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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

ihm hat man die Pflichttreue genannt; aber es war mehr, es war die Treue
schlechthin und allerwege, die Treue gegen sich, sein Haus, gegen Andre, sein
Volk, gegen Gott den Allerhöchsten."

Ja die deutsche Treue, die Treue schlechthin ist bei uns noch keine bloße
Sage geworden. In alter Zeit umspannte und umschloß sie eigentlich als höchste
Tugend alle andern, war wie der geistige Kitt aller Verhältnisse, in denen sich
das Ganze im Großen und Kleinen bewegt. Und sie thut jetzt noch und immer
Wunder, wo sie waltet, thut sie allein. Jeder weiß, was im Leben in irgend
einem Kreise mit seinen stillen oder offenen Kämpfen und Stürmen eine treue
Seele wert ist, wenn sie zumal mit Klarheit und Kraft gesegnet ist, wie sie da
dem Ganzen, wenn es in sich schwankt und erzittert, zum rettenden Mittel- und
Schwerpunkt werden kann. Aber die rechte Treue schlechthin ist eigentlich von
selbst zugleich stille Kraft und Klarheit, weil sie fest und tief in sich selbst ruht.
Nun weiß auch jeder, daß Kaiser Wilhelm eine solche Seele war, die denn auch
mit ihrer schlichten Treue, Klarheit und Kraft ihre Wunder gethan hat an dem
deutschen Ganzen, daß es an ihm aus seinem langen, schwankenden und zitternden
Suchen heraus sich selbst hat wieder finden können.

Kaiser Wilhelm als eine echt deutsche treue Seele, das liegt nun vor aller
Augen, nein, es lebt in allen Gemütern. Denn daraus erklärt sich auch die
Liebe, die er sich erworben hatte, eine allgemeine Liebe, die wunderbar erscheinen
darf, wenn man an die Stimmung denkt, die ihm bei der Thronbesteigung ent¬
gegentrat, von den Irrungen von 1848 her, eine Stimmung, die fast die Farbe
des Hasses hatte. Und nun hat sich das ins vollste Gegenteil verkehrt, daß
ihm immer mehr und weiter ein Vertrauen zuwuchs, wie es eben nur aus ge¬
fühlter Treue kommt: wer treu ist, dem traut man, wo man sonst keinem traut,
"Treue um Treue" sagt das alte schöne Wort. Die Stimmung, die er sich im
Reiche und weit darüber hinaus, auch ganz abgesehen von seinen politischen
Thaten, als Mensch erworben hatte, das trat bei seinem Scheiden überraschend
hervor, war allgemeine Neigung, diese freie Hingabe der Seele, ihre freieste
That, die nie geboten werden kann. Es war, was man im Hansdeutsch "lieb
haben" nennt, unter Umständen, wie hier, wohl noch mehr als "lieben." Welcher
Fürst oder Mensch kann es weiter bringen?

Und noch eine Eigenschaft, die auch das Ausland als eine deutsche lobt,
hatte in ihm einen rechten Vertreter, die Gemütlichkeit, das viel mißbrauchte
Wort im besten Sinne genommen, als Äußerung des ganzen Wesens, das
ruhiges Behagen tief in sich hat und darum auch um sich verbreitet, es mag
wollen oder nicht, das aber auch bewußt als allgemeines Wohlwollen helfend
und fördernd rings herum wirkt, weil es auf tiefer, eigner Güte ruht, die selbst
nur in wohligen Wesen um sich herum ihr Genügen findet. Sie ist eigentlich
der Treue schlechthin nah verwandt, beide sprießen aus einer Wurzel. Nichts
ging von Kaiser Wilhelm aus, was man las oder hörte, Begrüßungen oder


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

ihm hat man die Pflichttreue genannt; aber es war mehr, es war die Treue
schlechthin und allerwege, die Treue gegen sich, sein Haus, gegen Andre, sein
Volk, gegen Gott den Allerhöchsten."

Ja die deutsche Treue, die Treue schlechthin ist bei uns noch keine bloße
Sage geworden. In alter Zeit umspannte und umschloß sie eigentlich als höchste
Tugend alle andern, war wie der geistige Kitt aller Verhältnisse, in denen sich
das Ganze im Großen und Kleinen bewegt. Und sie thut jetzt noch und immer
Wunder, wo sie waltet, thut sie allein. Jeder weiß, was im Leben in irgend
einem Kreise mit seinen stillen oder offenen Kämpfen und Stürmen eine treue
Seele wert ist, wenn sie zumal mit Klarheit und Kraft gesegnet ist, wie sie da
dem Ganzen, wenn es in sich schwankt und erzittert, zum rettenden Mittel- und
Schwerpunkt werden kann. Aber die rechte Treue schlechthin ist eigentlich von
selbst zugleich stille Kraft und Klarheit, weil sie fest und tief in sich selbst ruht.
Nun weiß auch jeder, daß Kaiser Wilhelm eine solche Seele war, die denn auch
mit ihrer schlichten Treue, Klarheit und Kraft ihre Wunder gethan hat an dem
deutschen Ganzen, daß es an ihm aus seinem langen, schwankenden und zitternden
Suchen heraus sich selbst hat wieder finden können.

Kaiser Wilhelm als eine echt deutsche treue Seele, das liegt nun vor aller
Augen, nein, es lebt in allen Gemütern. Denn daraus erklärt sich auch die
Liebe, die er sich erworben hatte, eine allgemeine Liebe, die wunderbar erscheinen
darf, wenn man an die Stimmung denkt, die ihm bei der Thronbesteigung ent¬
gegentrat, von den Irrungen von 1848 her, eine Stimmung, die fast die Farbe
des Hasses hatte. Und nun hat sich das ins vollste Gegenteil verkehrt, daß
ihm immer mehr und weiter ein Vertrauen zuwuchs, wie es eben nur aus ge¬
fühlter Treue kommt: wer treu ist, dem traut man, wo man sonst keinem traut,
„Treue um Treue" sagt das alte schöne Wort. Die Stimmung, die er sich im
Reiche und weit darüber hinaus, auch ganz abgesehen von seinen politischen
Thaten, als Mensch erworben hatte, das trat bei seinem Scheiden überraschend
hervor, war allgemeine Neigung, diese freie Hingabe der Seele, ihre freieste
That, die nie geboten werden kann. Es war, was man im Hansdeutsch „lieb
haben" nennt, unter Umständen, wie hier, wohl noch mehr als „lieben." Welcher
Fürst oder Mensch kann es weiter bringen?

Und noch eine Eigenschaft, die auch das Ausland als eine deutsche lobt,
hatte in ihm einen rechten Vertreter, die Gemütlichkeit, das viel mißbrauchte
Wort im besten Sinne genommen, als Äußerung des ganzen Wesens, das
ruhiges Behagen tief in sich hat und darum auch um sich verbreitet, es mag
wollen oder nicht, das aber auch bewußt als allgemeines Wohlwollen helfend
und fördernd rings herum wirkt, weil es auf tiefer, eigner Güte ruht, die selbst
nur in wohligen Wesen um sich herum ihr Genügen findet. Sie ist eigentlich
der Treue schlechthin nah verwandt, beide sprießen aus einer Wurzel. Nichts
ging von Kaiser Wilhelm aus, was man las oder hörte, Begrüßungen oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/96>, abgerufen am 01.09.2024.