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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Das Kriegstagebuch Kaiser Friedrichs.

ist. Wir senden noch voraus, daß das Tagebuch mit dem 11. Juli 1870 beginnt
und mit dem 12. März 1371 schließt. Bald nach der Abreise auf den Kriegs¬
schauplatz, noch in Karlsruhe, am 29. Juli, schreibt der Kronprinz in sein
Tagebuch: "Unser Hauptgedanke ist, wie man nach erkämpftem Frieden den frei¬
sinnigen Ausbau Deutschlands weiterführe." -- Am 6. September, in Rheims,
ein ähnlicher Eintrag. "Meine Hoffnung auf den Ernst des Volkes, Pflicht
freisinnigen Ausbaues des staatlichen und nationalen Lebens; wird jetzt in der
Aufregung der rechte Augenblick verfehlt, so treten mit der Unthätigkeit die
Leidenschaften auf Abwege." -- "18. Oktober. Diese einzige Feier meines Ge¬
burtstages sin Versailles^ weist mich ganz besonders auf den Ernst der Aufgabe,
die ich einst auf deutsch-politischem Gebiete lösen muß; denn ich hoffe, in Zukunft
keine Kriege mehr zu erleben ... Unverkennbar blicken viele mit Vertrauen auf
die Aufgabe, die einst, so Gott will, in meinen Händen ruhen wird, und ich
empfinde für die Lösung derselben auch eine gewisse Zuversicht, weil ich weiß,
daß ich mich des in mich gesetzten Vertrauens würdig erweisen werde... Ich
entdecke, daß man Übles gegen England im Schilde führte, das ist vorüber,
aber ob die Vorliebe für Rußland und Amerika lohne Zweifel ist dabei an
Bismarck gedachtj nicht doch einmal dem Hasse gegen England Luft macht, kann
kein Mensch wissen." --

Höchst charakteristisch ist die Aufzeichnung eines Gespräches, das der Kro n-
prinz am 16. November mit dem damaligen Bundeskanzler über die deutsche
Frage hatte. "Er will zum Abschlüsse kommen," schreibt der Verfasser des
Tagebuches, "entwickelt aber achselzuckend die Schwierigkeiten. Was man denn
gegen die Süddeutschen thun solle? Ob ich wünsche, daß man ihnen drohe?
Ich erwidere: "Ja wohl, es ist gar keine Gefahr, treten wir fest und gebietend
auf, so werden Sie sehen, daß ich Recht hatte, zu behaupten, Sie seien sich
Ihrer Macht noch gar nicht genügend bewußt." Bismarck wies die Drohung
weit ab und sagte, bei eventuellen äußersten Maßregeln dürfe man am wenigsten
damit drohen, weil das jene Staaten in Österreichs Arme treibe. So habe er
bei Übernahme seines Amtes den festen Vorsatz gehabt, Preußen zum Kriege
mit Österreich zu bringen, aber sich wohl gehütet, damals oder überhaupt zu
früh mit Sr. Majestät davon zu sprechen, bis er den Zeitpunkt als dafür
geeignet angesehen. So müßte man auch gegenwärtig der Zeit anheim stellen,
die deutsche Frage sich entwickeln zu sehen. Ich erwiderte, solches Zaudern könne
ich, der ich die Zukunft reprüsentire, nicht gleichgiltig ansehen; es sei nicht
nötig, Gewalt zu brauchen, man könne es ruhig darauf ankommen lassen, ob
Bayern und Württemberg es wagen würden, sich Österreich anzuschließen. Es
sei nichts leichter, als von der hier versammelten Mehrzahl der deutschen Fürsten
ses handelte sich nicht um die Mehrzahl, wie bei einem Parlamente, sondern
um alle, wenigstens um alle mächtigern^ nicht bloß den Kaiser proklamiren,
sondern auch eine den berechtigten Forderungen des deutschen Volkes entsprechende


Das Kriegstagebuch Kaiser Friedrichs.

ist. Wir senden noch voraus, daß das Tagebuch mit dem 11. Juli 1870 beginnt
und mit dem 12. März 1371 schließt. Bald nach der Abreise auf den Kriegs¬
schauplatz, noch in Karlsruhe, am 29. Juli, schreibt der Kronprinz in sein
Tagebuch: „Unser Hauptgedanke ist, wie man nach erkämpftem Frieden den frei¬
sinnigen Ausbau Deutschlands weiterführe." — Am 6. September, in Rheims,
ein ähnlicher Eintrag. „Meine Hoffnung auf den Ernst des Volkes, Pflicht
freisinnigen Ausbaues des staatlichen und nationalen Lebens; wird jetzt in der
Aufregung der rechte Augenblick verfehlt, so treten mit der Unthätigkeit die
Leidenschaften auf Abwege." — „18. Oktober. Diese einzige Feier meines Ge¬
burtstages sin Versailles^ weist mich ganz besonders auf den Ernst der Aufgabe,
die ich einst auf deutsch-politischem Gebiete lösen muß; denn ich hoffe, in Zukunft
keine Kriege mehr zu erleben ... Unverkennbar blicken viele mit Vertrauen auf
die Aufgabe, die einst, so Gott will, in meinen Händen ruhen wird, und ich
empfinde für die Lösung derselben auch eine gewisse Zuversicht, weil ich weiß,
daß ich mich des in mich gesetzten Vertrauens würdig erweisen werde... Ich
entdecke, daß man Übles gegen England im Schilde führte, das ist vorüber,
aber ob die Vorliebe für Rußland und Amerika lohne Zweifel ist dabei an
Bismarck gedachtj nicht doch einmal dem Hasse gegen England Luft macht, kann
kein Mensch wissen." —

Höchst charakteristisch ist die Aufzeichnung eines Gespräches, das der Kro n-
prinz am 16. November mit dem damaligen Bundeskanzler über die deutsche
Frage hatte. „Er will zum Abschlüsse kommen," schreibt der Verfasser des
Tagebuches, „entwickelt aber achselzuckend die Schwierigkeiten. Was man denn
gegen die Süddeutschen thun solle? Ob ich wünsche, daß man ihnen drohe?
Ich erwidere: „Ja wohl, es ist gar keine Gefahr, treten wir fest und gebietend
auf, so werden Sie sehen, daß ich Recht hatte, zu behaupten, Sie seien sich
Ihrer Macht noch gar nicht genügend bewußt." Bismarck wies die Drohung
weit ab und sagte, bei eventuellen äußersten Maßregeln dürfe man am wenigsten
damit drohen, weil das jene Staaten in Österreichs Arme treibe. So habe er
bei Übernahme seines Amtes den festen Vorsatz gehabt, Preußen zum Kriege
mit Österreich zu bringen, aber sich wohl gehütet, damals oder überhaupt zu
früh mit Sr. Majestät davon zu sprechen, bis er den Zeitpunkt als dafür
geeignet angesehen. So müßte man auch gegenwärtig der Zeit anheim stellen,
die deutsche Frage sich entwickeln zu sehen. Ich erwiderte, solches Zaudern könne
ich, der ich die Zukunft reprüsentire, nicht gleichgiltig ansehen; es sei nicht
nötig, Gewalt zu brauchen, man könne es ruhig darauf ankommen lassen, ob
Bayern und Württemberg es wagen würden, sich Österreich anzuschließen. Es
sei nichts leichter, als von der hier versammelten Mehrzahl der deutschen Fürsten
ses handelte sich nicht um die Mehrzahl, wie bei einem Parlamente, sondern
um alle, wenigstens um alle mächtigern^ nicht bloß den Kaiser proklamiren,
sondern auch eine den berechtigten Forderungen des deutschen Volkes entsprechende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/10>, abgerufen am 04.07.2024.