Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. leben aus einer Öde und Dürre heraus, von der man zum Teil schon unbe¬ Wo selbst das liebe Himmelslicht Wer sie also vernichten half, machte sich um den Fortschritt verdient. So Das finstre Mittelalter, dies Stichwort der Aufklärungsperiode, das man Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. leben aus einer Öde und Dürre heraus, von der man zum Teil schon unbe¬ Wo selbst das liebe Himmelslicht Wer sie also vernichten half, machte sich um den Fortschritt verdient. So Das finstre Mittelalter, dies Stichwort der Aufklärungsperiode, das man <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0266" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203701"/> <fw type="header" place="top"> Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_654" prev="#ID_653"> leben aus einer Öde und Dürre heraus, von der man zum Teil schon unbe¬<lb/> greiflich findet, wie man hatte hinein geraten können. Wie entschieden, ja grell<lb/> der Umschwung ist, kann man daran sehen, daß man Gegenstände der Kunst<lb/> und des Handwerks aus jenen Zeiten nun als Kostbarkeiten hütet und als Vor¬<lb/> bilder sammelt, die vorher der Verachtung und mutwilligen Verwüstung preis¬<lb/> gegeben waren. Ich weiß z. B. einen Fall aus einer thüringischen Stadt, wo an<lb/> einem kostbaren Kirchenbau des zwölften bis vierzehnten Jahrhunderts, der auch<lb/> wenigstens Sonntags noch zu Frühgottesdienst diente, die Glasgemälde im<lb/> Chor den Gassenbuben als Zielscheibe für ihre Übungen im Steinwerfen dienten,<lb/> es ist um das Jahr 1800 gewesen, an der Liebfrauenkirche in Arnstadt, die<lb/> nun auch aufs schönste aus Verfall wieder hergestellt und verjüngt ist. Es war<lb/> ja Zeug aus dem finstern Mittelalter! Das mochten vorbeigehende Bürger<lb/> denken, oder, von innen gesehen, ungefähr wie Faust in seinem Studierzimmer:</p><lb/> <quote> Wo selbst das liebe Himmelslicht<lb/> Trüb durch gemalte Scheiben bricht.</quote><lb/> <p xml:id="ID_655"> Wer sie also vernichten half, machte sich um den Fortschritt verdient. So<lb/> kann sich der Begriff von Fortschritt in sein Gegenteil verkehren, wie die<lb/> Welle von der erreichten Höhe oder Tiefe in entgegengesetzter Richtung geht.</p><lb/> <p xml:id="ID_656" next="#ID_657"> Das finstre Mittelalter, dies Stichwort der Aufklärungsperiode, das man<lb/> an vielen Stellen noch ruhig fortführt, ist denn nachgerade auch so nicht mehr<lb/> haltbar. Noch Uhland, der an seiner Aufhellung so hohen Anteil hat und so<lb/> tief innerlich drin leben lernte, traute sich das Wort nur wie schüchtern mit dem<lb/> hübschen Bilde zu berichtigen: „Man hat das Mittelalter wohl eine tausend¬<lb/> jährige Nacht genannt. Diese Nacht war wenigstens eine sternenhelle, Stern¬<lb/> bilder stiegen in ihr auf und nieder, welche nicht sichtbar sind, wenn die schatten¬<lb/> lose Mittagssonne scheitelrecht auf die Häupter der Menschen leuchtet"<lb/> (Schriften 1, 4). Aber eine Zeit, aus der ein Dante leuchtet, aus der die<lb/> Scmgcskunst eines Walther von der Vogelweide und die Heldenlieder von den<lb/> Nibelungen und der Gudrun erklingen, eine Zeit, aus der die tiefsinnige, schöne<lb/> Welt- und Gottesweisheit eines Meister Eckhart in der Muttersprache er¬<lb/> glänzt, eine Zeit, die hehre Kunstwerke leuchtend hinstellte, wie das Straßburger<lb/> Münster, wie kann man die immer noch schlechthin als Nacht ansehen? Es<lb/> wirft sich vielmehr die Frage auf, wie man denn im 17. und 18. Jahrhundert<lb/> dazu kommen konnte, sie nur finster zu sehen? Sie hat wahrlich bei allem<lb/> düstern Schatten Licht und Glanz gerade genug, wenn auch zum Teil anders,<lb/> als wir sie nun brauchen können, ohne daß wir uns deshalb einbilden dürften,<lb/> wir hätten es nun gerade jetzt so herrlich weit gebracht, den einen letzten,<lb/> den absoluten Maßstab für das Schöne, Gute und Wahre, für die rechte Form<lb/> alles Lebens endlich zu besitzen. Das 18. Jahrhundert war auf dem Wege<lb/> zu diesem Irrtum oder schon mitten drin, unser Jahrhundert ist wohlweislich<lb/> in seinem Lauf davon zurückgekommen und sucht tapfer weiter nach jenem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0266]
Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
leben aus einer Öde und Dürre heraus, von der man zum Teil schon unbe¬
greiflich findet, wie man hatte hinein geraten können. Wie entschieden, ja grell
der Umschwung ist, kann man daran sehen, daß man Gegenstände der Kunst
und des Handwerks aus jenen Zeiten nun als Kostbarkeiten hütet und als Vor¬
bilder sammelt, die vorher der Verachtung und mutwilligen Verwüstung preis¬
gegeben waren. Ich weiß z. B. einen Fall aus einer thüringischen Stadt, wo an
einem kostbaren Kirchenbau des zwölften bis vierzehnten Jahrhunderts, der auch
wenigstens Sonntags noch zu Frühgottesdienst diente, die Glasgemälde im
Chor den Gassenbuben als Zielscheibe für ihre Übungen im Steinwerfen dienten,
es ist um das Jahr 1800 gewesen, an der Liebfrauenkirche in Arnstadt, die
nun auch aufs schönste aus Verfall wieder hergestellt und verjüngt ist. Es war
ja Zeug aus dem finstern Mittelalter! Das mochten vorbeigehende Bürger
denken, oder, von innen gesehen, ungefähr wie Faust in seinem Studierzimmer:
Wo selbst das liebe Himmelslicht
Trüb durch gemalte Scheiben bricht.
Wer sie also vernichten half, machte sich um den Fortschritt verdient. So
kann sich der Begriff von Fortschritt in sein Gegenteil verkehren, wie die
Welle von der erreichten Höhe oder Tiefe in entgegengesetzter Richtung geht.
Das finstre Mittelalter, dies Stichwort der Aufklärungsperiode, das man
an vielen Stellen noch ruhig fortführt, ist denn nachgerade auch so nicht mehr
haltbar. Noch Uhland, der an seiner Aufhellung so hohen Anteil hat und so
tief innerlich drin leben lernte, traute sich das Wort nur wie schüchtern mit dem
hübschen Bilde zu berichtigen: „Man hat das Mittelalter wohl eine tausend¬
jährige Nacht genannt. Diese Nacht war wenigstens eine sternenhelle, Stern¬
bilder stiegen in ihr auf und nieder, welche nicht sichtbar sind, wenn die schatten¬
lose Mittagssonne scheitelrecht auf die Häupter der Menschen leuchtet"
(Schriften 1, 4). Aber eine Zeit, aus der ein Dante leuchtet, aus der die
Scmgcskunst eines Walther von der Vogelweide und die Heldenlieder von den
Nibelungen und der Gudrun erklingen, eine Zeit, aus der die tiefsinnige, schöne
Welt- und Gottesweisheit eines Meister Eckhart in der Muttersprache er¬
glänzt, eine Zeit, die hehre Kunstwerke leuchtend hinstellte, wie das Straßburger
Münster, wie kann man die immer noch schlechthin als Nacht ansehen? Es
wirft sich vielmehr die Frage auf, wie man denn im 17. und 18. Jahrhundert
dazu kommen konnte, sie nur finster zu sehen? Sie hat wahrlich bei allem
düstern Schatten Licht und Glanz gerade genug, wenn auch zum Teil anders,
als wir sie nun brauchen können, ohne daß wir uns deshalb einbilden dürften,
wir hätten es nun gerade jetzt so herrlich weit gebracht, den einen letzten,
den absoluten Maßstab für das Schöne, Gute und Wahre, für die rechte Form
alles Lebens endlich zu besitzen. Das 18. Jahrhundert war auf dem Wege
zu diesem Irrtum oder schon mitten drin, unser Jahrhundert ist wohlweislich
in seinem Lauf davon zurückgekommen und sucht tapfer weiter nach jenem
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |