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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt.

Papstes und der Wiederkehr aller Orden, Beschlüsse, die, wenn sie praktisch
würden, nicht nur den Frieden Deutschlands, sondern zunächst auch Italiens
und weiterhin den Weltfrieden stören würden, ergeht sich dasselbe Blatt, welches
diese Dinge empfiehlt, zu gleicher Zeit in sittlicher Entrüstung darüber, daß der
Oberpräsident einer protestantischen Provinz die Hauptversammlung des Gustav-
Adolphvereins in Halle mit wohlwollenden Worten begrüßt. "Wir verlangen --
heißt es -- auf Grund unsers Rechtes und im Namen des Friedens des
deutschen Volkes, daß dem Verleumder, Hetzen und Schimpfen unter Beschlag¬
nahme des deutschen Reiches für den Protestantismus ein Ende gemacht werde,
statt daß, nachdem solche Leistungen wie in Halle vorliegen (Unterstützung be¬
drängter protestantischer Gemeinden) ein Vertreter der Staatsregierung auch noch
zu freundlicher Begrüßung sich erhebt." Wenn der Vertreter der Staats¬
regierung sich in Freiburg erhoben hätte, dann würde die "Germania" freilich
nichts von sittlicher Entrüstung wissen. Anstatt einer Antwort für die "Germania"
wollen wir das deutsche Volk daran erinnern, wie sich jüngst ein päpstliches
Hofblatt über religiöse Toleranz vernehmen ließ: "Wo die katholische Kirche
infolge beklagenswerter (?) Umstände nicht offiziell als die alleinige Staats-
religion anerkannt ist, beansprucht und fordert sie sür sich die Freiheit, deren
alle Bekenntnisse genießen, indem sie darauf rechnet, daß die Reinheit ihrer
Dogmen mit der Zeit alle Irrtümer und Lasten überwindet, und bestimmt den
Tag erwartet, wo es sich erfüllt, daß nur eine Herde unter einem Hirten
sein werde. In den Ländern jedoch, wo ihr Vorrang festgestellt ist, wo das
Blut ihrer Märtyrer und die Lehrkämpfe ihr eine volle und gesetzliche Existenz
gesichert haben, verwirft sie in der Weise eines friedlichen (?) Besitzers jede
Kultusfreiheit nicht nur als reinen Widerspruch mit der objektiven Wahrheit
der Dinge, sondern auch als einen Angriff auf ihre Rechte, auf ihre unbestreit¬
bare Oberherrschaft." Gott wolle uns vor dieser "unbestreitbaren Oberherr¬
schaft" der streitbaren Kirche behüten! Wenn Leo XIII. dem Kaiser Friedrich
durch seinen Gesandten Galimberti ganz unnützer Weise darüber seine Freude
hatte aussprechen lassen, daß der Kaiser Duldung verheißen hatte, so wissen
wir aus der Geschichte aller Länder, wie es dagegen mit der Duldung da steht,
wo die unbestreitbare Oberherrschaft der heiligen Mutterkirche und des heiligen
Vaters besteht. Um darin etwas Begehrenswertes zu finden, dazu gehört eben
die dem Ultramontanismus eigne Geschichtsanschauung, die die letzten fünfund¬
zwanzig Jahre z. B. als eine Verirrung der europäischen Geschichte ansieht.
Übrigens begegnet sich hier die Anschauung des Fortschrittes mit der der jesui¬
tischen Brüder. So hatte die "Volkszeitung" zur Erinnerung an das fünfund¬
zwanzigjährige Jubiläum des Frankfurter Fürstenkongresses einen Leitartikel,
der ebenfalls in den Ereignissen und tiefen Veränderungen, welche die letzten
fünfundzwanzig Jahre gebracht haben, das sieht, "was wir Zufall oder Schickung
nennen"; für den Schreiber dieses Leitartikels war "das Jahr 1863 das letzte


von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt.

Papstes und der Wiederkehr aller Orden, Beschlüsse, die, wenn sie praktisch
würden, nicht nur den Frieden Deutschlands, sondern zunächst auch Italiens
und weiterhin den Weltfrieden stören würden, ergeht sich dasselbe Blatt, welches
diese Dinge empfiehlt, zu gleicher Zeit in sittlicher Entrüstung darüber, daß der
Oberpräsident einer protestantischen Provinz die Hauptversammlung des Gustav-
Adolphvereins in Halle mit wohlwollenden Worten begrüßt. „Wir verlangen —
heißt es — auf Grund unsers Rechtes und im Namen des Friedens des
deutschen Volkes, daß dem Verleumder, Hetzen und Schimpfen unter Beschlag¬
nahme des deutschen Reiches für den Protestantismus ein Ende gemacht werde,
statt daß, nachdem solche Leistungen wie in Halle vorliegen (Unterstützung be¬
drängter protestantischer Gemeinden) ein Vertreter der Staatsregierung auch noch
zu freundlicher Begrüßung sich erhebt." Wenn der Vertreter der Staats¬
regierung sich in Freiburg erhoben hätte, dann würde die „Germania" freilich
nichts von sittlicher Entrüstung wissen. Anstatt einer Antwort für die „Germania"
wollen wir das deutsche Volk daran erinnern, wie sich jüngst ein päpstliches
Hofblatt über religiöse Toleranz vernehmen ließ: „Wo die katholische Kirche
infolge beklagenswerter (?) Umstände nicht offiziell als die alleinige Staats-
religion anerkannt ist, beansprucht und fordert sie sür sich die Freiheit, deren
alle Bekenntnisse genießen, indem sie darauf rechnet, daß die Reinheit ihrer
Dogmen mit der Zeit alle Irrtümer und Lasten überwindet, und bestimmt den
Tag erwartet, wo es sich erfüllt, daß nur eine Herde unter einem Hirten
sein werde. In den Ländern jedoch, wo ihr Vorrang festgestellt ist, wo das
Blut ihrer Märtyrer und die Lehrkämpfe ihr eine volle und gesetzliche Existenz
gesichert haben, verwirft sie in der Weise eines friedlichen (?) Besitzers jede
Kultusfreiheit nicht nur als reinen Widerspruch mit der objektiven Wahrheit
der Dinge, sondern auch als einen Angriff auf ihre Rechte, auf ihre unbestreit¬
bare Oberherrschaft." Gott wolle uns vor dieser „unbestreitbaren Oberherr¬
schaft" der streitbaren Kirche behüten! Wenn Leo XIII. dem Kaiser Friedrich
durch seinen Gesandten Galimberti ganz unnützer Weise darüber seine Freude
hatte aussprechen lassen, daß der Kaiser Duldung verheißen hatte, so wissen
wir aus der Geschichte aller Länder, wie es dagegen mit der Duldung da steht,
wo die unbestreitbare Oberherrschaft der heiligen Mutterkirche und des heiligen
Vaters besteht. Um darin etwas Begehrenswertes zu finden, dazu gehört eben
die dem Ultramontanismus eigne Geschichtsanschauung, die die letzten fünfund¬
zwanzig Jahre z. B. als eine Verirrung der europäischen Geschichte ansieht.
Übrigens begegnet sich hier die Anschauung des Fortschrittes mit der der jesui¬
tischen Brüder. So hatte die „Volkszeitung" zur Erinnerung an das fünfund¬
zwanzigjährige Jubiläum des Frankfurter Fürstenkongresses einen Leitartikel,
der ebenfalls in den Ereignissen und tiefen Veränderungen, welche die letzten
fünfundzwanzig Jahre gebracht haben, das sieht, „was wir Zufall oder Schickung
nennen"; für den Schreiber dieses Leitartikels war „das Jahr 1863 das letzte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/212>, abgerufen am 24.08.2024.