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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Herr Hinrichseü und sein litterarisches Deutschland,

und seine Lieder sind in jedes Sängers Mund." Heyse ist in der That einer
der vornehmsten Meister, über die "Eroberung aller Bühnen" aber wird er selbst
lächeln, sie ist sehr oum g-rauo salis zu verstehen, und von den Liedern, "die in
jedes Sängers Mund leben," haben wir noch kein einziges gehört. Von Julius
Wolff behauptet Herr Hinrichsen in einem Atem, daß er ein gottbegnadeter
Dichter sei, daß es aber "beim Vermeiden alles Schablonenhaften schier un¬
möglich sein mag, der Manierirtheit auszuweichen." Herr Hinrichsen muß
wunderbare Begriffe von einem "gottbegnadeter" Dichter haben. Von Otto
Roquette wird behauptet, daß er "mit seinen spätern Schöpfungen zweifellos
auf der Höhe des Parnaß stehe", aber niemals wieder die Poesie von "Wald¬
meisters Brautfahrt" erreicht habe. Hier wird frischweg der Wert und der
Erfolg verwechselt; wenn Roquettes spätere Schöpfungen nicht festern Kern
und echteres Leben aufwiesen als sein reizendes Jugendmärchen, stünde es schlimm
um ihn. Vom Erfolg ist überhaupt Herrn Hinrichsens Urteil kläglich abhängig;
es hilft einem Dichter wie Theodor Storm wenig, daß er sich unablässig ver¬
tieft hat und seine Gestaltungskraft überraschend gewachsen ist, die Arabesken-
Novelle "Jmmensee" bleibt für Herrn Hinrichsen "die feinste und künstlerisch
vollendetste von Storms Leistungen." Der wackere und idealistisch angehauchte
Otto von Leixner wird als ein Nachahmer Lindaus bezeichnet und muß sich
gefallen lassen, zu vernehmen, daß er "weit hinter seinem geistreichen Vorbild
zurückbleibt." ^

Doch es lohnt nicht, alle diese Unbegreiflichkeiten aufzuzählen, ja es wird
sinnlos, so bald wir die Urteile über die bedeutender" und eruststrebenden
Schriftsteller der Gegenwart mit andern vergleichen. Welchen Wert hat auch
das höchste Lob, das Hinrichsen an Ernst von Wildenbruch, Hermann Lingg,
Konrad Ferdinand Meyer mit gutem Recht und zum Teil mit glücklicheren Aus¬
druck spendet, wenn anderseits der Herausgeber des "Litterarischen Deutsch¬
lands" für die platteste und wüsteste Vielschreiberei Worte braucht, die nur dem
echten, künstlerisch gesinnten Talent gebühren. Von dem Romanfabrikanten Franz
Lubojcchky, der ein halbes Jahrhundert lang die Leihbibliotheken versorgte und
der seine Schriftstellern schwerlich je anders denn als einen Broterwerb
angesehen hat, dessen Romane keine ernsthafte Kritik je in ihren Vereich ge¬
zogen hat, beteuert Herr Hinrichsen, er sei "einer unsrer fruchtbarsten Autoren
gewesen, ohne daß er sein dichterisches Können je verbraucht habe; dieselbe
ungewöhnliche Gestaltungskraft, welche seine ersten Schöpfungen belebt, thut
sich auch in den letzten kund." Angesichts dieser äußersten Leistung an Kritik¬
losigkeit dürfen wir über ganze Reihen andrer Urteile nicht erstaunen. Höchstens
darüber ließe sich noch ein Befremden ausdrücken, wie der Herausgeber des "Lit¬
terarischen Deutschlands," der sich doch auf seiue patriotischen Gesinnungen beruft,
dazu kommt, dem umstürzlerischeu Kosmopolitismus der Herren Löwenthal und
Genossen so ausgiebigen Raum zu gönnen. Doch auch das ist überflüssig.


Herr Hinrichseü und sein litterarisches Deutschland,

und seine Lieder sind in jedes Sängers Mund." Heyse ist in der That einer
der vornehmsten Meister, über die „Eroberung aller Bühnen" aber wird er selbst
lächeln, sie ist sehr oum g-rauo salis zu verstehen, und von den Liedern, „die in
jedes Sängers Mund leben," haben wir noch kein einziges gehört. Von Julius
Wolff behauptet Herr Hinrichsen in einem Atem, daß er ein gottbegnadeter
Dichter sei, daß es aber „beim Vermeiden alles Schablonenhaften schier un¬
möglich sein mag, der Manierirtheit auszuweichen." Herr Hinrichsen muß
wunderbare Begriffe von einem „gottbegnadeter" Dichter haben. Von Otto
Roquette wird behauptet, daß er „mit seinen spätern Schöpfungen zweifellos
auf der Höhe des Parnaß stehe", aber niemals wieder die Poesie von „Wald¬
meisters Brautfahrt" erreicht habe. Hier wird frischweg der Wert und der
Erfolg verwechselt; wenn Roquettes spätere Schöpfungen nicht festern Kern
und echteres Leben aufwiesen als sein reizendes Jugendmärchen, stünde es schlimm
um ihn. Vom Erfolg ist überhaupt Herrn Hinrichsens Urteil kläglich abhängig;
es hilft einem Dichter wie Theodor Storm wenig, daß er sich unablässig ver¬
tieft hat und seine Gestaltungskraft überraschend gewachsen ist, die Arabesken-
Novelle „Jmmensee" bleibt für Herrn Hinrichsen „die feinste und künstlerisch
vollendetste von Storms Leistungen." Der wackere und idealistisch angehauchte
Otto von Leixner wird als ein Nachahmer Lindaus bezeichnet und muß sich
gefallen lassen, zu vernehmen, daß er „weit hinter seinem geistreichen Vorbild
zurückbleibt." ^

Doch es lohnt nicht, alle diese Unbegreiflichkeiten aufzuzählen, ja es wird
sinnlos, so bald wir die Urteile über die bedeutender» und eruststrebenden
Schriftsteller der Gegenwart mit andern vergleichen. Welchen Wert hat auch
das höchste Lob, das Hinrichsen an Ernst von Wildenbruch, Hermann Lingg,
Konrad Ferdinand Meyer mit gutem Recht und zum Teil mit glücklicheren Aus¬
druck spendet, wenn anderseits der Herausgeber des „Litterarischen Deutsch¬
lands" für die platteste und wüsteste Vielschreiberei Worte braucht, die nur dem
echten, künstlerisch gesinnten Talent gebühren. Von dem Romanfabrikanten Franz
Lubojcchky, der ein halbes Jahrhundert lang die Leihbibliotheken versorgte und
der seine Schriftstellern schwerlich je anders denn als einen Broterwerb
angesehen hat, dessen Romane keine ernsthafte Kritik je in ihren Vereich ge¬
zogen hat, beteuert Herr Hinrichsen, er sei „einer unsrer fruchtbarsten Autoren
gewesen, ohne daß er sein dichterisches Können je verbraucht habe; dieselbe
ungewöhnliche Gestaltungskraft, welche seine ersten Schöpfungen belebt, thut
sich auch in den letzten kund." Angesichts dieser äußersten Leistung an Kritik¬
losigkeit dürfen wir über ganze Reihen andrer Urteile nicht erstaunen. Höchstens
darüber ließe sich noch ein Befremden ausdrücken, wie der Herausgeber des „Lit¬
terarischen Deutschlands," der sich doch auf seiue patriotischen Gesinnungen beruft,
dazu kommt, dem umstürzlerischeu Kosmopolitismus der Herren Löwenthal und
Genossen so ausgiebigen Raum zu gönnen. Doch auch das ist überflüssig.


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[0103] Herr Hinrichseü und sein litterarisches Deutschland, und seine Lieder sind in jedes Sängers Mund." Heyse ist in der That einer der vornehmsten Meister, über die „Eroberung aller Bühnen" aber wird er selbst lächeln, sie ist sehr oum g-rauo salis zu verstehen, und von den Liedern, „die in jedes Sängers Mund leben," haben wir noch kein einziges gehört. Von Julius Wolff behauptet Herr Hinrichsen in einem Atem, daß er ein gottbegnadeter Dichter sei, daß es aber „beim Vermeiden alles Schablonenhaften schier un¬ möglich sein mag, der Manierirtheit auszuweichen." Herr Hinrichsen muß wunderbare Begriffe von einem „gottbegnadeter" Dichter haben. Von Otto Roquette wird behauptet, daß er „mit seinen spätern Schöpfungen zweifellos auf der Höhe des Parnaß stehe", aber niemals wieder die Poesie von „Wald¬ meisters Brautfahrt" erreicht habe. Hier wird frischweg der Wert und der Erfolg verwechselt; wenn Roquettes spätere Schöpfungen nicht festern Kern und echteres Leben aufwiesen als sein reizendes Jugendmärchen, stünde es schlimm um ihn. Vom Erfolg ist überhaupt Herrn Hinrichsens Urteil kläglich abhängig; es hilft einem Dichter wie Theodor Storm wenig, daß er sich unablässig ver¬ tieft hat und seine Gestaltungskraft überraschend gewachsen ist, die Arabesken- Novelle „Jmmensee" bleibt für Herrn Hinrichsen „die feinste und künstlerisch vollendetste von Storms Leistungen." Der wackere und idealistisch angehauchte Otto von Leixner wird als ein Nachahmer Lindaus bezeichnet und muß sich gefallen lassen, zu vernehmen, daß er „weit hinter seinem geistreichen Vorbild zurückbleibt." ^ Doch es lohnt nicht, alle diese Unbegreiflichkeiten aufzuzählen, ja es wird sinnlos, so bald wir die Urteile über die bedeutender» und eruststrebenden Schriftsteller der Gegenwart mit andern vergleichen. Welchen Wert hat auch das höchste Lob, das Hinrichsen an Ernst von Wildenbruch, Hermann Lingg, Konrad Ferdinand Meyer mit gutem Recht und zum Teil mit glücklicheren Aus¬ druck spendet, wenn anderseits der Herausgeber des „Litterarischen Deutsch¬ lands" für die platteste und wüsteste Vielschreiberei Worte braucht, die nur dem echten, künstlerisch gesinnten Talent gebühren. Von dem Romanfabrikanten Franz Lubojcchky, der ein halbes Jahrhundert lang die Leihbibliotheken versorgte und der seine Schriftstellern schwerlich je anders denn als einen Broterwerb angesehen hat, dessen Romane keine ernsthafte Kritik je in ihren Vereich ge¬ zogen hat, beteuert Herr Hinrichsen, er sei „einer unsrer fruchtbarsten Autoren gewesen, ohne daß er sein dichterisches Können je verbraucht habe; dieselbe ungewöhnliche Gestaltungskraft, welche seine ersten Schöpfungen belebt, thut sich auch in den letzten kund." Angesichts dieser äußersten Leistung an Kritik¬ losigkeit dürfen wir über ganze Reihen andrer Urteile nicht erstaunen. Höchstens darüber ließe sich noch ein Befremden ausdrücken, wie der Herausgeber des „Lit¬ terarischen Deutschlands," der sich doch auf seiue patriotischen Gesinnungen beruft, dazu kommt, dem umstürzlerischeu Kosmopolitismus der Herren Löwenthal und Genossen so ausgiebigen Raum zu gönnen. Doch auch das ist überflüssig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/103>, abgerufen am 24.08.2024.