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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Lreihandelslehre in Geschichte und Wissenschaft.

sichersten und einträglichsten geregelt werde. Aus dem freien Schalten der mensch¬
lichen und natürlichen wirtschaftlichen Kräfte ergebe sich von selbst eine Aus¬
gleichung zwischen Bedarf und Mittel der Befriedigung, werde die Harmonie
in der Güterwelt und namentlich in der Verteilung der Gütereingänge von
selbst hergestellt.

Adam Smith hat jedoch für die Praxis der Durchführung seiner Theorie
manche Ausnahme und Einschränkung vorgezeichnet. Er ließ die Abwehr oder
Erschwerung fremder Konkurrenz und einseitigen Schutz der heimischen Industrie
sogar unter Bedingungen zu, die als wesentliche Bestandteile in den späteren
schutzzöllnerischen Systemen öfters wiederkehren. Er kann also durchaus nicht
ein "unbedingter" Freihändler genannt werden. Gewiß galt ihm die Freiheit
als die Regel und die Einschränkung als die Ausnahme, aber er dachte sich
den vollkommenen Freihandel doch nur so, wie Kant den ewigen Frieden, nur
als ideales Ziel, als utopische Idee (Moritz Meyer). Er durchbricht die Lehre
von der Freiheit des wirtschaftlichen Verkehrs nach vier Richtungen hin, in
denen er den Schutzzoll als gerechtfertigt anerkennt. Für Industriezweige, wegen
deren ein Interesse für die Landesverteidigung besteht, fordert er unbedingt
einen Schutzzoll, zur Vergeltung fremder Schutzzölle aber Retorsionszölle und
Ausgleichszölle, w?r,n die fremde Industrie durch geringere Steuerkasten als
die einheimische beschwert und dadurch konkurrenzfähiger ist, und schließlich
billigt er die Erteilung von Handelsmonopolen und Privilegien, wenn Kauf¬
leute bei einer Unternehmung in fernen, unkultivirten Ländern ein besondres
Risiko eingehen. Er übersieht zugleich nicht die Gefahren, die bei einem scharfen
Übergange vom Schutzzoll zum Freihandel drohen, und befürwortet deshalb nur
ein langsames Übergehen zum Freihandel, da sonst die fremden Waaren so
schnell auf dem Markte zusammenströmen würden, daß tausende von Inländern
ihre gewöhnliche Arbeit und ihre Erwerbsmittel verlören, woraus unstreitig eine
große Störung entstehen müsse. Nach der Aufhebung der Kontinentalsperre
erzeugte das plötzliche Eindringen der in England aufgestapelten Massen bil¬
liger Waaren in Deutschland einen Zustand, der dem von Adam Smith geschil¬
derten völlig entspricht. Kein Land hatte so darunter zu leiden, wie unser da¬
mals ohnehin schon so unglückliches, politisch und wirtschaftlich gleich zerrissenes
Vaterland. Frankreich, die Wiege des Physiokmtismus, hingegen errichtete
sofort die alten Schlagbäume, um das Eindringen des gefährlichen englischen
Feindes abzuhalten.

Adam Smith war sich des Unterschiedes zwischen theoretischer Volkswirt¬
schaftslehre und praktischer Wirtschaftspolitik durchaus bewußt. Nicht so seine
Schüler. Aber darin besteht eben meist die Schwäche der Epigonen; sie ver¬
kennen die Vorbehalte ihrer Meister und übertreiben deren Fehler. "Jene
mammonistischen Irrtümer, welche oft sehr ungerechter Weise Adam Smith
und Ricardo zugeschrieben werden, traten hier wirklich auf. So Maccullochs


Die Lreihandelslehre in Geschichte und Wissenschaft.

sichersten und einträglichsten geregelt werde. Aus dem freien Schalten der mensch¬
lichen und natürlichen wirtschaftlichen Kräfte ergebe sich von selbst eine Aus¬
gleichung zwischen Bedarf und Mittel der Befriedigung, werde die Harmonie
in der Güterwelt und namentlich in der Verteilung der Gütereingänge von
selbst hergestellt.

Adam Smith hat jedoch für die Praxis der Durchführung seiner Theorie
manche Ausnahme und Einschränkung vorgezeichnet. Er ließ die Abwehr oder
Erschwerung fremder Konkurrenz und einseitigen Schutz der heimischen Industrie
sogar unter Bedingungen zu, die als wesentliche Bestandteile in den späteren
schutzzöllnerischen Systemen öfters wiederkehren. Er kann also durchaus nicht
ein „unbedingter" Freihändler genannt werden. Gewiß galt ihm die Freiheit
als die Regel und die Einschränkung als die Ausnahme, aber er dachte sich
den vollkommenen Freihandel doch nur so, wie Kant den ewigen Frieden, nur
als ideales Ziel, als utopische Idee (Moritz Meyer). Er durchbricht die Lehre
von der Freiheit des wirtschaftlichen Verkehrs nach vier Richtungen hin, in
denen er den Schutzzoll als gerechtfertigt anerkennt. Für Industriezweige, wegen
deren ein Interesse für die Landesverteidigung besteht, fordert er unbedingt
einen Schutzzoll, zur Vergeltung fremder Schutzzölle aber Retorsionszölle und
Ausgleichszölle, w?r,n die fremde Industrie durch geringere Steuerkasten als
die einheimische beschwert und dadurch konkurrenzfähiger ist, und schließlich
billigt er die Erteilung von Handelsmonopolen und Privilegien, wenn Kauf¬
leute bei einer Unternehmung in fernen, unkultivirten Ländern ein besondres
Risiko eingehen. Er übersieht zugleich nicht die Gefahren, die bei einem scharfen
Übergange vom Schutzzoll zum Freihandel drohen, und befürwortet deshalb nur
ein langsames Übergehen zum Freihandel, da sonst die fremden Waaren so
schnell auf dem Markte zusammenströmen würden, daß tausende von Inländern
ihre gewöhnliche Arbeit und ihre Erwerbsmittel verlören, woraus unstreitig eine
große Störung entstehen müsse. Nach der Aufhebung der Kontinentalsperre
erzeugte das plötzliche Eindringen der in England aufgestapelten Massen bil¬
liger Waaren in Deutschland einen Zustand, der dem von Adam Smith geschil¬
derten völlig entspricht. Kein Land hatte so darunter zu leiden, wie unser da¬
mals ohnehin schon so unglückliches, politisch und wirtschaftlich gleich zerrissenes
Vaterland. Frankreich, die Wiege des Physiokmtismus, hingegen errichtete
sofort die alten Schlagbäume, um das Eindringen des gefährlichen englischen
Feindes abzuhalten.

Adam Smith war sich des Unterschiedes zwischen theoretischer Volkswirt¬
schaftslehre und praktischer Wirtschaftspolitik durchaus bewußt. Nicht so seine
Schüler. Aber darin besteht eben meist die Schwäche der Epigonen; sie ver¬
kennen die Vorbehalte ihrer Meister und übertreiben deren Fehler. „Jene
mammonistischen Irrtümer, welche oft sehr ungerechter Weise Adam Smith
und Ricardo zugeschrieben werden, traten hier wirklich auf. So Maccullochs


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[0216] Die Lreihandelslehre in Geschichte und Wissenschaft. sichersten und einträglichsten geregelt werde. Aus dem freien Schalten der mensch¬ lichen und natürlichen wirtschaftlichen Kräfte ergebe sich von selbst eine Aus¬ gleichung zwischen Bedarf und Mittel der Befriedigung, werde die Harmonie in der Güterwelt und namentlich in der Verteilung der Gütereingänge von selbst hergestellt. Adam Smith hat jedoch für die Praxis der Durchführung seiner Theorie manche Ausnahme und Einschränkung vorgezeichnet. Er ließ die Abwehr oder Erschwerung fremder Konkurrenz und einseitigen Schutz der heimischen Industrie sogar unter Bedingungen zu, die als wesentliche Bestandteile in den späteren schutzzöllnerischen Systemen öfters wiederkehren. Er kann also durchaus nicht ein „unbedingter" Freihändler genannt werden. Gewiß galt ihm die Freiheit als die Regel und die Einschränkung als die Ausnahme, aber er dachte sich den vollkommenen Freihandel doch nur so, wie Kant den ewigen Frieden, nur als ideales Ziel, als utopische Idee (Moritz Meyer). Er durchbricht die Lehre von der Freiheit des wirtschaftlichen Verkehrs nach vier Richtungen hin, in denen er den Schutzzoll als gerechtfertigt anerkennt. Für Industriezweige, wegen deren ein Interesse für die Landesverteidigung besteht, fordert er unbedingt einen Schutzzoll, zur Vergeltung fremder Schutzzölle aber Retorsionszölle und Ausgleichszölle, w?r,n die fremde Industrie durch geringere Steuerkasten als die einheimische beschwert und dadurch konkurrenzfähiger ist, und schließlich billigt er die Erteilung von Handelsmonopolen und Privilegien, wenn Kauf¬ leute bei einer Unternehmung in fernen, unkultivirten Ländern ein besondres Risiko eingehen. Er übersieht zugleich nicht die Gefahren, die bei einem scharfen Übergange vom Schutzzoll zum Freihandel drohen, und befürwortet deshalb nur ein langsames Übergehen zum Freihandel, da sonst die fremden Waaren so schnell auf dem Markte zusammenströmen würden, daß tausende von Inländern ihre gewöhnliche Arbeit und ihre Erwerbsmittel verlören, woraus unstreitig eine große Störung entstehen müsse. Nach der Aufhebung der Kontinentalsperre erzeugte das plötzliche Eindringen der in England aufgestapelten Massen bil¬ liger Waaren in Deutschland einen Zustand, der dem von Adam Smith geschil¬ derten völlig entspricht. Kein Land hatte so darunter zu leiden, wie unser da¬ mals ohnehin schon so unglückliches, politisch und wirtschaftlich gleich zerrissenes Vaterland. Frankreich, die Wiege des Physiokmtismus, hingegen errichtete sofort die alten Schlagbäume, um das Eindringen des gefährlichen englischen Feindes abzuhalten. Adam Smith war sich des Unterschiedes zwischen theoretischer Volkswirt¬ schaftslehre und praktischer Wirtschaftspolitik durchaus bewußt. Nicht so seine Schüler. Aber darin besteht eben meist die Schwäche der Epigonen; sie ver¬ kennen die Vorbehalte ihrer Meister und übertreiben deren Fehler. „Jene mammonistischen Irrtümer, welche oft sehr ungerechter Weise Adam Smith und Ricardo zugeschrieben werden, traten hier wirklich auf. So Maccullochs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/216>, abgerufen am 22.07.2024.