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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Karl Ludwig Costenoble.

Regimentes, welches zumal nach der Ermordung Kotzebues 1818 sich geltend
machte. Das Volk wurde von der Teilnahme an den politischen Tagesfragen
ferngehalten, Polizei und Zensur hatten die Alleinherrschaft. Zeitungen wurden
nur geduldet, wenn sie gleichgiltigen Klatsch, abstruse Scholastik oder unschuldige
Theaternachrichten brachten. Das Metternichsche Bevvrmundungssystem duldete
nicht, daß sich ein öffentlicher Geist im Volke entwickelte. In dieser Zeit wurden
die Bühnen und ihre Vorstellungen die einzigen Anstalten, in denen sich die
Nation als solche zu fühlen vermochte; im Theater kam man zusammen, dort
wagte man Volkswünsche durch Beklatschen anzüglicher Stellen kundzugeben;
das Theater ersetzte Parlament, Wahlversammlung, Katheder, Presse. Darum
blühten auch damals alle fünf Bühnen Wiens; wälsche und einheimische Sänger
und Sängerinnen, wienerische und norddeutsche Schauspieler und Tragödinnen
wurden in Wien grenzenlos gefeiert, und die Lust am Theaterspielen ergriff
alle Kreise der Bevölkerung. In vielen hochadelichen und bürgerlichen Gesell¬
schaften bestanden Liebhaberbühnen, Burgschauspieler wurden gebeten, sie zu leiten,
und wenn auch in den strengen Altwienern Vorurteile gegen die Schauspieler
als leichtsinniges Volk noch lange nicht überwunden waren, ein kaiserlicher Be¬
amter z. B. sich tief verletzt fühlte, wenn eine ihm nahe stehende Frau zur
Bühne gehen wollte, so wurden doch die beliebten Mitglieder der einzelnen
Theater auch im bürgerlichen Leben schon geachtet. Der "gute Kaiser Franz,"
dessen schlaue Gemütlichkeit die Wiener so sehr bezauberte, gab hierin selbst den
Ton an. Er interessirte sich für sein Burgtheater lebhaft, besuchte es oft, ließ
sich gern darin huldigen, kannte jeden Schauspieler persönlich sehr gut und
griff oft mit eigner Hand in die Geschäfte seiner Theaterbeamten ein. Damals
waren die Burgschauspieler, bei weitem mehr als jetzt, wirklich "Schauspieler
des Kaisers," er lobte sie, ermunterte sie, er beschwichtigte sie, wenn sie sich bei
ihm über den Direktor oder über den Intendanten beklagten, er kümmerte sich
auch um das Repertoire und erhielt z. B. durch seine Aufmerksamkeit die
abgesetzten "Klingsberg" von Kotzebue der lebendigen Bühne.

In diese für das Theater beinahe ausschließlich sich interessirende Zeit siel
Costenobles Wirksamkeit am Wiener Burgtheater. Als er in Wien eintraf,
hatte gerade Grillparzers "Sappho" durch das klassische Spiel der großen
Tragödin Sophie Schröder Triumphe gefeiert, und man hoffte noch viel merk¬
würdigere Dinge von dem jungen, sich seines Wertes schon wohl bewußten
Dramatiker. Costenoble erlebte nach einander die Aufführung aller berühmt
gewordenen Trauerspiele Grillparzers: "Das goldene Vließ" ("Medea"), "König
Ottokars Glück und Ende," "Des Meeres und der Liebe Wellen," "Der Traum
ein Leben." Zu derselben Zeit war ein andrer Stern im Aufsteigen begriffen,
und Costenoble sollte ihn auf seiner ganzen Bahn bis zu seinem tragischen
Untergange begleiten; es war der Stern des genialen, aber unselig schwermütigen
Volksdichters und Schauspielers Ferdinand Raimund. Dann sollte Costenoble noch


Karl Ludwig Costenoble.

Regimentes, welches zumal nach der Ermordung Kotzebues 1818 sich geltend
machte. Das Volk wurde von der Teilnahme an den politischen Tagesfragen
ferngehalten, Polizei und Zensur hatten die Alleinherrschaft. Zeitungen wurden
nur geduldet, wenn sie gleichgiltigen Klatsch, abstruse Scholastik oder unschuldige
Theaternachrichten brachten. Das Metternichsche Bevvrmundungssystem duldete
nicht, daß sich ein öffentlicher Geist im Volke entwickelte. In dieser Zeit wurden
die Bühnen und ihre Vorstellungen die einzigen Anstalten, in denen sich die
Nation als solche zu fühlen vermochte; im Theater kam man zusammen, dort
wagte man Volkswünsche durch Beklatschen anzüglicher Stellen kundzugeben;
das Theater ersetzte Parlament, Wahlversammlung, Katheder, Presse. Darum
blühten auch damals alle fünf Bühnen Wiens; wälsche und einheimische Sänger
und Sängerinnen, wienerische und norddeutsche Schauspieler und Tragödinnen
wurden in Wien grenzenlos gefeiert, und die Lust am Theaterspielen ergriff
alle Kreise der Bevölkerung. In vielen hochadelichen und bürgerlichen Gesell¬
schaften bestanden Liebhaberbühnen, Burgschauspieler wurden gebeten, sie zu leiten,
und wenn auch in den strengen Altwienern Vorurteile gegen die Schauspieler
als leichtsinniges Volk noch lange nicht überwunden waren, ein kaiserlicher Be¬
amter z. B. sich tief verletzt fühlte, wenn eine ihm nahe stehende Frau zur
Bühne gehen wollte, so wurden doch die beliebten Mitglieder der einzelnen
Theater auch im bürgerlichen Leben schon geachtet. Der „gute Kaiser Franz,"
dessen schlaue Gemütlichkeit die Wiener so sehr bezauberte, gab hierin selbst den
Ton an. Er interessirte sich für sein Burgtheater lebhaft, besuchte es oft, ließ
sich gern darin huldigen, kannte jeden Schauspieler persönlich sehr gut und
griff oft mit eigner Hand in die Geschäfte seiner Theaterbeamten ein. Damals
waren die Burgschauspieler, bei weitem mehr als jetzt, wirklich „Schauspieler
des Kaisers," er lobte sie, ermunterte sie, er beschwichtigte sie, wenn sie sich bei
ihm über den Direktor oder über den Intendanten beklagten, er kümmerte sich
auch um das Repertoire und erhielt z. B. durch seine Aufmerksamkeit die
abgesetzten „Klingsberg" von Kotzebue der lebendigen Bühne.

In diese für das Theater beinahe ausschließlich sich interessirende Zeit siel
Costenobles Wirksamkeit am Wiener Burgtheater. Als er in Wien eintraf,
hatte gerade Grillparzers „Sappho" durch das klassische Spiel der großen
Tragödin Sophie Schröder Triumphe gefeiert, und man hoffte noch viel merk¬
würdigere Dinge von dem jungen, sich seines Wertes schon wohl bewußten
Dramatiker. Costenoble erlebte nach einander die Aufführung aller berühmt
gewordenen Trauerspiele Grillparzers: „Das goldene Vließ" („Medea"), „König
Ottokars Glück und Ende," „Des Meeres und der Liebe Wellen," „Der Traum
ein Leben." Zu derselben Zeit war ein andrer Stern im Aufsteigen begriffen,
und Costenoble sollte ihn auf seiner ganzen Bahn bis zu seinem tragischen
Untergange begleiten; es war der Stern des genialen, aber unselig schwermütigen
Volksdichters und Schauspielers Ferdinand Raimund. Dann sollte Costenoble noch


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[0274] Karl Ludwig Costenoble. Regimentes, welches zumal nach der Ermordung Kotzebues 1818 sich geltend machte. Das Volk wurde von der Teilnahme an den politischen Tagesfragen ferngehalten, Polizei und Zensur hatten die Alleinherrschaft. Zeitungen wurden nur geduldet, wenn sie gleichgiltigen Klatsch, abstruse Scholastik oder unschuldige Theaternachrichten brachten. Das Metternichsche Bevvrmundungssystem duldete nicht, daß sich ein öffentlicher Geist im Volke entwickelte. In dieser Zeit wurden die Bühnen und ihre Vorstellungen die einzigen Anstalten, in denen sich die Nation als solche zu fühlen vermochte; im Theater kam man zusammen, dort wagte man Volkswünsche durch Beklatschen anzüglicher Stellen kundzugeben; das Theater ersetzte Parlament, Wahlversammlung, Katheder, Presse. Darum blühten auch damals alle fünf Bühnen Wiens; wälsche und einheimische Sänger und Sängerinnen, wienerische und norddeutsche Schauspieler und Tragödinnen wurden in Wien grenzenlos gefeiert, und die Lust am Theaterspielen ergriff alle Kreise der Bevölkerung. In vielen hochadelichen und bürgerlichen Gesell¬ schaften bestanden Liebhaberbühnen, Burgschauspieler wurden gebeten, sie zu leiten, und wenn auch in den strengen Altwienern Vorurteile gegen die Schauspieler als leichtsinniges Volk noch lange nicht überwunden waren, ein kaiserlicher Be¬ amter z. B. sich tief verletzt fühlte, wenn eine ihm nahe stehende Frau zur Bühne gehen wollte, so wurden doch die beliebten Mitglieder der einzelnen Theater auch im bürgerlichen Leben schon geachtet. Der „gute Kaiser Franz," dessen schlaue Gemütlichkeit die Wiener so sehr bezauberte, gab hierin selbst den Ton an. Er interessirte sich für sein Burgtheater lebhaft, besuchte es oft, ließ sich gern darin huldigen, kannte jeden Schauspieler persönlich sehr gut und griff oft mit eigner Hand in die Geschäfte seiner Theaterbeamten ein. Damals waren die Burgschauspieler, bei weitem mehr als jetzt, wirklich „Schauspieler des Kaisers," er lobte sie, ermunterte sie, er beschwichtigte sie, wenn sie sich bei ihm über den Direktor oder über den Intendanten beklagten, er kümmerte sich auch um das Repertoire und erhielt z. B. durch seine Aufmerksamkeit die abgesetzten „Klingsberg" von Kotzebue der lebendigen Bühne. In diese für das Theater beinahe ausschließlich sich interessirende Zeit siel Costenobles Wirksamkeit am Wiener Burgtheater. Als er in Wien eintraf, hatte gerade Grillparzers „Sappho" durch das klassische Spiel der großen Tragödin Sophie Schröder Triumphe gefeiert, und man hoffte noch viel merk¬ würdigere Dinge von dem jungen, sich seines Wertes schon wohl bewußten Dramatiker. Costenoble erlebte nach einander die Aufführung aller berühmt gewordenen Trauerspiele Grillparzers: „Das goldene Vließ" („Medea"), „König Ottokars Glück und Ende," „Des Meeres und der Liebe Wellen," „Der Traum ein Leben." Zu derselben Zeit war ein andrer Stern im Aufsteigen begriffen, und Costenoble sollte ihn auf seiner ganzen Bahn bis zu seinem tragischen Untergange begleiten; es war der Stern des genialen, aber unselig schwermütigen Volksdichters und Schauspielers Ferdinand Raimund. Dann sollte Costenoble noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/274>, abgerufen am 22.07.2024.