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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Fall Harnack.

nister, der vor der Frage der Berufung in eine theologische Professur steht,
wird sich von sachverständiger Seite Informationen über die kirchliche Quali¬
fikation des Kandidaten verschaffen, wie auch der Decernent im Ministerium für
die theologischen Professuren ein Sachverständiger ist. Gegenwärtig ist das ein
Mann, der Professor der Theologie ist und zugleich die kirchliche Vertrauens¬
stellung des Vorsitzenden des Zentralausschusses für innere Mission bekleidet.
Das ist also die Prinzipienfrage, um die es sich in dem "Falle Harnack" han¬
delt, ob durch das Vorgehen des Ministers die durch die Idee der Sache ge¬
forderte kirchliche Rücksicht, die freilich weder mit der Idee des Staates, noch
mit der der Wissenschaft streitet, sondern mit beiden eins ist, verletzt oder ge¬
wahrt worden ist.

Aus einem Teile der obigen Prämissen ziehen nun die Gegner der Beru¬
fung Harnacks den Schluß, daß das Votum der "Kirche" wenigstens soweit
unbedingt entscheiden müsse, daß wider dasselbe kein theologischer Lehrer ange¬
stellt werden dürfe. Die Kirche sei aber in ihrer obersten Behörde vertreten,
während der Minister ihnen im Gegensatze zu dem Ausgeführten den "religions¬
losen" Staat vertritt. Daß dieselben Stimmen sonst die Verstärkung der Kirchen¬
behörde durch den Synodalausschuß fordern, damit sie wirklich die Vertretung
der Kirche werde, mag unerörtert bleiben. Zur Begründung der Gerechtigkeit
ihrer Forderung verweisen diese Stimmen unablässig auf das entgegenkommende
Verfahren des Staates gegenüber der römischen Kirche, das mit seiner ableh¬
nenden Stellung zu berechtigten Forderungen der evangelischen Kirche in so trau¬
riger Weise kontrastire. Nun ist es gewiß tief zu beklagen, wenn der Staat der ka¬
tholischen Kirche gegenüber entgegenkommender ist, als der evangelischen. Aber
es wäre doch bei der gänzlichen Verschiedenheit beider Kirchen überaus verkehrt,
wenn man meinen wollte, daß dieselben Zugeständnisse, die der Staat der rö¬
mischen Kirche macht, regelmäßig auch für die evangelische Kirche eine Forde¬
rung bedeuten würden. Das gilt nun besonders von unserm Falle. In der
katholischen Kirche steht es allerdings so, daß nach ihrer Lehre die amtlichen
Träger der kirchlichen Rechtsordnung, die Bischöfe, beziehungsweise der Pabst,
vermöge der apostolischen Succession die Kirche unfehlbar vertreten, daß ihre
Stimme die Stimme der Kirche ist, daß ihrem Urteile sich die Glieder der Kirche
einfach ohne Prüfung zu unterwerfen haben, daß es außerhalb des Gebietes
ihrer Herrschaft kirchliche Organe gar nicht giebt. In der evangelischen Kirche
dagegen vertreten erstlich die Kirchenbehörden oder die kirchlichen Organe die
Kirche genau so weit, wie ihr kirchliches Handeln den aus dem Wesen des Evan¬
geliums sich ergebenden Anforderungen entspricht und die Prüfung an diesem Ma߬
stabe besteht. Zu solcher Prüfung ist aber jedes Glied der Kirche nach Ma߬
gabe seiner Befähigung in dem besondern Falle berechtigt. Das ist eine solche
Binsenwahrheit, daß es schwer begreiflich ist, wie man für die oberste Behörde
der evangelischen Kirche die Prärogative der Bischöfe in Anspruch nehmen


Der Fall Harnack.

nister, der vor der Frage der Berufung in eine theologische Professur steht,
wird sich von sachverständiger Seite Informationen über die kirchliche Quali¬
fikation des Kandidaten verschaffen, wie auch der Decernent im Ministerium für
die theologischen Professuren ein Sachverständiger ist. Gegenwärtig ist das ein
Mann, der Professor der Theologie ist und zugleich die kirchliche Vertrauens¬
stellung des Vorsitzenden des Zentralausschusses für innere Mission bekleidet.
Das ist also die Prinzipienfrage, um die es sich in dem „Falle Harnack" han¬
delt, ob durch das Vorgehen des Ministers die durch die Idee der Sache ge¬
forderte kirchliche Rücksicht, die freilich weder mit der Idee des Staates, noch
mit der der Wissenschaft streitet, sondern mit beiden eins ist, verletzt oder ge¬
wahrt worden ist.

Aus einem Teile der obigen Prämissen ziehen nun die Gegner der Beru¬
fung Harnacks den Schluß, daß das Votum der „Kirche" wenigstens soweit
unbedingt entscheiden müsse, daß wider dasselbe kein theologischer Lehrer ange¬
stellt werden dürfe. Die Kirche sei aber in ihrer obersten Behörde vertreten,
während der Minister ihnen im Gegensatze zu dem Ausgeführten den „religions¬
losen" Staat vertritt. Daß dieselben Stimmen sonst die Verstärkung der Kirchen¬
behörde durch den Synodalausschuß fordern, damit sie wirklich die Vertretung
der Kirche werde, mag unerörtert bleiben. Zur Begründung der Gerechtigkeit
ihrer Forderung verweisen diese Stimmen unablässig auf das entgegenkommende
Verfahren des Staates gegenüber der römischen Kirche, das mit seiner ableh¬
nenden Stellung zu berechtigten Forderungen der evangelischen Kirche in so trau¬
riger Weise kontrastire. Nun ist es gewiß tief zu beklagen, wenn der Staat der ka¬
tholischen Kirche gegenüber entgegenkommender ist, als der evangelischen. Aber
es wäre doch bei der gänzlichen Verschiedenheit beider Kirchen überaus verkehrt,
wenn man meinen wollte, daß dieselben Zugeständnisse, die der Staat der rö¬
mischen Kirche macht, regelmäßig auch für die evangelische Kirche eine Forde¬
rung bedeuten würden. Das gilt nun besonders von unserm Falle. In der
katholischen Kirche steht es allerdings so, daß nach ihrer Lehre die amtlichen
Träger der kirchlichen Rechtsordnung, die Bischöfe, beziehungsweise der Pabst,
vermöge der apostolischen Succession die Kirche unfehlbar vertreten, daß ihre
Stimme die Stimme der Kirche ist, daß ihrem Urteile sich die Glieder der Kirche
einfach ohne Prüfung zu unterwerfen haben, daß es außerhalb des Gebietes
ihrer Herrschaft kirchliche Organe gar nicht giebt. In der evangelischen Kirche
dagegen vertreten erstlich die Kirchenbehörden oder die kirchlichen Organe die
Kirche genau so weit, wie ihr kirchliches Handeln den aus dem Wesen des Evan¬
geliums sich ergebenden Anforderungen entspricht und die Prüfung an diesem Ma߬
stabe besteht. Zu solcher Prüfung ist aber jedes Glied der Kirche nach Ma߬
gabe seiner Befähigung in dem besondern Falle berechtigt. Das ist eine solche
Binsenwahrheit, daß es schwer begreiflich ist, wie man für die oberste Behörde
der evangelischen Kirche die Prärogative der Bischöfe in Anspruch nehmen


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[0108] Der Fall Harnack. nister, der vor der Frage der Berufung in eine theologische Professur steht, wird sich von sachverständiger Seite Informationen über die kirchliche Quali¬ fikation des Kandidaten verschaffen, wie auch der Decernent im Ministerium für die theologischen Professuren ein Sachverständiger ist. Gegenwärtig ist das ein Mann, der Professor der Theologie ist und zugleich die kirchliche Vertrauens¬ stellung des Vorsitzenden des Zentralausschusses für innere Mission bekleidet. Das ist also die Prinzipienfrage, um die es sich in dem „Falle Harnack" han¬ delt, ob durch das Vorgehen des Ministers die durch die Idee der Sache ge¬ forderte kirchliche Rücksicht, die freilich weder mit der Idee des Staates, noch mit der der Wissenschaft streitet, sondern mit beiden eins ist, verletzt oder ge¬ wahrt worden ist. Aus einem Teile der obigen Prämissen ziehen nun die Gegner der Beru¬ fung Harnacks den Schluß, daß das Votum der „Kirche" wenigstens soweit unbedingt entscheiden müsse, daß wider dasselbe kein theologischer Lehrer ange¬ stellt werden dürfe. Die Kirche sei aber in ihrer obersten Behörde vertreten, während der Minister ihnen im Gegensatze zu dem Ausgeführten den „religions¬ losen" Staat vertritt. Daß dieselben Stimmen sonst die Verstärkung der Kirchen¬ behörde durch den Synodalausschuß fordern, damit sie wirklich die Vertretung der Kirche werde, mag unerörtert bleiben. Zur Begründung der Gerechtigkeit ihrer Forderung verweisen diese Stimmen unablässig auf das entgegenkommende Verfahren des Staates gegenüber der römischen Kirche, das mit seiner ableh¬ nenden Stellung zu berechtigten Forderungen der evangelischen Kirche in so trau¬ riger Weise kontrastire. Nun ist es gewiß tief zu beklagen, wenn der Staat der ka¬ tholischen Kirche gegenüber entgegenkommender ist, als der evangelischen. Aber es wäre doch bei der gänzlichen Verschiedenheit beider Kirchen überaus verkehrt, wenn man meinen wollte, daß dieselben Zugeständnisse, die der Staat der rö¬ mischen Kirche macht, regelmäßig auch für die evangelische Kirche eine Forde¬ rung bedeuten würden. Das gilt nun besonders von unserm Falle. In der katholischen Kirche steht es allerdings so, daß nach ihrer Lehre die amtlichen Träger der kirchlichen Rechtsordnung, die Bischöfe, beziehungsweise der Pabst, vermöge der apostolischen Succession die Kirche unfehlbar vertreten, daß ihre Stimme die Stimme der Kirche ist, daß ihrem Urteile sich die Glieder der Kirche einfach ohne Prüfung zu unterwerfen haben, daß es außerhalb des Gebietes ihrer Herrschaft kirchliche Organe gar nicht giebt. In der evangelischen Kirche dagegen vertreten erstlich die Kirchenbehörden oder die kirchlichen Organe die Kirche genau so weit, wie ihr kirchliches Handeln den aus dem Wesen des Evan¬ geliums sich ergebenden Anforderungen entspricht und die Prüfung an diesem Ma߬ stabe besteht. Zu solcher Prüfung ist aber jedes Glied der Kirche nach Ma߬ gabe seiner Befähigung in dem besondern Falle berechtigt. Das ist eine solche Binsenwahrheit, daß es schwer begreiflich ist, wie man für die oberste Behörde der evangelischen Kirche die Prärogative der Bischöfe in Anspruch nehmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/108>, abgerufen am 22.07.2024.