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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebiet5entwicklnng der Linzelstaaten Deutschlands.

reich am Oberrhein. So lange sie zu seinen Staaten gehörten, berührte alles,
was dort das Reich betraf, ihn in seinen persönlichen und dynastischen Interessen;
wollte er seinen eignen Besitz in Oberdeutschland schützen, lag ihm notwendiger¬
weise auch der Reichsschutz ob; dieser drückenden Verpflichtung konnte er sich
nur entziehen, wenn er sich jener Gebiete entäußerte und dafür etwa seine Erd¬
taube durch vorteilhafter gelegene Provinzen abrundete.

Hieran dachte freilich der Fürst, der zunächst als Mitregent seiner Mutter,
dann als Selbstbeherrscher die Geschicke Österreichs leitete, Joseph II., durchaus
nicht. Im Gegenteile war, abgesehen von den vielen Plänen und Bestrebungen
der verschiedensten Art, die der jugendlich feurige und geistig hochbegabte Fürst
mit leidenschaftlicher Überstürzung, aber ohne die erforderliche Stetigkeit und
Folgerichtigkeit durchzuführen strebte, seine Politik wesentlich darauf gerichtet,
diese Machtstellung Österreichs in Süddeutschland noch wesentlich zu verstärken
und diesen Teil des Reiches entweder unmittelbar oder mittelbar seiner Herr¬
schaft ganz zu unterwerfen. Die einzigen Fürsten, die diesen Bestrebungen Wider¬
stand leisten konnten, und die sich niemals bedingungslos der österreichischen
Leitung gefügt hatten, waren die Kurfürsten von Baiern und die Herzöge von
Württemberg; später kamen dazu noch die Markgrafen von Baden. Die letztern
waren vorläufig noch sehr unbedeutend, und ihre Besitzungen lagen ganz in dem
österreichischem Machtbcreiche. Württemberg hatte schon einmal den Habsburger"
gehört: als Herzog Ulrich infolge des Aufstandes des "armen Konrad" und
seiner Fehde mit der Stadt Reutlingen, woraus sich ein Krieg mit dem schwä¬
bischen Bunde entspann, von seinen eignen Schwägern, den Herzogen von Baiern,
die sich an die Spitze des Bundesheeres gestellt hatten, aus seinem Lande ver¬
trieben war, hatte Kaiser Karl V. dieses durch Kauf an sich gebracht, und sein
Bruder Ferdinand ließ es durch Statthalter regieren. Im Jahre 1534 gelang
es Ulrich, mit Hilfe Frankreichs und Hessens in sein Land zurückzukehren.
Unter Vermittlung von Kursachsen kam mit dem römischen Könige Ferdinand
auch ein Vertrag zu stände, durch den dieser zwar in die Wiedereinsetzung
des Herzogs willigte, sich selbst aber nicht nur die Lehnshoheit, sondern auch
die Anwartschaft auf das Land vorbehielt. Einem seiner Nachfolger, dem Her¬
zog Friedrich, gelang es nach langen Verhandlungen mit Kaiser Rudolf II.,
sich wieder von der Lehnshohcit des Hauses Österreich frei zu machen; die Anwart¬
schaft auf das Erbe blieb jedoch bestehen. Dieses sogenannte ^aotura Ü,nao1-
ullum vom Jahre 1699 hätte sicher eine Handhabe zur frühern oder spätern
Einverleibung Württembergs geliefert, sobald nur erst die Erwerbung des da¬
zwischen liegenden größern Baiern gelungen war.

Zweimal machte Kaiser Joseph II. den Versuch, diesen seinen Lieblingsplan
durchzuführen, und beidemale wurde er daran durch das Dazwischentreten
Friedrichs des Großen verhindert. Mit Maximilian Joseph war im Jahre 1777
die bairische Kurlinie ausgestorben; Karl Theodor, Kurfürst von der Pfalz, das


Die Gebiet5entwicklnng der Linzelstaaten Deutschlands.

reich am Oberrhein. So lange sie zu seinen Staaten gehörten, berührte alles,
was dort das Reich betraf, ihn in seinen persönlichen und dynastischen Interessen;
wollte er seinen eignen Besitz in Oberdeutschland schützen, lag ihm notwendiger¬
weise auch der Reichsschutz ob; dieser drückenden Verpflichtung konnte er sich
nur entziehen, wenn er sich jener Gebiete entäußerte und dafür etwa seine Erd¬
taube durch vorteilhafter gelegene Provinzen abrundete.

Hieran dachte freilich der Fürst, der zunächst als Mitregent seiner Mutter,
dann als Selbstbeherrscher die Geschicke Österreichs leitete, Joseph II., durchaus
nicht. Im Gegenteile war, abgesehen von den vielen Plänen und Bestrebungen
der verschiedensten Art, die der jugendlich feurige und geistig hochbegabte Fürst
mit leidenschaftlicher Überstürzung, aber ohne die erforderliche Stetigkeit und
Folgerichtigkeit durchzuführen strebte, seine Politik wesentlich darauf gerichtet,
diese Machtstellung Österreichs in Süddeutschland noch wesentlich zu verstärken
und diesen Teil des Reiches entweder unmittelbar oder mittelbar seiner Herr¬
schaft ganz zu unterwerfen. Die einzigen Fürsten, die diesen Bestrebungen Wider¬
stand leisten konnten, und die sich niemals bedingungslos der österreichischen
Leitung gefügt hatten, waren die Kurfürsten von Baiern und die Herzöge von
Württemberg; später kamen dazu noch die Markgrafen von Baden. Die letztern
waren vorläufig noch sehr unbedeutend, und ihre Besitzungen lagen ganz in dem
österreichischem Machtbcreiche. Württemberg hatte schon einmal den Habsburger»
gehört: als Herzog Ulrich infolge des Aufstandes des „armen Konrad" und
seiner Fehde mit der Stadt Reutlingen, woraus sich ein Krieg mit dem schwä¬
bischen Bunde entspann, von seinen eignen Schwägern, den Herzogen von Baiern,
die sich an die Spitze des Bundesheeres gestellt hatten, aus seinem Lande ver¬
trieben war, hatte Kaiser Karl V. dieses durch Kauf an sich gebracht, und sein
Bruder Ferdinand ließ es durch Statthalter regieren. Im Jahre 1534 gelang
es Ulrich, mit Hilfe Frankreichs und Hessens in sein Land zurückzukehren.
Unter Vermittlung von Kursachsen kam mit dem römischen Könige Ferdinand
auch ein Vertrag zu stände, durch den dieser zwar in die Wiedereinsetzung
des Herzogs willigte, sich selbst aber nicht nur die Lehnshoheit, sondern auch
die Anwartschaft auf das Land vorbehielt. Einem seiner Nachfolger, dem Her¬
zog Friedrich, gelang es nach langen Verhandlungen mit Kaiser Rudolf II.,
sich wieder von der Lehnshohcit des Hauses Österreich frei zu machen; die Anwart¬
schaft auf das Erbe blieb jedoch bestehen. Dieses sogenannte ^aotura Ü,nao1-
ullum vom Jahre 1699 hätte sicher eine Handhabe zur frühern oder spätern
Einverleibung Württembergs geliefert, sobald nur erst die Erwerbung des da¬
zwischen liegenden größern Baiern gelungen war.

Zweimal machte Kaiser Joseph II. den Versuch, diesen seinen Lieblingsplan
durchzuführen, und beidemale wurde er daran durch das Dazwischentreten
Friedrichs des Großen verhindert. Mit Maximilian Joseph war im Jahre 1777
die bairische Kurlinie ausgestorben; Karl Theodor, Kurfürst von der Pfalz, das


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[0222] Die Gebiet5entwicklnng der Linzelstaaten Deutschlands. reich am Oberrhein. So lange sie zu seinen Staaten gehörten, berührte alles, was dort das Reich betraf, ihn in seinen persönlichen und dynastischen Interessen; wollte er seinen eignen Besitz in Oberdeutschland schützen, lag ihm notwendiger¬ weise auch der Reichsschutz ob; dieser drückenden Verpflichtung konnte er sich nur entziehen, wenn er sich jener Gebiete entäußerte und dafür etwa seine Erd¬ taube durch vorteilhafter gelegene Provinzen abrundete. Hieran dachte freilich der Fürst, der zunächst als Mitregent seiner Mutter, dann als Selbstbeherrscher die Geschicke Österreichs leitete, Joseph II., durchaus nicht. Im Gegenteile war, abgesehen von den vielen Plänen und Bestrebungen der verschiedensten Art, die der jugendlich feurige und geistig hochbegabte Fürst mit leidenschaftlicher Überstürzung, aber ohne die erforderliche Stetigkeit und Folgerichtigkeit durchzuführen strebte, seine Politik wesentlich darauf gerichtet, diese Machtstellung Österreichs in Süddeutschland noch wesentlich zu verstärken und diesen Teil des Reiches entweder unmittelbar oder mittelbar seiner Herr¬ schaft ganz zu unterwerfen. Die einzigen Fürsten, die diesen Bestrebungen Wider¬ stand leisten konnten, und die sich niemals bedingungslos der österreichischen Leitung gefügt hatten, waren die Kurfürsten von Baiern und die Herzöge von Württemberg; später kamen dazu noch die Markgrafen von Baden. Die letztern waren vorläufig noch sehr unbedeutend, und ihre Besitzungen lagen ganz in dem österreichischem Machtbcreiche. Württemberg hatte schon einmal den Habsburger» gehört: als Herzog Ulrich infolge des Aufstandes des „armen Konrad" und seiner Fehde mit der Stadt Reutlingen, woraus sich ein Krieg mit dem schwä¬ bischen Bunde entspann, von seinen eignen Schwägern, den Herzogen von Baiern, die sich an die Spitze des Bundesheeres gestellt hatten, aus seinem Lande ver¬ trieben war, hatte Kaiser Karl V. dieses durch Kauf an sich gebracht, und sein Bruder Ferdinand ließ es durch Statthalter regieren. Im Jahre 1534 gelang es Ulrich, mit Hilfe Frankreichs und Hessens in sein Land zurückzukehren. Unter Vermittlung von Kursachsen kam mit dem römischen Könige Ferdinand auch ein Vertrag zu stände, durch den dieser zwar in die Wiedereinsetzung des Herzogs willigte, sich selbst aber nicht nur die Lehnshoheit, sondern auch die Anwartschaft auf das Land vorbehielt. Einem seiner Nachfolger, dem Her¬ zog Friedrich, gelang es nach langen Verhandlungen mit Kaiser Rudolf II., sich wieder von der Lehnshohcit des Hauses Österreich frei zu machen; die Anwart¬ schaft auf das Erbe blieb jedoch bestehen. Dieses sogenannte ^aotura Ü,nao1- ullum vom Jahre 1699 hätte sicher eine Handhabe zur frühern oder spätern Einverleibung Württembergs geliefert, sobald nur erst die Erwerbung des da¬ zwischen liegenden größern Baiern gelungen war. Zweimal machte Kaiser Joseph II. den Versuch, diesen seinen Lieblingsplan durchzuführen, und beidemale wurde er daran durch das Dazwischentreten Friedrichs des Großen verhindert. Mit Maximilian Joseph war im Jahre 1777 die bairische Kurlinie ausgestorben; Karl Theodor, Kurfürst von der Pfalz, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/222>, abgerufen am 24.08.2024.