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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Freihandelslehre in Geschichte und Wissenschaft.

Ansicht von der völligen Unschädlichkeit des Absenteismus; sein Nachweis, daß
Maschinen immer nützen, dem Arbeiter sogar noch mehr, als dem Kapitalisten.
Oder gar seine bis zum Überdrusse durchgeführte Gleichstellung der Menschen
mit Maschinen. Bei Arc, dem Hauptbewunderer des neuern Fabrikentums, ist
das Entzücken darüber, daß es jetzt gar nicht mehr auf die Geschicklichkeit des
Arbeiters ankomme, alle Arbeiter, selbst Kinder, einander gleich seien u. s. w.
doch wirklich sogar vom Staudpunkte des Mammonismus ein sehr kurzsich¬
tiges." (Röscher).

Es kann nicht wunder nehmen, wenn die Freihaudelst^eorie in der Praxis
später zu so vielen Entartungen und Mißverständnissen gelangt ist, die den
Ausgangspunkt der freihändlerischen Lehre gänzlich verkennen lassen. Und es
kann noch weniger wunder nehmen, daß diese mechanistischen Übertreibungen der
Lehre Smiths durch die. welche sich seine Schüler nannten und welche in der
Litteratur wegen ihrer selbständigen extremen Stellung meist unter der Bezeich¬
nung "Smithianisten" zusammengefaßt werden, in den Kreisen der Industriellen
den nachhaltigsten Eindruck machten. Es bedürfte zur praktischen Ausnutzung
dieser dem Jndustrialismus so günstigen Lehre nur einer passenden Gelegenheit.
Und diese fanden in England die beiden Fabrikanten Richard Cobden und John
Bright zu Ende der dreißiger Jahre. Sie waren keine Theoretiker, sondern
reine Praktiker, die nur etwas erreichen konnten und wollten durch eine gewaltige
agitatorische Kraftentfaltung. Ihren ersten Stoß richteten sie 1839 gegen die
die englische Großindustrie drückenden sehr hohen Kornzölle, und als die L^cki-
Oc>rü1g.>v-I,eg.Aus die Aufhebung derselben 1846 durchgesetzt hatte und damit die
IikaZus sich auflöste, kämpften die Angehörigen derselben im "Cobdenklub" weiter
für die Durchführung der internationalen Verkehrs- und Handelsfreiheit und
die Beseitigung aller Schutzzölle. Nach dem Hauptsitze des Vereins erhielt die¬
jenige Partei, welche aus grundsätzlichen Anhängern des I^isssr es-irs se laisssr
allkr, entschiedenen Gegnern aller Schutzzölle und solchen besteht, die die spe¬
zifisch politischen und nationalen Interessen hinter den wirtschaftlichen zurück¬
treten lassen, den Namen "Manchesterpartei."

Diese Partei, in ihrer Entäußerung aller politischen und nationalen Ge¬
sichtspunkte, löste die Gesellschaft auf in eine nur durch die Interessen des
Handels und Verkehrs beherrschte und zusammengehaltene Masse freier, staatloser
Einzelwesen. An die Stelle der menschlichen Verhältnisse traten die baumwollenen
Fäden des Fabrikherrn von Manchester, der kein andres wirtschaftliches Gesetz
kennt als das persönliche Interesse. Jedoch lag es ganz außerhalb der Absicht
des "Cobdenklubs," die Manchesterlehre als solche durch alle Welt zu verbreiten,
sondern es kam ihm darauf an, unter geschickter Benutzung dieser Lehre den
für Englands Industrie und Handel gerade von jetzt an vorteilhaft gewordenen
Freihandel in allen Staaten durchzusetzen. Cobden und Bright behaupteten
und bewiesen an der Hand der "smithianischen" Lehre, daß der Freihandel allen


Grenzborcn IV. 1888. 27
Die Freihandelslehre in Geschichte und Wissenschaft.

Ansicht von der völligen Unschädlichkeit des Absenteismus; sein Nachweis, daß
Maschinen immer nützen, dem Arbeiter sogar noch mehr, als dem Kapitalisten.
Oder gar seine bis zum Überdrusse durchgeführte Gleichstellung der Menschen
mit Maschinen. Bei Arc, dem Hauptbewunderer des neuern Fabrikentums, ist
das Entzücken darüber, daß es jetzt gar nicht mehr auf die Geschicklichkeit des
Arbeiters ankomme, alle Arbeiter, selbst Kinder, einander gleich seien u. s. w.
doch wirklich sogar vom Staudpunkte des Mammonismus ein sehr kurzsich¬
tiges." (Röscher).

Es kann nicht wunder nehmen, wenn die Freihaudelst^eorie in der Praxis
später zu so vielen Entartungen und Mißverständnissen gelangt ist, die den
Ausgangspunkt der freihändlerischen Lehre gänzlich verkennen lassen. Und es
kann noch weniger wunder nehmen, daß diese mechanistischen Übertreibungen der
Lehre Smiths durch die. welche sich seine Schüler nannten und welche in der
Litteratur wegen ihrer selbständigen extremen Stellung meist unter der Bezeich¬
nung „Smithianisten" zusammengefaßt werden, in den Kreisen der Industriellen
den nachhaltigsten Eindruck machten. Es bedürfte zur praktischen Ausnutzung
dieser dem Jndustrialismus so günstigen Lehre nur einer passenden Gelegenheit.
Und diese fanden in England die beiden Fabrikanten Richard Cobden und John
Bright zu Ende der dreißiger Jahre. Sie waren keine Theoretiker, sondern
reine Praktiker, die nur etwas erreichen konnten und wollten durch eine gewaltige
agitatorische Kraftentfaltung. Ihren ersten Stoß richteten sie 1839 gegen die
die englische Großindustrie drückenden sehr hohen Kornzölle, und als die L^cki-
Oc>rü1g.>v-I,eg.Aus die Aufhebung derselben 1846 durchgesetzt hatte und damit die
IikaZus sich auflöste, kämpften die Angehörigen derselben im „Cobdenklub" weiter
für die Durchführung der internationalen Verkehrs- und Handelsfreiheit und
die Beseitigung aller Schutzzölle. Nach dem Hauptsitze des Vereins erhielt die¬
jenige Partei, welche aus grundsätzlichen Anhängern des I^isssr es-irs se laisssr
allkr, entschiedenen Gegnern aller Schutzzölle und solchen besteht, die die spe¬
zifisch politischen und nationalen Interessen hinter den wirtschaftlichen zurück¬
treten lassen, den Namen „Manchesterpartei."

Diese Partei, in ihrer Entäußerung aller politischen und nationalen Ge¬
sichtspunkte, löste die Gesellschaft auf in eine nur durch die Interessen des
Handels und Verkehrs beherrschte und zusammengehaltene Masse freier, staatloser
Einzelwesen. An die Stelle der menschlichen Verhältnisse traten die baumwollenen
Fäden des Fabrikherrn von Manchester, der kein andres wirtschaftliches Gesetz
kennt als das persönliche Interesse. Jedoch lag es ganz außerhalb der Absicht
des „Cobdenklubs," die Manchesterlehre als solche durch alle Welt zu verbreiten,
sondern es kam ihm darauf an, unter geschickter Benutzung dieser Lehre den
für Englands Industrie und Handel gerade von jetzt an vorteilhaft gewordenen
Freihandel in allen Staaten durchzusetzen. Cobden und Bright behaupteten
und bewiesen an der Hand der „smithianischen" Lehre, daß der Freihandel allen


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[0217] Die Freihandelslehre in Geschichte und Wissenschaft. Ansicht von der völligen Unschädlichkeit des Absenteismus; sein Nachweis, daß Maschinen immer nützen, dem Arbeiter sogar noch mehr, als dem Kapitalisten. Oder gar seine bis zum Überdrusse durchgeführte Gleichstellung der Menschen mit Maschinen. Bei Arc, dem Hauptbewunderer des neuern Fabrikentums, ist das Entzücken darüber, daß es jetzt gar nicht mehr auf die Geschicklichkeit des Arbeiters ankomme, alle Arbeiter, selbst Kinder, einander gleich seien u. s. w. doch wirklich sogar vom Staudpunkte des Mammonismus ein sehr kurzsich¬ tiges." (Röscher). Es kann nicht wunder nehmen, wenn die Freihaudelst^eorie in der Praxis später zu so vielen Entartungen und Mißverständnissen gelangt ist, die den Ausgangspunkt der freihändlerischen Lehre gänzlich verkennen lassen. Und es kann noch weniger wunder nehmen, daß diese mechanistischen Übertreibungen der Lehre Smiths durch die. welche sich seine Schüler nannten und welche in der Litteratur wegen ihrer selbständigen extremen Stellung meist unter der Bezeich¬ nung „Smithianisten" zusammengefaßt werden, in den Kreisen der Industriellen den nachhaltigsten Eindruck machten. Es bedürfte zur praktischen Ausnutzung dieser dem Jndustrialismus so günstigen Lehre nur einer passenden Gelegenheit. Und diese fanden in England die beiden Fabrikanten Richard Cobden und John Bright zu Ende der dreißiger Jahre. Sie waren keine Theoretiker, sondern reine Praktiker, die nur etwas erreichen konnten und wollten durch eine gewaltige agitatorische Kraftentfaltung. Ihren ersten Stoß richteten sie 1839 gegen die die englische Großindustrie drückenden sehr hohen Kornzölle, und als die L^cki- Oc>rü1g.>v-I,eg.Aus die Aufhebung derselben 1846 durchgesetzt hatte und damit die IikaZus sich auflöste, kämpften die Angehörigen derselben im „Cobdenklub" weiter für die Durchführung der internationalen Verkehrs- und Handelsfreiheit und die Beseitigung aller Schutzzölle. Nach dem Hauptsitze des Vereins erhielt die¬ jenige Partei, welche aus grundsätzlichen Anhängern des I^isssr es-irs se laisssr allkr, entschiedenen Gegnern aller Schutzzölle und solchen besteht, die die spe¬ zifisch politischen und nationalen Interessen hinter den wirtschaftlichen zurück¬ treten lassen, den Namen „Manchesterpartei." Diese Partei, in ihrer Entäußerung aller politischen und nationalen Ge¬ sichtspunkte, löste die Gesellschaft auf in eine nur durch die Interessen des Handels und Verkehrs beherrschte und zusammengehaltene Masse freier, staatloser Einzelwesen. An die Stelle der menschlichen Verhältnisse traten die baumwollenen Fäden des Fabrikherrn von Manchester, der kein andres wirtschaftliches Gesetz kennt als das persönliche Interesse. Jedoch lag es ganz außerhalb der Absicht des „Cobdenklubs," die Manchesterlehre als solche durch alle Welt zu verbreiten, sondern es kam ihm darauf an, unter geschickter Benutzung dieser Lehre den für Englands Industrie und Handel gerade von jetzt an vorteilhaft gewordenen Freihandel in allen Staaten durchzusetzen. Cobden und Bright behaupteten und bewiesen an der Hand der „smithianischen" Lehre, daß der Freihandel allen Grenzborcn IV. 1888. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/217>, abgerufen am 22.07.2024.