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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Schopenhauer.

lung "Über das Sehen und die Farben" niederlegte. Goethe hatte ihn zu
überzeugen gesucht, daß die Lehre Newtons, der weiße Lichtstrahl sei aus sieben
farbigen zusammengesetzt, die sich durch das Prisma auseinanderlegen und an
ihrer verschiedenen Brechung als besondre Strahlen erkennen ließen, einen
groben Irrtum enthalte. Eine wahrhaft unbefangene Forschung gelange viel¬
mehr zu dem Ergebnis, daß die physischen Farben einfach durch die Mischung
von hell und dunkel zu erklären seien, daß der weiße Sonnenstrahl eine
bestimmte Farbe annehme, wenn er durch ein trübes Mittel in ein klares oder
durch ein klares in ein trübes übergehe. So sei z. B. das Blau des Himmels
ein UrPhänomen, weil es zeige, wie der finstere Hintergrund und die erleuchtete
Atmosphäre zusammenwirkten, um eine reine Farbe hervorzubringen. Schopen¬
hauer ging auf diese Neukonstruirung der Farbenlehre bereitwillig ein, allein
er glaubte nicht daran, daß sich darauf ein haltbares System gründen lasse,
sondern fühlte sich durch alle die Goethischen Beobachtungen nur aufgefordert,
zu einer neuen Hypothese fortzuschreiten. Für ihn als echten Idealisten konnte
es nur eine physiologische oder psychologische Lösung des Problems geben,
und so fand er denn, daß das Sehen außer uns befindlicher Gegenstände sich
hauptsächlich durch die Thätigkeit des Verstandes vollziehe, ferner daß die
Farben im Auge durch eine qualitativ und quantitativ verschiedene Reizbarkeit
der Netzhaut entstehen; er stellte sogar eine in Zahlen ausgedrückte Skala auf,
welche zur Erklärung der einzelnen Farben dienen sollte. Newtons sieben¬
teiliges Farbenspektrum verwarf er, gab aber zu, daß aus der vollkommenen
Deckung zweier komplementären Farben, z. B. des Blauen und Gelben, Weiß
hervorgehe. Im Herbst 1816 war die Arbeit vollendet, und Schopenhauer
schickte das Manuskript an Goethe, der es auf einer Rheinreise, in Wiesbaden,
erhielt. Es läßt sich denken, daß Goethe nicht sonderlich davon erbaut war.
Die Verlegung des gegenständlichen Sehens in die Verstandesthätigkeit, sowie
die ausschließlich physiologische Erklärung der Farben ließen ihn kalt, die
nachträgliche Annäherung an Newton verletzte ihn, doch ermutigte er in höf¬
lichen, ja herzlichen Worten den jungen Freund zu fortgesetztem Studium der
Farbenlehre. Seine große Empfindlichkeit gegen jeden Widerspruch hat er in
zwei Epigrammen zum Ausdruck gebracht, die wahrscheinlich auf Schopenhauer
Bezug haben:


Truge gern noch länger des Lehrers Bürden,
Wenn Schüler nur nicht gleich Lehrer würden.

und:


Dein Gutgcdachtes in fremden Adern
Wird sogleich mit dir selber hadern.

Anfangs versuchte er brieflich den jungen Freund zu bekehren; als ihm dies
nicht sogleich gelang, schrieb er ihm, er sehe nur allzudeutlich, "wie die Menschen
zwar über die Gegenstände und ihre Erscheinung vollkommen einig sein können,
daß sie aber über Ansicht, Ableitung, Erklärung niemals überein kommen


Goethe und Schopenhauer.

lung „Über das Sehen und die Farben" niederlegte. Goethe hatte ihn zu
überzeugen gesucht, daß die Lehre Newtons, der weiße Lichtstrahl sei aus sieben
farbigen zusammengesetzt, die sich durch das Prisma auseinanderlegen und an
ihrer verschiedenen Brechung als besondre Strahlen erkennen ließen, einen
groben Irrtum enthalte. Eine wahrhaft unbefangene Forschung gelange viel¬
mehr zu dem Ergebnis, daß die physischen Farben einfach durch die Mischung
von hell und dunkel zu erklären seien, daß der weiße Sonnenstrahl eine
bestimmte Farbe annehme, wenn er durch ein trübes Mittel in ein klares oder
durch ein klares in ein trübes übergehe. So sei z. B. das Blau des Himmels
ein UrPhänomen, weil es zeige, wie der finstere Hintergrund und die erleuchtete
Atmosphäre zusammenwirkten, um eine reine Farbe hervorzubringen. Schopen¬
hauer ging auf diese Neukonstruirung der Farbenlehre bereitwillig ein, allein
er glaubte nicht daran, daß sich darauf ein haltbares System gründen lasse,
sondern fühlte sich durch alle die Goethischen Beobachtungen nur aufgefordert,
zu einer neuen Hypothese fortzuschreiten. Für ihn als echten Idealisten konnte
es nur eine physiologische oder psychologische Lösung des Problems geben,
und so fand er denn, daß das Sehen außer uns befindlicher Gegenstände sich
hauptsächlich durch die Thätigkeit des Verstandes vollziehe, ferner daß die
Farben im Auge durch eine qualitativ und quantitativ verschiedene Reizbarkeit
der Netzhaut entstehen; er stellte sogar eine in Zahlen ausgedrückte Skala auf,
welche zur Erklärung der einzelnen Farben dienen sollte. Newtons sieben¬
teiliges Farbenspektrum verwarf er, gab aber zu, daß aus der vollkommenen
Deckung zweier komplementären Farben, z. B. des Blauen und Gelben, Weiß
hervorgehe. Im Herbst 1816 war die Arbeit vollendet, und Schopenhauer
schickte das Manuskript an Goethe, der es auf einer Rheinreise, in Wiesbaden,
erhielt. Es läßt sich denken, daß Goethe nicht sonderlich davon erbaut war.
Die Verlegung des gegenständlichen Sehens in die Verstandesthätigkeit, sowie
die ausschließlich physiologische Erklärung der Farben ließen ihn kalt, die
nachträgliche Annäherung an Newton verletzte ihn, doch ermutigte er in höf¬
lichen, ja herzlichen Worten den jungen Freund zu fortgesetztem Studium der
Farbenlehre. Seine große Empfindlichkeit gegen jeden Widerspruch hat er in
zwei Epigrammen zum Ausdruck gebracht, die wahrscheinlich auf Schopenhauer
Bezug haben:


Truge gern noch länger des Lehrers Bürden,
Wenn Schüler nur nicht gleich Lehrer würden.

und:


Dein Gutgcdachtes in fremden Adern
Wird sogleich mit dir selber hadern.

Anfangs versuchte er brieflich den jungen Freund zu bekehren; als ihm dies
nicht sogleich gelang, schrieb er ihm, er sehe nur allzudeutlich, „wie die Menschen
zwar über die Gegenstände und ihre Erscheinung vollkommen einig sein können,
daß sie aber über Ansicht, Ableitung, Erklärung niemals überein kommen


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[0126] Goethe und Schopenhauer. lung „Über das Sehen und die Farben" niederlegte. Goethe hatte ihn zu überzeugen gesucht, daß die Lehre Newtons, der weiße Lichtstrahl sei aus sieben farbigen zusammengesetzt, die sich durch das Prisma auseinanderlegen und an ihrer verschiedenen Brechung als besondre Strahlen erkennen ließen, einen groben Irrtum enthalte. Eine wahrhaft unbefangene Forschung gelange viel¬ mehr zu dem Ergebnis, daß die physischen Farben einfach durch die Mischung von hell und dunkel zu erklären seien, daß der weiße Sonnenstrahl eine bestimmte Farbe annehme, wenn er durch ein trübes Mittel in ein klares oder durch ein klares in ein trübes übergehe. So sei z. B. das Blau des Himmels ein UrPhänomen, weil es zeige, wie der finstere Hintergrund und die erleuchtete Atmosphäre zusammenwirkten, um eine reine Farbe hervorzubringen. Schopen¬ hauer ging auf diese Neukonstruirung der Farbenlehre bereitwillig ein, allein er glaubte nicht daran, daß sich darauf ein haltbares System gründen lasse, sondern fühlte sich durch alle die Goethischen Beobachtungen nur aufgefordert, zu einer neuen Hypothese fortzuschreiten. Für ihn als echten Idealisten konnte es nur eine physiologische oder psychologische Lösung des Problems geben, und so fand er denn, daß das Sehen außer uns befindlicher Gegenstände sich hauptsächlich durch die Thätigkeit des Verstandes vollziehe, ferner daß die Farben im Auge durch eine qualitativ und quantitativ verschiedene Reizbarkeit der Netzhaut entstehen; er stellte sogar eine in Zahlen ausgedrückte Skala auf, welche zur Erklärung der einzelnen Farben dienen sollte. Newtons sieben¬ teiliges Farbenspektrum verwarf er, gab aber zu, daß aus der vollkommenen Deckung zweier komplementären Farben, z. B. des Blauen und Gelben, Weiß hervorgehe. Im Herbst 1816 war die Arbeit vollendet, und Schopenhauer schickte das Manuskript an Goethe, der es auf einer Rheinreise, in Wiesbaden, erhielt. Es läßt sich denken, daß Goethe nicht sonderlich davon erbaut war. Die Verlegung des gegenständlichen Sehens in die Verstandesthätigkeit, sowie die ausschließlich physiologische Erklärung der Farben ließen ihn kalt, die nachträgliche Annäherung an Newton verletzte ihn, doch ermutigte er in höf¬ lichen, ja herzlichen Worten den jungen Freund zu fortgesetztem Studium der Farbenlehre. Seine große Empfindlichkeit gegen jeden Widerspruch hat er in zwei Epigrammen zum Ausdruck gebracht, die wahrscheinlich auf Schopenhauer Bezug haben: Truge gern noch länger des Lehrers Bürden, Wenn Schüler nur nicht gleich Lehrer würden. und: Dein Gutgcdachtes in fremden Adern Wird sogleich mit dir selber hadern. Anfangs versuchte er brieflich den jungen Freund zu bekehren; als ihm dies nicht sogleich gelang, schrieb er ihm, er sehe nur allzudeutlich, „wie die Menschen zwar über die Gegenstände und ihre Erscheinung vollkommen einig sein können, daß sie aber über Ansicht, Ableitung, Erklärung niemals überein kommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/126>, abgerufen am 25.07.2024.