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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklnng der Einzelstaaten Deutschlands,

Von Straßburg, der "wunderschönen Stadt" am Rheine, der Verrat, durch den
dieses Bollwerk des Reiches, das noch Kaiser Karl V. für wichtiger erklärt hatte
als selbst Wien, krönte diese in tiefem Frieden begangenen Räubereien, bei denen,
gleichsam zum Hohne, zu der nackten Gewaltthat noch eine Rechtsform hinzugefügt
wurde. Am 28. September 1681") wurde die alte Reichsstadt gewaltsam Frank¬
reich einverleibt, um erst genau 199 Jahre später, am 28. September 1870,
wieder ihre Thore den deutschen Siegern zu öffnen. Die Besetzung weiterer
deutscher Lande, Luxemburgs, Lothringens, Triers, folgte, und 1684 wurde
zu Regensburg vor Kaiser und Reich mit Frankreich ein Waffenstillstand
auf zwanzig Jahre abgeschlossen, nach welchem alle reunirten Gebiete mit
Einschluß von Straßburg Frankreich verbleiben sollten. Der dritte Raubkrieg,
in welchem die Werkzeuge des französischen Despoten, die Loureis, Mont-
clar, Melac, fast sich selbst an Barbarei übertrafen (Verwüstung der Pfalz), wurde
durch den Frieden zu Ryswik beendet. Ludwig gab die dem Reiche entrissenen
sonstigen Gebiete wieder heraus, behielt aber alle Neunionen im Elsaß und behielt
das geraubte Straßburg. Der Herzog von Lothringen, dessen Land bereits zweimal
in den Händen der Franzosen gewesen war, wurde wieder eingesetzt, und Österreich
erlangte für sich selbständige Vorteile. Im Frieden von Nymwegen, 1678, hatte
Frankreich auf sein Besatzungsrecht in Philippsburg verzichtet und sich dafür Frei¬
burg im Breisgau abtreten lassen. Diese Stadt sowohl wie Breisach wurden
jetzt zurückgegeben und traten von neuem unter die österreichische Herrschaft.
Auch für das Reich war es unstreitig von großem Nutzen, daß der Erbfeind
wenigstens keinen Waffenplatz als Stützpunkt für erneute Räubereien und Gewalt"
thaten auf dem rechten Ufer des Rheins mehr besaß.

Der spanische Erbfolgekrieg brach zwar das drückende Übergewicht Lud¬
wigs XIV., unter dem fast ganz Europa so schwer zu leiden gehabt hatte.
Frankreich war für lange Zeit militärisch und finanziell völlig erschöpft und
entkräftet. Aber der Hauptzweck der riesenhaften Anstrengungen und Kämpfe
war dennoch nicht erreicht. Spanien und seine überseeischen Besitzungen ver¬
blieben dem Hause Bourbon. Trotzdem hatte Österreich einen erheblichen
Länderzuwachs. Die sogenannten spanischen Nebenländer in Europa, mit Aus¬
nahme von Sizilien, fielen ihm zu: Neapel, Mailand und der südliche Teil der
Niederlande, die man bisher als die spanischen bezeichnet hatte, und die fortan
die österreichischen genannt wurden, etwa das heutige Belgien. Das war der
Nest des einst so großen und bedeutenden burgundischen Reichskreises. Von diesem
Neichskreise hatten sich zunächst die sieben durch die Utrechter Union verbundenen
Provinzen abgesondert; sie hatten in den folgenden Kämpfen einen Teil von
Brabant, Limburg, Flandern und von dem Obcrquartier von Geldern und die



*) Die Huldigung, die Ludwig XIV. persönlich entgegennahm, und bei der der Bischof
Egon von Fürstenberg eine so schmachvolle Rolle spielte, erfolgte erst am 24. Oktober des¬
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Die Gebietsentwicklnng der Einzelstaaten Deutschlands,

Von Straßburg, der „wunderschönen Stadt" am Rheine, der Verrat, durch den
dieses Bollwerk des Reiches, das noch Kaiser Karl V. für wichtiger erklärt hatte
als selbst Wien, krönte diese in tiefem Frieden begangenen Räubereien, bei denen,
gleichsam zum Hohne, zu der nackten Gewaltthat noch eine Rechtsform hinzugefügt
wurde. Am 28. September 1681") wurde die alte Reichsstadt gewaltsam Frank¬
reich einverleibt, um erst genau 199 Jahre später, am 28. September 1870,
wieder ihre Thore den deutschen Siegern zu öffnen. Die Besetzung weiterer
deutscher Lande, Luxemburgs, Lothringens, Triers, folgte, und 1684 wurde
zu Regensburg vor Kaiser und Reich mit Frankreich ein Waffenstillstand
auf zwanzig Jahre abgeschlossen, nach welchem alle reunirten Gebiete mit
Einschluß von Straßburg Frankreich verbleiben sollten. Der dritte Raubkrieg,
in welchem die Werkzeuge des französischen Despoten, die Loureis, Mont-
clar, Melac, fast sich selbst an Barbarei übertrafen (Verwüstung der Pfalz), wurde
durch den Frieden zu Ryswik beendet. Ludwig gab die dem Reiche entrissenen
sonstigen Gebiete wieder heraus, behielt aber alle Neunionen im Elsaß und behielt
das geraubte Straßburg. Der Herzog von Lothringen, dessen Land bereits zweimal
in den Händen der Franzosen gewesen war, wurde wieder eingesetzt, und Österreich
erlangte für sich selbständige Vorteile. Im Frieden von Nymwegen, 1678, hatte
Frankreich auf sein Besatzungsrecht in Philippsburg verzichtet und sich dafür Frei¬
burg im Breisgau abtreten lassen. Diese Stadt sowohl wie Breisach wurden
jetzt zurückgegeben und traten von neuem unter die österreichische Herrschaft.
Auch für das Reich war es unstreitig von großem Nutzen, daß der Erbfeind
wenigstens keinen Waffenplatz als Stützpunkt für erneute Räubereien und Gewalt«
thaten auf dem rechten Ufer des Rheins mehr besaß.

Der spanische Erbfolgekrieg brach zwar das drückende Übergewicht Lud¬
wigs XIV., unter dem fast ganz Europa so schwer zu leiden gehabt hatte.
Frankreich war für lange Zeit militärisch und finanziell völlig erschöpft und
entkräftet. Aber der Hauptzweck der riesenhaften Anstrengungen und Kämpfe
war dennoch nicht erreicht. Spanien und seine überseeischen Besitzungen ver¬
blieben dem Hause Bourbon. Trotzdem hatte Österreich einen erheblichen
Länderzuwachs. Die sogenannten spanischen Nebenländer in Europa, mit Aus¬
nahme von Sizilien, fielen ihm zu: Neapel, Mailand und der südliche Teil der
Niederlande, die man bisher als die spanischen bezeichnet hatte, und die fortan
die österreichischen genannt wurden, etwa das heutige Belgien. Das war der
Nest des einst so großen und bedeutenden burgundischen Reichskreises. Von diesem
Neichskreise hatten sich zunächst die sieben durch die Utrechter Union verbundenen
Provinzen abgesondert; sie hatten in den folgenden Kämpfen einen Teil von
Brabant, Limburg, Flandern und von dem Obcrquartier von Geldern und die



*) Die Huldigung, die Ludwig XIV. persönlich entgegennahm, und bei der der Bischof
Egon von Fürstenberg eine so schmachvolle Rolle spielte, erfolgte erst am 24. Oktober des¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/116>, abgerufen am 22.07.2024.