- Ich nehme selbst freilich auch zuweilen einen Anlauf über Meine
Kräfte;, aber ich posaune diese Narrheit doch nicht aus, als ob ich die Salomo-


Karl Ludwig Costenoble.

nicht weniger Takt als Kenntnisse erfordert, muß man den Herausgebern alle
Anerkennung zollen. Denn Costenoble wurde je älter, desto schreiblustiger; an
Wiederholungen mochte es nicht fehlen, und ganz und gar beziehungsloser
Klatsch war gewiß zu entbehren. Wenn es galt, das Selbstporträt des
Schauspielers und die wertvollsten Nachrichten für den abgesteckten Zeit¬
raum einheitlich zusammenzufassen, so haben die Herausgeber ihre Aufgabe gut
gelöst. Ein kurzes biographisches Vorwort und ausführliche Sach- und Per¬
sonenregister erleichtern den Gebrauch des Buches. Leider besteht in den Tage¬
büchern eine große Lücke von fünf Jahren (1828—1830), die Hefte aus diesen
Jahren sind (wie es scheint, unwiederbringlich) verloren gegangen.

Der Wert einer geschichtlichen Quelle, wie diese Tagebücher, hängt ganz und
gar ab von dem Charakter und der geistigen Kraft desjenigen, der sie geführt hat.
Während in politischen Dingen die Subjektivität des Berichterstatters fast gar nicht
in Betracht kommt, wenn er nur in der Lage war, den Haupt- und Staatsaktionen
mit Karen Sinnen beizuwohnen, und die Fähigkeit besaß, streng sachlich darüber zu
berichten, so ist es in der Kunst- und Litteraturgeschichte vor allem wichtig, zu
wissen, wie es um die künstlerische und sittliche Urteilskraft des Berichterstatters be¬
stellt ist. Denn er berichtet über die zartesten Erscheinungen menschlicher Schöpfer¬
kraft, er kann überhaupt nicht berichten, ohne zu urteilen, seine Auffassung ist
schon beeinflußt von seinem ästhetischen Bekenntnis und seinem sittlichen Fein¬
gefühl. Er ist blind und stumpf und unempfänglich für die Vorgänge,, wenn
es ihm an künstlerischem Sinn mangelt, er ist scharfsichtig, ja prophetisch, wenn
er künstlerischen Sinn in hohem Grade besitzt. Und da muß man denn gleich
sagen, daß Costenoble ein Mann von der letztern Art war, daß er zwar auch
im Banne seiner Zeit stand und. Götter verehrte, die für uns längst ihre Herr¬
lichkeit verloren haben, daß er aber doch eine echt künstlerische, sehr einsichts?
volle und vor allem grundehrliche, echtdeutsche Natur war, daß er ein empfäng¬
liches Gemüt besaß, einen idealen, nie selbstzufriedenen, immer hochstrebenden
Geist, bereit zur Anerkennung, stark in der Liebe, zäh. in der Abneigung und
für helpe Kunst begeistert in grenzenloser Weife. Als Schauspieler von Beruf
blieb er sich stets bewußt, daß keine Untugend ihm gefährlicher werden könne,
als die der Eitelkeit, durch welche so viele ausgezeichnete Künstler sich lächerlich,
ja unerträglich gemacht haben. In seinen Tagebuchblättern ärgert er sich über
den Hochmut schnell anerkannter Künstler oder befürchtet, daß junge Talente
von dem Laster befallen werden, und warnt sich selbst davor. So schreibt er
am 11. Februar 1824: „Ziegler kein Schriftsteller) begegnete mir heute und
sprach von einer Ästhetik, die er verfaßt habe und drucken lassen wolle, als
Von einem Werke, das noch keine Nation besitze. Es ist traurig, wenn solche
Menschen, wie Dädalus, mit ihrem wächsernen Gefieder zur Sonne sich schwingen
wollen! — Ich nehme selbst freilich auch zuweilen einen Anlauf über Meine
Kräfte;, aber ich posaune diese Narrheit doch nicht aus, als ob ich die Salomo-


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[0277] Karl Ludwig Costenoble. nicht weniger Takt als Kenntnisse erfordert, muß man den Herausgebern alle Anerkennung zollen. Denn Costenoble wurde je älter, desto schreiblustiger; an Wiederholungen mochte es nicht fehlen, und ganz und gar beziehungsloser Klatsch war gewiß zu entbehren. Wenn es galt, das Selbstporträt des Schauspielers und die wertvollsten Nachrichten für den abgesteckten Zeit¬ raum einheitlich zusammenzufassen, so haben die Herausgeber ihre Aufgabe gut gelöst. Ein kurzes biographisches Vorwort und ausführliche Sach- und Per¬ sonenregister erleichtern den Gebrauch des Buches. Leider besteht in den Tage¬ büchern eine große Lücke von fünf Jahren (1828—1830), die Hefte aus diesen Jahren sind (wie es scheint, unwiederbringlich) verloren gegangen. Der Wert einer geschichtlichen Quelle, wie diese Tagebücher, hängt ganz und gar ab von dem Charakter und der geistigen Kraft desjenigen, der sie geführt hat. Während in politischen Dingen die Subjektivität des Berichterstatters fast gar nicht in Betracht kommt, wenn er nur in der Lage war, den Haupt- und Staatsaktionen mit Karen Sinnen beizuwohnen, und die Fähigkeit besaß, streng sachlich darüber zu berichten, so ist es in der Kunst- und Litteraturgeschichte vor allem wichtig, zu wissen, wie es um die künstlerische und sittliche Urteilskraft des Berichterstatters be¬ stellt ist. Denn er berichtet über die zartesten Erscheinungen menschlicher Schöpfer¬ kraft, er kann überhaupt nicht berichten, ohne zu urteilen, seine Auffassung ist schon beeinflußt von seinem ästhetischen Bekenntnis und seinem sittlichen Fein¬ gefühl. Er ist blind und stumpf und unempfänglich für die Vorgänge,, wenn es ihm an künstlerischem Sinn mangelt, er ist scharfsichtig, ja prophetisch, wenn er künstlerischen Sinn in hohem Grade besitzt. Und da muß man denn gleich sagen, daß Costenoble ein Mann von der letztern Art war, daß er zwar auch im Banne seiner Zeit stand und. Götter verehrte, die für uns längst ihre Herr¬ lichkeit verloren haben, daß er aber doch eine echt künstlerische, sehr einsichts? volle und vor allem grundehrliche, echtdeutsche Natur war, daß er ein empfäng¬ liches Gemüt besaß, einen idealen, nie selbstzufriedenen, immer hochstrebenden Geist, bereit zur Anerkennung, stark in der Liebe, zäh. in der Abneigung und für helpe Kunst begeistert in grenzenloser Weife. Als Schauspieler von Beruf blieb er sich stets bewußt, daß keine Untugend ihm gefährlicher werden könne, als die der Eitelkeit, durch welche so viele ausgezeichnete Künstler sich lächerlich, ja unerträglich gemacht haben. In seinen Tagebuchblättern ärgert er sich über den Hochmut schnell anerkannter Künstler oder befürchtet, daß junge Talente von dem Laster befallen werden, und warnt sich selbst davor. So schreibt er am 11. Februar 1824: „Ziegler kein Schriftsteller) begegnete mir heute und sprach von einer Ästhetik, die er verfaßt habe und drucken lassen wolle, als Von einem Werke, das noch keine Nation besitze. Es ist traurig, wenn solche Menschen, wie Dädalus, mit ihrem wächsernen Gefieder zur Sonne sich schwingen wollen! — Ich nehme selbst freilich auch zuweilen einen Anlauf über Meine Kräfte;, aber ich posaune diese Narrheit doch nicht aus, als ob ich die Salomo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/277>, abgerufen am 22.07.2024.