Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
TagcbuchblÄtter eines Sonntagsphilosophen.

spurlos vorüber. Der aufmerksame Zeitungsleser wird sich vielleicht der vor
kurzem durch die öffentlichen Blätter gelaufenen Nachricht erinnern, daß Neu¬
seeland auf dem Punkte stehe, seine schon übertriebenen Schutzzölle noch um
einige Prozente hinauszusetzen. Das Kolonialamt wird das mit einigem Be¬
dauern für die englische Industrie ruhig geschehen lassen. Würde eine deutsche
Kolonie das gleiche thun, so wären wir diplomatischer Einwirkungen zu Gunsten
des einzigen und wahren Freihandels gewiß.

Ein im Prinzip freihändlerisches Volk und seine Regierung erkennen damit
an, daß der Freihandel nur für eine bestimmte wirtschaftliche Entwickelungs¬
stufe paßt. Und wenn dies zugegeben wird, so ist ein Punkt des Streites über
den Freihandel gehoben. Es kann noch eine Meinungsverschiedenheit darüber
bestehen bleiben, wann ein Land für den Übergang zum Freihandel reif ist und
wie er sich praktisch gestalten soll. Auch über das letztere kann nicht lange gestritten
werden: der Übergang kann nur allmählich, niemals plötzlich vor sich gehen.
Allerdings sind unsre parlamentarischen Freihändler in Deutschland so unklug,
fort und fort der radikalen schärfsten Rückkehr zum Freihandel das Wort zu
reden, aber sie setzen sich damit in Widerspruch mit der gesunden Vernunft
und mit ihrem Meister Adam Smith, der, wie wir bereits erwähnt haben,
schon aus reiner Menschlichkeit für die in einer Industrie beschäftigten Arbeiter
gegen die plötzliche Aufhebung der Schutzzölle aufgetreten ist.




Tagebuchblätter eines ^onntagsphilosophen.
^2. Gute alte Zeit und Fortschritt.

"^-,^L"5
MMKin sogenannte gute alte Zeit, das ist ein beliebtes Ziel des Spötters
oder Spöttelns in dem Gedankenkreise, der den Tag beherrscht.
Es ist, als gälte es den Leuten, mit dem Glauben daran auf¬
zuräumen als mit einem Stück schädlichen Aberglaubens, der noch
aus einer glücklich überwundenen Zeit hier und da übrig ist. Ich
habe an dem Spotte nie Freude gehabt, auch nicht, wo er einmal als berech¬
tigt erscheinen konnte, obschon ich mich vor der Gefahr, die Gegenwart zu ver¬
achten über der Freude an Dingen der Vorzeit, früh genug gesichert fühlte schon
durch den Vers des Horaz von dem Alten, der allem Neuen mit Achselzucken
und Kritteln gegenüber steht: äWoilis, qusrulus, 1g.mag.lor temxori8 acti (g,rs
xost. 173).


TagcbuchblÄtter eines Sonntagsphilosophen.

spurlos vorüber. Der aufmerksame Zeitungsleser wird sich vielleicht der vor
kurzem durch die öffentlichen Blätter gelaufenen Nachricht erinnern, daß Neu¬
seeland auf dem Punkte stehe, seine schon übertriebenen Schutzzölle noch um
einige Prozente hinauszusetzen. Das Kolonialamt wird das mit einigem Be¬
dauern für die englische Industrie ruhig geschehen lassen. Würde eine deutsche
Kolonie das gleiche thun, so wären wir diplomatischer Einwirkungen zu Gunsten
des einzigen und wahren Freihandels gewiß.

Ein im Prinzip freihändlerisches Volk und seine Regierung erkennen damit
an, daß der Freihandel nur für eine bestimmte wirtschaftliche Entwickelungs¬
stufe paßt. Und wenn dies zugegeben wird, so ist ein Punkt des Streites über
den Freihandel gehoben. Es kann noch eine Meinungsverschiedenheit darüber
bestehen bleiben, wann ein Land für den Übergang zum Freihandel reif ist und
wie er sich praktisch gestalten soll. Auch über das letztere kann nicht lange gestritten
werden: der Übergang kann nur allmählich, niemals plötzlich vor sich gehen.
Allerdings sind unsre parlamentarischen Freihändler in Deutschland so unklug,
fort und fort der radikalen schärfsten Rückkehr zum Freihandel das Wort zu
reden, aber sie setzen sich damit in Widerspruch mit der gesunden Vernunft
und mit ihrem Meister Adam Smith, der, wie wir bereits erwähnt haben,
schon aus reiner Menschlichkeit für die in einer Industrie beschäftigten Arbeiter
gegen die plötzliche Aufhebung der Schutzzölle aufgetreten ist.




Tagebuchblätter eines ^onntagsphilosophen.
^2. Gute alte Zeit und Fortschritt.

»^-,^L«5
MMKin sogenannte gute alte Zeit, das ist ein beliebtes Ziel des Spötters
oder Spöttelns in dem Gedankenkreise, der den Tag beherrscht.
Es ist, als gälte es den Leuten, mit dem Glauben daran auf¬
zuräumen als mit einem Stück schädlichen Aberglaubens, der noch
aus einer glücklich überwundenen Zeit hier und da übrig ist. Ich
habe an dem Spotte nie Freude gehabt, auch nicht, wo er einmal als berech¬
tigt erscheinen konnte, obschon ich mich vor der Gefahr, die Gegenwart zu ver¬
achten über der Freude an Dingen der Vorzeit, früh genug gesichert fühlte schon
durch den Vers des Horaz von dem Alten, der allem Neuen mit Achselzucken
und Kritteln gegenüber steht: äWoilis, qusrulus, 1g.mag.lor temxori8 acti (g,rs
xost. 173).


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203697"/>
          <fw type="header" place="top"> TagcbuchblÄtter eines Sonntagsphilosophen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_643" prev="#ID_642"> spurlos vorüber. Der aufmerksame Zeitungsleser wird sich vielleicht der vor<lb/>
kurzem durch die öffentlichen Blätter gelaufenen Nachricht erinnern, daß Neu¬<lb/>
seeland auf dem Punkte stehe, seine schon übertriebenen Schutzzölle noch um<lb/>
einige Prozente hinauszusetzen. Das Kolonialamt wird das mit einigem Be¬<lb/>
dauern für die englische Industrie ruhig geschehen lassen. Würde eine deutsche<lb/>
Kolonie das gleiche thun, so wären wir diplomatischer Einwirkungen zu Gunsten<lb/>
des einzigen und wahren Freihandels gewiß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_644"> Ein im Prinzip freihändlerisches Volk und seine Regierung erkennen damit<lb/>
an, daß der Freihandel nur für eine bestimmte wirtschaftliche Entwickelungs¬<lb/>
stufe paßt. Und wenn dies zugegeben wird, so ist ein Punkt des Streites über<lb/>
den Freihandel gehoben. Es kann noch eine Meinungsverschiedenheit darüber<lb/>
bestehen bleiben, wann ein Land für den Übergang zum Freihandel reif ist und<lb/>
wie er sich praktisch gestalten soll. Auch über das letztere kann nicht lange gestritten<lb/>
werden: der Übergang kann nur allmählich, niemals plötzlich vor sich gehen.<lb/>
Allerdings sind unsre parlamentarischen Freihändler in Deutschland so unklug,<lb/>
fort und fort der radikalen schärfsten Rückkehr zum Freihandel das Wort zu<lb/>
reden, aber sie setzen sich damit in Widerspruch mit der gesunden Vernunft<lb/>
und mit ihrem Meister Adam Smith, der, wie wir bereits erwähnt haben,<lb/>
schon aus reiner Menschlichkeit für die in einer Industrie beschäftigten Arbeiter<lb/>
gegen die plötzliche Aufhebung der Schutzzölle aufgetreten ist.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Tagebuchblätter eines ^onntagsphilosophen.<lb/>
^2.  Gute alte Zeit und Fortschritt. </head><lb/>
          <p xml:id="ID_645"> »^-,^L«5<lb/>
MMKin sogenannte gute alte Zeit, das ist ein beliebtes Ziel des Spötters<lb/>
oder Spöttelns in dem Gedankenkreise, der den Tag beherrscht.<lb/>
Es ist, als gälte es den Leuten, mit dem Glauben daran auf¬<lb/>
zuräumen als mit einem Stück schädlichen Aberglaubens, der noch<lb/>
aus einer glücklich überwundenen Zeit hier und da übrig ist. Ich<lb/>
habe an dem Spotte nie Freude gehabt, auch nicht, wo er einmal als berech¬<lb/>
tigt erscheinen konnte, obschon ich mich vor der Gefahr, die Gegenwart zu ver¬<lb/>
achten über der Freude an Dingen der Vorzeit, früh genug gesichert fühlte schon<lb/>
durch den Vers des Horaz von dem Alten, der allem Neuen mit Achselzucken<lb/>
und Kritteln gegenüber steht: äWoilis, qusrulus, 1g.mag.lor temxori8 acti (g,rs<lb/>
xost. 173).</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0262] TagcbuchblÄtter eines Sonntagsphilosophen. spurlos vorüber. Der aufmerksame Zeitungsleser wird sich vielleicht der vor kurzem durch die öffentlichen Blätter gelaufenen Nachricht erinnern, daß Neu¬ seeland auf dem Punkte stehe, seine schon übertriebenen Schutzzölle noch um einige Prozente hinauszusetzen. Das Kolonialamt wird das mit einigem Be¬ dauern für die englische Industrie ruhig geschehen lassen. Würde eine deutsche Kolonie das gleiche thun, so wären wir diplomatischer Einwirkungen zu Gunsten des einzigen und wahren Freihandels gewiß. Ein im Prinzip freihändlerisches Volk und seine Regierung erkennen damit an, daß der Freihandel nur für eine bestimmte wirtschaftliche Entwickelungs¬ stufe paßt. Und wenn dies zugegeben wird, so ist ein Punkt des Streites über den Freihandel gehoben. Es kann noch eine Meinungsverschiedenheit darüber bestehen bleiben, wann ein Land für den Übergang zum Freihandel reif ist und wie er sich praktisch gestalten soll. Auch über das letztere kann nicht lange gestritten werden: der Übergang kann nur allmählich, niemals plötzlich vor sich gehen. Allerdings sind unsre parlamentarischen Freihändler in Deutschland so unklug, fort und fort der radikalen schärfsten Rückkehr zum Freihandel das Wort zu reden, aber sie setzen sich damit in Widerspruch mit der gesunden Vernunft und mit ihrem Meister Adam Smith, der, wie wir bereits erwähnt haben, schon aus reiner Menschlichkeit für die in einer Industrie beschäftigten Arbeiter gegen die plötzliche Aufhebung der Schutzzölle aufgetreten ist. Tagebuchblätter eines ^onntagsphilosophen. ^2. Gute alte Zeit und Fortschritt. »^-,^L«5 MMKin sogenannte gute alte Zeit, das ist ein beliebtes Ziel des Spötters oder Spöttelns in dem Gedankenkreise, der den Tag beherrscht. Es ist, als gälte es den Leuten, mit dem Glauben daran auf¬ zuräumen als mit einem Stück schädlichen Aberglaubens, der noch aus einer glücklich überwundenen Zeit hier und da übrig ist. Ich habe an dem Spotte nie Freude gehabt, auch nicht, wo er einmal als berech¬ tigt erscheinen konnte, obschon ich mich vor der Gefahr, die Gegenwart zu ver¬ achten über der Freude an Dingen der Vorzeit, früh genug gesichert fühlte schon durch den Vers des Horaz von dem Alten, der allem Neuen mit Achselzucken und Kritteln gegenüber steht: äWoilis, qusrulus, 1g.mag.lor temxori8 acti (g,rs xost. 173).

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/262
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/262>, abgerufen am 22.07.2024.