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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Gin Denkmal der Leipziger Völkerschlacht.

"Absoluten" zu langweilen anfing, verzog sich der Nebel, der Schopenhauers Lehre
bisher verhüllt hatte, und wie ein prächtiges Abendrot verschönte ein später Ruhm
das letzte Jahrzehnt des einsamen Denkers. Im April des Jahres 1860, ein halbes
Jahr vor seinem Tode, erhielt er einen Brief von Ottilie von Goethe, worin sie
ihn beglückwünschte, daß er das geworden sei, was er vor fünfzig Jahren habe
werde wollen, "der Philosoph des neunzehnten Jahrhunderts." Dem alten Ein¬
siedler in Frankfurt mochte diese Huldigung wie ein Gruß seines großen Freundes
aus dem Jenseits erscheinen, und gewiß, Goethe hätte ihm seinen Glückwunsch
auch nicht versagt, so weit auch immer in manchen Hauptpunkten seine Wege
von denen des Philosophen abwichen.




Gin Denkmal der Leipziger Völkerschlacht.

urch die Zeitungen ist in den letzten Monaten die überraschende
Kunde gegangen, daß die Stadt Leipzig sich entschlossen hat, in
diesem Jahre, wo seit den Tagen der Völkerschlacht drei Viertel¬
jahrhunderte verflossen sind, einen Plan wieder aufzunehmen und
durchzuführen, der 1863 bei der funfzigjährigen Jubelfeier der
Schlacht gefaßt wurde, zu dessen Ausführung sich damals 23 deutsche Städte
verbanden, der aber dann durch die politischen Ereignisse in den Hintergrund
gedrängt wurde und wohl allgemein sür aufgegeben galt: den Plan, ein Denk¬
mal der Völkerschlacht zu errichten. Wie die Zeitungen mitgeteilt haben, hat
wenigstens ein Teil der Städte, die sich 1863 vereinigt hatten, allen voran
Berlin und Wien, auf eine von Leipzig aus an sie ergangene Anfrage erklärt,
daß sie sich an die vor 25 Jahren übernommene Verpflichtung für gebunden
erachten und bereit sind, auch jetzt noch zur Ausführung des Planes ihre Hand
zu biete".

Die Kunde mußte überraschen in einer Zeit, wo einerseits eine gewisse
Denkmalsmüdigkeit eingetreten ist, wo der Gedanke, für ein großes Denkmal
einen allgemeinen Wettbewerb auszuschreiben, Wohl überall als Anachronis¬
mus empfunden werden würde, da wenigstens ein hervorragender Künstler sich
auf einen solchen Wettbewerb schwerlich noch einlassen würde, und wo ander¬
seits die künstlerischen Kräfte wie die Opferwilligkeit des deutschen Volkes aller
Orten durch Denkmäler für Kaiser Wilhelm und Kaiser Friedrich in Anspruch
genommen sind.

Und doch handelt es sich hier um Abtragung einer alten Ehrenschuld,
nicht bloß im Hinblick auf die großen, herrlichen, vor aller Vergessenheit ge-


Gin Denkmal der Leipziger Völkerschlacht.

„Absoluten" zu langweilen anfing, verzog sich der Nebel, der Schopenhauers Lehre
bisher verhüllt hatte, und wie ein prächtiges Abendrot verschönte ein später Ruhm
das letzte Jahrzehnt des einsamen Denkers. Im April des Jahres 1860, ein halbes
Jahr vor seinem Tode, erhielt er einen Brief von Ottilie von Goethe, worin sie
ihn beglückwünschte, daß er das geworden sei, was er vor fünfzig Jahren habe
werde wollen, „der Philosoph des neunzehnten Jahrhunderts." Dem alten Ein¬
siedler in Frankfurt mochte diese Huldigung wie ein Gruß seines großen Freundes
aus dem Jenseits erscheinen, und gewiß, Goethe hätte ihm seinen Glückwunsch
auch nicht versagt, so weit auch immer in manchen Hauptpunkten seine Wege
von denen des Philosophen abwichen.




Gin Denkmal der Leipziger Völkerschlacht.

urch die Zeitungen ist in den letzten Monaten die überraschende
Kunde gegangen, daß die Stadt Leipzig sich entschlossen hat, in
diesem Jahre, wo seit den Tagen der Völkerschlacht drei Viertel¬
jahrhunderte verflossen sind, einen Plan wieder aufzunehmen und
durchzuführen, der 1863 bei der funfzigjährigen Jubelfeier der
Schlacht gefaßt wurde, zu dessen Ausführung sich damals 23 deutsche Städte
verbanden, der aber dann durch die politischen Ereignisse in den Hintergrund
gedrängt wurde und wohl allgemein sür aufgegeben galt: den Plan, ein Denk¬
mal der Völkerschlacht zu errichten. Wie die Zeitungen mitgeteilt haben, hat
wenigstens ein Teil der Städte, die sich 1863 vereinigt hatten, allen voran
Berlin und Wien, auf eine von Leipzig aus an sie ergangene Anfrage erklärt,
daß sie sich an die vor 25 Jahren übernommene Verpflichtung für gebunden
erachten und bereit sind, auch jetzt noch zur Ausführung des Planes ihre Hand
zu biete».

Die Kunde mußte überraschen in einer Zeit, wo einerseits eine gewisse
Denkmalsmüdigkeit eingetreten ist, wo der Gedanke, für ein großes Denkmal
einen allgemeinen Wettbewerb auszuschreiben, Wohl überall als Anachronis¬
mus empfunden werden würde, da wenigstens ein hervorragender Künstler sich
auf einen solchen Wettbewerb schwerlich noch einlassen würde, und wo ander¬
seits die künstlerischen Kräfte wie die Opferwilligkeit des deutschen Volkes aller
Orten durch Denkmäler für Kaiser Wilhelm und Kaiser Friedrich in Anspruch
genommen sind.

Und doch handelt es sich hier um Abtragung einer alten Ehrenschuld,
nicht bloß im Hinblick auf die großen, herrlichen, vor aller Vergessenheit ge-


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[0189] Gin Denkmal der Leipziger Völkerschlacht. „Absoluten" zu langweilen anfing, verzog sich der Nebel, der Schopenhauers Lehre bisher verhüllt hatte, und wie ein prächtiges Abendrot verschönte ein später Ruhm das letzte Jahrzehnt des einsamen Denkers. Im April des Jahres 1860, ein halbes Jahr vor seinem Tode, erhielt er einen Brief von Ottilie von Goethe, worin sie ihn beglückwünschte, daß er das geworden sei, was er vor fünfzig Jahren habe werde wollen, „der Philosoph des neunzehnten Jahrhunderts." Dem alten Ein¬ siedler in Frankfurt mochte diese Huldigung wie ein Gruß seines großen Freundes aus dem Jenseits erscheinen, und gewiß, Goethe hätte ihm seinen Glückwunsch auch nicht versagt, so weit auch immer in manchen Hauptpunkten seine Wege von denen des Philosophen abwichen. Gin Denkmal der Leipziger Völkerschlacht. urch die Zeitungen ist in den letzten Monaten die überraschende Kunde gegangen, daß die Stadt Leipzig sich entschlossen hat, in diesem Jahre, wo seit den Tagen der Völkerschlacht drei Viertel¬ jahrhunderte verflossen sind, einen Plan wieder aufzunehmen und durchzuführen, der 1863 bei der funfzigjährigen Jubelfeier der Schlacht gefaßt wurde, zu dessen Ausführung sich damals 23 deutsche Städte verbanden, der aber dann durch die politischen Ereignisse in den Hintergrund gedrängt wurde und wohl allgemein sür aufgegeben galt: den Plan, ein Denk¬ mal der Völkerschlacht zu errichten. Wie die Zeitungen mitgeteilt haben, hat wenigstens ein Teil der Städte, die sich 1863 vereinigt hatten, allen voran Berlin und Wien, auf eine von Leipzig aus an sie ergangene Anfrage erklärt, daß sie sich an die vor 25 Jahren übernommene Verpflichtung für gebunden erachten und bereit sind, auch jetzt noch zur Ausführung des Planes ihre Hand zu biete». Die Kunde mußte überraschen in einer Zeit, wo einerseits eine gewisse Denkmalsmüdigkeit eingetreten ist, wo der Gedanke, für ein großes Denkmal einen allgemeinen Wettbewerb auszuschreiben, Wohl überall als Anachronis¬ mus empfunden werden würde, da wenigstens ein hervorragender Künstler sich auf einen solchen Wettbewerb schwerlich noch einlassen würde, und wo ander¬ seits die künstlerischen Kräfte wie die Opferwilligkeit des deutschen Volkes aller Orten durch Denkmäler für Kaiser Wilhelm und Kaiser Friedrich in Anspruch genommen sind. Und doch handelt es sich hier um Abtragung einer alten Ehrenschuld, nicht bloß im Hinblick auf die großen, herrlichen, vor aller Vergessenheit ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/189>, abgerufen am 22.07.2024.