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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Übergewicht, das Osterreich in Deutschland und in Italien, nicht einmal
zum eignen Heile, jedenfalls aber zum Unheile dieser beiden Länder so lange
behauptet hatte, war endlich abgeschüttelt. Alle seine Anstrengungen hatten
schließlich nicht die auf nationalen Grundlagen sich vollziehende Einigung beider
Reiche verhindern können, und seine beherrschende Stellung in ihnen war
unwiederbringlich verloren gegangen. Auf dem Kongreß zu Berlin, 1878,
der die Abmachungen des Friedens von San Stefano einigermaßen berichtigen
sollte, zeigte sich Bismarck als "ehrlicher Makler"; das verschaffte Österreich
den Besitz von Bosnien und der Herzegowina, eines weite" Gebietes auf der
Balkanhalbinsel mit mehr als 1,300,000 Einwohner". Der Schwerpunkt des
Staates, den unser Reichskanzler schon vor dem Kriege von 1866 nach Ofen
verlegt sehen wollte, wurde dadurch noch mehr nach dem Oriente verschoben.
Dort liegen seine wesentlichen Interessen; dort hat es gewaltige Aufgaben zu
lösen, dort eine zwar schwere, aber auch segensreiche Sendung zu erfüllen,
nämlich die Verbreitung und Befestigung europäischer Bildung und Ge¬
sittung.

Die beiden auf Nationalität begründeten Reiche, die auf Kosten der
politischen Stellung, teilweise auch des Gebietes von Osterreich sich gebildet
haben, Deutschland und Italien, sind jetzt die besten und treuesten Bundes¬
genossen des Kaiserstaates. Der schwarze Adler Preußens und das Weiße Kreuz
von Savoyen, die so oft im düstern Pulverdampfe den Kriegern voranflatterten, die
im blutigen Kampfe denen, die unter dem Doppclaar fochten, gegenüberstanden,
können jetzt ruhig und friedlich mit diesem vereint flattern. Die drei Mächte,
deren Sinnbilder diese Bannerzeichen sind, bilden den Friedensbund und Frie¬
denshort von Mitteleuropa; an diesem festen Felsen werden hoffentlich noch
manchmal die wilden, kriegerischen Leidenschaften heimtückischer Feinde machtlos
zerschellen.

Aber wird dieses Verhältnis von Dauer sein? So weit Menschen die Zu¬
kunft ermessen und beurteilen können, darf man diese Frage unbedingt und
freudig mit Ja beantworten. Auch wenn neue Männer mit neuen Gedanken
die Leitung der Staaten übernehmen, an diesem Friedensbunde werden sie
schwerlich etwas ändern. Denn er beruht auf der Gemeinschaft der wichtigsten
Lebensinteressen der drei Länder. Gebrochen und zerrissen könnte er nur werden
in folgenden drei Fällen: 1. wenn Österreich den Versuch machen sollte, sein
Verlornes Übergewicht in Deutschland und Italien wieder zu erobern, 2. wenn
Italien ernstlich daran denken sollte, die österreichischen Besitzungen in Süd¬
tirol oder am adriatischen Meere an sich zu reißen, 3. wenn das deutsche Reich
darauf ausgehen sollte, die österreich-ungarische Monarchie zu zertrümmern, um
die sogenannte" deutschen Provinzen derselben sich selbst einzuverleiben. Daß
es unbelehrbare und unverbesserliche, verbissene Parteifanatiker giebt, und zwar
nicht nur innerhalb der schwarz-gelben Grenzpfähle, sondern auch im deutschen


Übergewicht, das Osterreich in Deutschland und in Italien, nicht einmal
zum eignen Heile, jedenfalls aber zum Unheile dieser beiden Länder so lange
behauptet hatte, war endlich abgeschüttelt. Alle seine Anstrengungen hatten
schließlich nicht die auf nationalen Grundlagen sich vollziehende Einigung beider
Reiche verhindern können, und seine beherrschende Stellung in ihnen war
unwiederbringlich verloren gegangen. Auf dem Kongreß zu Berlin, 1878,
der die Abmachungen des Friedens von San Stefano einigermaßen berichtigen
sollte, zeigte sich Bismarck als „ehrlicher Makler"; das verschaffte Österreich
den Besitz von Bosnien und der Herzegowina, eines weite» Gebietes auf der
Balkanhalbinsel mit mehr als 1,300,000 Einwohner». Der Schwerpunkt des
Staates, den unser Reichskanzler schon vor dem Kriege von 1866 nach Ofen
verlegt sehen wollte, wurde dadurch noch mehr nach dem Oriente verschoben.
Dort liegen seine wesentlichen Interessen; dort hat es gewaltige Aufgaben zu
lösen, dort eine zwar schwere, aber auch segensreiche Sendung zu erfüllen,
nämlich die Verbreitung und Befestigung europäischer Bildung und Ge¬
sittung.

Die beiden auf Nationalität begründeten Reiche, die auf Kosten der
politischen Stellung, teilweise auch des Gebietes von Osterreich sich gebildet
haben, Deutschland und Italien, sind jetzt die besten und treuesten Bundes¬
genossen des Kaiserstaates. Der schwarze Adler Preußens und das Weiße Kreuz
von Savoyen, die so oft im düstern Pulverdampfe den Kriegern voranflatterten, die
im blutigen Kampfe denen, die unter dem Doppclaar fochten, gegenüberstanden,
können jetzt ruhig und friedlich mit diesem vereint flattern. Die drei Mächte,
deren Sinnbilder diese Bannerzeichen sind, bilden den Friedensbund und Frie¬
denshort von Mitteleuropa; an diesem festen Felsen werden hoffentlich noch
manchmal die wilden, kriegerischen Leidenschaften heimtückischer Feinde machtlos
zerschellen.

Aber wird dieses Verhältnis von Dauer sein? So weit Menschen die Zu¬
kunft ermessen und beurteilen können, darf man diese Frage unbedingt und
freudig mit Ja beantworten. Auch wenn neue Männer mit neuen Gedanken
die Leitung der Staaten übernehmen, an diesem Friedensbunde werden sie
schwerlich etwas ändern. Denn er beruht auf der Gemeinschaft der wichtigsten
Lebensinteressen der drei Länder. Gebrochen und zerrissen könnte er nur werden
in folgenden drei Fällen: 1. wenn Österreich den Versuch machen sollte, sein
Verlornes Übergewicht in Deutschland und Italien wieder zu erobern, 2. wenn
Italien ernstlich daran denken sollte, die österreichischen Besitzungen in Süd¬
tirol oder am adriatischen Meere an sich zu reißen, 3. wenn das deutsche Reich
darauf ausgehen sollte, die österreich-ungarische Monarchie zu zertrümmern, um
die sogenannte» deutschen Provinzen derselben sich selbst einzuverleiben. Daß
es unbelehrbare und unverbesserliche, verbissene Parteifanatiker giebt, und zwar
nicht nur innerhalb der schwarz-gelben Grenzpfähle, sondern auch im deutschen


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[0230] Übergewicht, das Osterreich in Deutschland und in Italien, nicht einmal zum eignen Heile, jedenfalls aber zum Unheile dieser beiden Länder so lange behauptet hatte, war endlich abgeschüttelt. Alle seine Anstrengungen hatten schließlich nicht die auf nationalen Grundlagen sich vollziehende Einigung beider Reiche verhindern können, und seine beherrschende Stellung in ihnen war unwiederbringlich verloren gegangen. Auf dem Kongreß zu Berlin, 1878, der die Abmachungen des Friedens von San Stefano einigermaßen berichtigen sollte, zeigte sich Bismarck als „ehrlicher Makler"; das verschaffte Österreich den Besitz von Bosnien und der Herzegowina, eines weite» Gebietes auf der Balkanhalbinsel mit mehr als 1,300,000 Einwohner». Der Schwerpunkt des Staates, den unser Reichskanzler schon vor dem Kriege von 1866 nach Ofen verlegt sehen wollte, wurde dadurch noch mehr nach dem Oriente verschoben. Dort liegen seine wesentlichen Interessen; dort hat es gewaltige Aufgaben zu lösen, dort eine zwar schwere, aber auch segensreiche Sendung zu erfüllen, nämlich die Verbreitung und Befestigung europäischer Bildung und Ge¬ sittung. Die beiden auf Nationalität begründeten Reiche, die auf Kosten der politischen Stellung, teilweise auch des Gebietes von Osterreich sich gebildet haben, Deutschland und Italien, sind jetzt die besten und treuesten Bundes¬ genossen des Kaiserstaates. Der schwarze Adler Preußens und das Weiße Kreuz von Savoyen, die so oft im düstern Pulverdampfe den Kriegern voranflatterten, die im blutigen Kampfe denen, die unter dem Doppclaar fochten, gegenüberstanden, können jetzt ruhig und friedlich mit diesem vereint flattern. Die drei Mächte, deren Sinnbilder diese Bannerzeichen sind, bilden den Friedensbund und Frie¬ denshort von Mitteleuropa; an diesem festen Felsen werden hoffentlich noch manchmal die wilden, kriegerischen Leidenschaften heimtückischer Feinde machtlos zerschellen. Aber wird dieses Verhältnis von Dauer sein? So weit Menschen die Zu¬ kunft ermessen und beurteilen können, darf man diese Frage unbedingt und freudig mit Ja beantworten. Auch wenn neue Männer mit neuen Gedanken die Leitung der Staaten übernehmen, an diesem Friedensbunde werden sie schwerlich etwas ändern. Denn er beruht auf der Gemeinschaft der wichtigsten Lebensinteressen der drei Länder. Gebrochen und zerrissen könnte er nur werden in folgenden drei Fällen: 1. wenn Österreich den Versuch machen sollte, sein Verlornes Übergewicht in Deutschland und Italien wieder zu erobern, 2. wenn Italien ernstlich daran denken sollte, die österreichischen Besitzungen in Süd¬ tirol oder am adriatischen Meere an sich zu reißen, 3. wenn das deutsche Reich darauf ausgehen sollte, die österreich-ungarische Monarchie zu zertrümmern, um die sogenannte» deutschen Provinzen derselben sich selbst einzuverleiben. Daß es unbelehrbare und unverbesserliche, verbissene Parteifanatiker giebt, und zwar nicht nur innerhalb der schwarz-gelben Grenzpfähle, sondern auch im deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/230>, abgerufen am 04.07.2024.