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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Lin Denkmal !^er Leipziger Völkerschlacht,

der Seiten aus zwei sich kreuzende Straßen, deren Eingänge als Triumph¬
bogen behandelt sind, umgeben von Siegesgöttinnen, während auf dem Kreu-
zungspunkte die Bildsäule der Germania steht. "Angestrahlt von dem uner¬
warteten Lichte, das durch die vier Öffnungen eindringt, ist sie im Begriff auf¬
zustehen. Mit der Linken hebt sie schüchtern den Trauerschleier, der über ihrem
Antlitz hing*), und läßt mit der Rechten den unter dem Schleier verborgen ge¬
haltenen Reichsapfel halb erschrocken wieder als selbständiges Wesen hervor¬
blicken." Außer zieht sich um den ganzen Unterbau herum ein riesiges Relief der
Leipziger Schlacht. Acht "labyriuthartige" Gänge, durch die vier Öffnungen nur
sparsam beleuchtet, führen nach oben auf die Plattform des Unterbaues, die
von einer Brustwehr mit Schießscharten eingefaßt ist. Das Innere des Tem¬
pels hat im Grundriß die Gestalt eines Vierpasses. In der Mitte steht ein
Altar, darauf ein Christus am Kreuze, "dem Sinnbild des Heiligen, dem die
religiösen Gefühle aller teutschen Konfessionen huldigen," an den vier Ecken
steigen vier Palmbäume empor und breiten ihre Äste über dem Altare aus.
An den halbkreisförmigen Seiten öffnen sich je fünf Nischen, im Ganzen
neunzehn (durch die zwanzigste geht der Haupteingang), in denen die Bild¬
säuleu der drei siegreichen Herrscher, umgeben von ihren ersten Generalen und
Staatsmännern stehen. Die Wände sind mit Waffen und Fahnen geschmückt.
Außen legen sich vor den Tempel an den Seiten vier dorische Säulenhallen, in
denen Ehrentafeln befestigt sind, an den Ecken vier mit Kriegstrophäcn bekrönte
Treppenhäuser, durch die man auf das Dach des Tempels gelangt. Auf diesem
erhebt sich aus einer Anzahl von Stufen ein Viergespann mit einem Triumph¬
wagen, in dem drei weibliche Gestalten sitzen: die Liebe, die Weisheit und die
Stärke, "als die hervorstechenden Charakterzüge der drei hohen Verbündeten
Monarchen"; eine hinter ihnen stehende Viktoria hält einen Lorbeerkranz über
ihren Häuptern.

Weinbrenner dachte sich das Denkmal als Stätte einer alljährlich zu
wiederholenden Festfeier. Das Bauwerk sollte ans Granit, die Skulpturen aus
Marmor ausgeführt werden, in den Statuen und Reliefs durchweg die größte
geschichtliche Treue angestrebt werden. Die Kosten des Ganzen schlug er
auf vier bis sechs Millionen Thaler, die Ausführungszeit auf zehn Jahre an.

Einen ganz eigentümlichen Vorschlag machte Kotzebue im "Hamburger
Correspondenten" (Ur. 55). Er lenkte die Aufmerksamkeit auf die seit den Römer-
zeiten im Odenwalde unweit Reichenbach liegende "Riescnsciule," eine Granit¬
säule von mehr als 31 Fuß Länge und über 4 Fuß Durchmesser. "Eine höhere
Granitsäule -- schreibt er -- möchte wohl in Deutschland nicht gefunden werden.
Warum ist dies Römerwerk, welches die staunende Nachwelt Riesen zuschreibt,
dort ungenützt liegen geblieben? Ohne Zweifel weil es an Kenntnis oder Mitteln



*) Die Anordnung ist sichtlich durch die antike Statue der Niobe beeinflußt.
Lin Denkmal !^er Leipziger Völkerschlacht,

der Seiten aus zwei sich kreuzende Straßen, deren Eingänge als Triumph¬
bogen behandelt sind, umgeben von Siegesgöttinnen, während auf dem Kreu-
zungspunkte die Bildsäule der Germania steht. „Angestrahlt von dem uner¬
warteten Lichte, das durch die vier Öffnungen eindringt, ist sie im Begriff auf¬
zustehen. Mit der Linken hebt sie schüchtern den Trauerschleier, der über ihrem
Antlitz hing*), und läßt mit der Rechten den unter dem Schleier verborgen ge¬
haltenen Reichsapfel halb erschrocken wieder als selbständiges Wesen hervor¬
blicken." Außer zieht sich um den ganzen Unterbau herum ein riesiges Relief der
Leipziger Schlacht. Acht „labyriuthartige" Gänge, durch die vier Öffnungen nur
sparsam beleuchtet, führen nach oben auf die Plattform des Unterbaues, die
von einer Brustwehr mit Schießscharten eingefaßt ist. Das Innere des Tem¬
pels hat im Grundriß die Gestalt eines Vierpasses. In der Mitte steht ein
Altar, darauf ein Christus am Kreuze, „dem Sinnbild des Heiligen, dem die
religiösen Gefühle aller teutschen Konfessionen huldigen," an den vier Ecken
steigen vier Palmbäume empor und breiten ihre Äste über dem Altare aus.
An den halbkreisförmigen Seiten öffnen sich je fünf Nischen, im Ganzen
neunzehn (durch die zwanzigste geht der Haupteingang), in denen die Bild¬
säuleu der drei siegreichen Herrscher, umgeben von ihren ersten Generalen und
Staatsmännern stehen. Die Wände sind mit Waffen und Fahnen geschmückt.
Außen legen sich vor den Tempel an den Seiten vier dorische Säulenhallen, in
denen Ehrentafeln befestigt sind, an den Ecken vier mit Kriegstrophäcn bekrönte
Treppenhäuser, durch die man auf das Dach des Tempels gelangt. Auf diesem
erhebt sich aus einer Anzahl von Stufen ein Viergespann mit einem Triumph¬
wagen, in dem drei weibliche Gestalten sitzen: die Liebe, die Weisheit und die
Stärke, „als die hervorstechenden Charakterzüge der drei hohen Verbündeten
Monarchen"; eine hinter ihnen stehende Viktoria hält einen Lorbeerkranz über
ihren Häuptern.

Weinbrenner dachte sich das Denkmal als Stätte einer alljährlich zu
wiederholenden Festfeier. Das Bauwerk sollte ans Granit, die Skulpturen aus
Marmor ausgeführt werden, in den Statuen und Reliefs durchweg die größte
geschichtliche Treue angestrebt werden. Die Kosten des Ganzen schlug er
auf vier bis sechs Millionen Thaler, die Ausführungszeit auf zehn Jahre an.

Einen ganz eigentümlichen Vorschlag machte Kotzebue im „Hamburger
Correspondenten" (Ur. 55). Er lenkte die Aufmerksamkeit auf die seit den Römer-
zeiten im Odenwalde unweit Reichenbach liegende „Riescnsciule," eine Granit¬
säule von mehr als 31 Fuß Länge und über 4 Fuß Durchmesser. „Eine höhere
Granitsäule — schreibt er — möchte wohl in Deutschland nicht gefunden werden.
Warum ist dies Römerwerk, welches die staunende Nachwelt Riesen zuschreibt,
dort ungenützt liegen geblieben? Ohne Zweifel weil es an Kenntnis oder Mitteln



*) Die Anordnung ist sichtlich durch die antike Statue der Niobe beeinflußt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/196>, abgerufen am 04.07.2024.