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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Grenzen des naturwissenschaftlichen Grkennens.

bewußtseins; das Ich weiß nichts von seinem Anfange und Ende; es weiß nur
sich selbst im Unterschiede von dem, was nicht es selbst ist. Also ein Wissen
ist das Bewußtsein der Unsterblichkeit nicht, sondern ein Innewerden und Haben.
Die Unsterblichkeit verwirklicht sich erst mit der Freiheit im Menschen, der sie
an sich nur potentiell hat. Man kann anch sagen: sie ist der Zweck der
Freiheit, ihre Vollendung; sobald der Mensch seine Freiheit gebraucht, d. h. gut
handelt, so hat er als den Genuß der Freiheit auch die Beseligung, die gar nichts
andres ist, als der Besitz der Unsterblichkeit schon hier auf Erden. Joh. Huber
sagt einmal in seiner schönen Schrift von der "Idee der Unsterblichkeit": "Da
in der Welt der Sichtbarkeit den Menschen nichts zu der kühnen Hoffnung
seiner Unsterblichkeit aufzufordern und darin zu bestärken scheint, im Gegenteile
alle seine Erfahrungen aus ihr vielmehr gegen eine solche zeugen, so muß es
schon als ein Problem bezeichnet werden, wie er sich überhaupt dazu erheben
konnte." Aber nicht die Unsterblichkeit ist das Problem, sondern die Freiheit;
wer das eine löst, der löst das andre mit. Auch erhebt sich in der That nie¬
mand zur Hoffnung seiner Unsterblichkeit, der von dem Vermögen der Freiheit
keine Erfahrung in seinem Leben gemacht hat. Ein Mensch, der nie Gebrauch
gemacht Hütte von seiner Freiheit, nie eine Entscheidung des Willens zum Guten
in seinem Leben erfahren, der würde in der That auch bei der höchsten geistigen
Begabung mit seinem Leben fertig sein, wie das Tier mit seinem Leben fertig
ist, ein Fertigsein, das allerdings freudlos ist. Denn so ist es, daß der Mensch,
nicht einmal sich selbst zu lieben, ja auch nur zu achten vermag, es sei denn,
daß er sich als ein Ewiges erfasse. Dieses Erfassen aber, ich betone es noch
einmal, ist eine That und ein Haben, kein Wissen. Damit ist ausgesagt, daß
alle Beweise für die Unsterblichkeit, die dem Wissen entstammen, höchstens Hilfs-
beweise sind. So z. B. der vielen sehr zusagende Beweis, wenn darauf hingewiesen
wird, daß der Begriff des Unendlichen nicht zu denken sei als aus der Natur
entnommen; denn das Unendliche sei nicht in der Natur verwirklicht, es erzeuge
sich nur im Denken des Menschen; darum aber decke sich auch die körperliche
Welt nicht mit der unbegrenzten Bewegung des Gedankens. Das und ähn¬
liches kann man sagen; es ist logisch und richtig gesagt; aber es ist nur immer
ein Hilfsbeweis; er wird den nicht überzeugen, der nie eine Erfahrung von
dem Vermögen der Selbstbestimmung und der Selbstentscheidung gemacht und
sich mit Freiheit über die blinde Welt der Notwendigkeit erhoben hat.

Ob es solche Menschen giebt, die von hoher Begabung doch sich nie als
geistige Existenzen erfassen, ist nicht zu entscheiden; denn das Menschenwesen
ist so wunderbar gestaltet, daß es, wie ein mittelalterlicher Philosoph sagte,
keine Fenster hat, durch die man sehen kann, wie es innerlich aussieht. Aber
daß das Organ der Freiheit bei vielen Hochgebildeten doch selber sehr mangel¬
haft ausgebildet ist, geht daraus hervor, daß viele die Unsterblichkeit leugnen,
die nun eben ohne das Innewerden von jenem nicht zu finden ist. Wer mit


Die Grenzen des naturwissenschaftlichen Grkennens.

bewußtseins; das Ich weiß nichts von seinem Anfange und Ende; es weiß nur
sich selbst im Unterschiede von dem, was nicht es selbst ist. Also ein Wissen
ist das Bewußtsein der Unsterblichkeit nicht, sondern ein Innewerden und Haben.
Die Unsterblichkeit verwirklicht sich erst mit der Freiheit im Menschen, der sie
an sich nur potentiell hat. Man kann anch sagen: sie ist der Zweck der
Freiheit, ihre Vollendung; sobald der Mensch seine Freiheit gebraucht, d. h. gut
handelt, so hat er als den Genuß der Freiheit auch die Beseligung, die gar nichts
andres ist, als der Besitz der Unsterblichkeit schon hier auf Erden. Joh. Huber
sagt einmal in seiner schönen Schrift von der „Idee der Unsterblichkeit": „Da
in der Welt der Sichtbarkeit den Menschen nichts zu der kühnen Hoffnung
seiner Unsterblichkeit aufzufordern und darin zu bestärken scheint, im Gegenteile
alle seine Erfahrungen aus ihr vielmehr gegen eine solche zeugen, so muß es
schon als ein Problem bezeichnet werden, wie er sich überhaupt dazu erheben
konnte." Aber nicht die Unsterblichkeit ist das Problem, sondern die Freiheit;
wer das eine löst, der löst das andre mit. Auch erhebt sich in der That nie¬
mand zur Hoffnung seiner Unsterblichkeit, der von dem Vermögen der Freiheit
keine Erfahrung in seinem Leben gemacht hat. Ein Mensch, der nie Gebrauch
gemacht Hütte von seiner Freiheit, nie eine Entscheidung des Willens zum Guten
in seinem Leben erfahren, der würde in der That auch bei der höchsten geistigen
Begabung mit seinem Leben fertig sein, wie das Tier mit seinem Leben fertig
ist, ein Fertigsein, das allerdings freudlos ist. Denn so ist es, daß der Mensch,
nicht einmal sich selbst zu lieben, ja auch nur zu achten vermag, es sei denn,
daß er sich als ein Ewiges erfasse. Dieses Erfassen aber, ich betone es noch
einmal, ist eine That und ein Haben, kein Wissen. Damit ist ausgesagt, daß
alle Beweise für die Unsterblichkeit, die dem Wissen entstammen, höchstens Hilfs-
beweise sind. So z. B. der vielen sehr zusagende Beweis, wenn darauf hingewiesen
wird, daß der Begriff des Unendlichen nicht zu denken sei als aus der Natur
entnommen; denn das Unendliche sei nicht in der Natur verwirklicht, es erzeuge
sich nur im Denken des Menschen; darum aber decke sich auch die körperliche
Welt nicht mit der unbegrenzten Bewegung des Gedankens. Das und ähn¬
liches kann man sagen; es ist logisch und richtig gesagt; aber es ist nur immer
ein Hilfsbeweis; er wird den nicht überzeugen, der nie eine Erfahrung von
dem Vermögen der Selbstbestimmung und der Selbstentscheidung gemacht und
sich mit Freiheit über die blinde Welt der Notwendigkeit erhoben hat.

Ob es solche Menschen giebt, die von hoher Begabung doch sich nie als
geistige Existenzen erfassen, ist nicht zu entscheiden; denn das Menschenwesen
ist so wunderbar gestaltet, daß es, wie ein mittelalterlicher Philosoph sagte,
keine Fenster hat, durch die man sehen kann, wie es innerlich aussieht. Aber
daß das Organ der Freiheit bei vielen Hochgebildeten doch selber sehr mangel¬
haft ausgebildet ist, geht daraus hervor, daß viele die Unsterblichkeit leugnen,
die nun eben ohne das Innewerden von jenem nicht zu finden ist. Wer mit


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[0170] Die Grenzen des naturwissenschaftlichen Grkennens. bewußtseins; das Ich weiß nichts von seinem Anfange und Ende; es weiß nur sich selbst im Unterschiede von dem, was nicht es selbst ist. Also ein Wissen ist das Bewußtsein der Unsterblichkeit nicht, sondern ein Innewerden und Haben. Die Unsterblichkeit verwirklicht sich erst mit der Freiheit im Menschen, der sie an sich nur potentiell hat. Man kann anch sagen: sie ist der Zweck der Freiheit, ihre Vollendung; sobald der Mensch seine Freiheit gebraucht, d. h. gut handelt, so hat er als den Genuß der Freiheit auch die Beseligung, die gar nichts andres ist, als der Besitz der Unsterblichkeit schon hier auf Erden. Joh. Huber sagt einmal in seiner schönen Schrift von der „Idee der Unsterblichkeit": „Da in der Welt der Sichtbarkeit den Menschen nichts zu der kühnen Hoffnung seiner Unsterblichkeit aufzufordern und darin zu bestärken scheint, im Gegenteile alle seine Erfahrungen aus ihr vielmehr gegen eine solche zeugen, so muß es schon als ein Problem bezeichnet werden, wie er sich überhaupt dazu erheben konnte." Aber nicht die Unsterblichkeit ist das Problem, sondern die Freiheit; wer das eine löst, der löst das andre mit. Auch erhebt sich in der That nie¬ mand zur Hoffnung seiner Unsterblichkeit, der von dem Vermögen der Freiheit keine Erfahrung in seinem Leben gemacht hat. Ein Mensch, der nie Gebrauch gemacht Hütte von seiner Freiheit, nie eine Entscheidung des Willens zum Guten in seinem Leben erfahren, der würde in der That auch bei der höchsten geistigen Begabung mit seinem Leben fertig sein, wie das Tier mit seinem Leben fertig ist, ein Fertigsein, das allerdings freudlos ist. Denn so ist es, daß der Mensch, nicht einmal sich selbst zu lieben, ja auch nur zu achten vermag, es sei denn, daß er sich als ein Ewiges erfasse. Dieses Erfassen aber, ich betone es noch einmal, ist eine That und ein Haben, kein Wissen. Damit ist ausgesagt, daß alle Beweise für die Unsterblichkeit, die dem Wissen entstammen, höchstens Hilfs- beweise sind. So z. B. der vielen sehr zusagende Beweis, wenn darauf hingewiesen wird, daß der Begriff des Unendlichen nicht zu denken sei als aus der Natur entnommen; denn das Unendliche sei nicht in der Natur verwirklicht, es erzeuge sich nur im Denken des Menschen; darum aber decke sich auch die körperliche Welt nicht mit der unbegrenzten Bewegung des Gedankens. Das und ähn¬ liches kann man sagen; es ist logisch und richtig gesagt; aber es ist nur immer ein Hilfsbeweis; er wird den nicht überzeugen, der nie eine Erfahrung von dem Vermögen der Selbstbestimmung und der Selbstentscheidung gemacht und sich mit Freiheit über die blinde Welt der Notwendigkeit erhoben hat. Ob es solche Menschen giebt, die von hoher Begabung doch sich nie als geistige Existenzen erfassen, ist nicht zu entscheiden; denn das Menschenwesen ist so wunderbar gestaltet, daß es, wie ein mittelalterlicher Philosoph sagte, keine Fenster hat, durch die man sehen kann, wie es innerlich aussieht. Aber daß das Organ der Freiheit bei vielen Hochgebildeten doch selber sehr mangel¬ haft ausgebildet ist, geht daraus hervor, daß viele die Unsterblichkeit leugnen, die nun eben ohne das Innewerden von jenem nicht zu finden ist. Wer mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/170>, abgerufen am 22.07.2024.