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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosoxhen.

geschlossenen Einheit geweiht durch die tiefe Trauer um den gemeinsam Verlornen,
aus der doch die Größe des durch ihn gemeinsam Gewonnenen hoch aufstieg,
und durch das Gefühl der Treue, das durch Verlust und Gewinn neu ge¬
pflanzt wurde.

Ungezählte Tausende, ja Hunderttausende, standen im Geiste um die hohe
Gestalt des Mannes, der nun unter der Weihe des Todes mit tiefer, schöner
Ruhe in den Zügen zur ewigen Ruhe gestreckt dalag, zum Ausruhen von einem
langen Leben, wie es wenigen beschieden ist, aber auch von einem Tagewerke
von einer Größe, daß man nach einem Vergleich sich umsehend unwillkürlich
zu Karl dem Großen zurückdenken mußte, den die alten deutschen oder römischen
Kaiser in amtlicher Rede als "unsern lieben Vater" bezeichneten: hier lag der
Vater des neuen deutschen Reiches, dessen klare, feste, milde Gestalt hochauf¬
gerichtet in die deutsche Geschichte auf Jahrhunderte hin hinein leuchten wird
als mahnender Vater, den Enkeln die rechte Richtung zu weisen.

Und bei solcher Wirkung kein Genie! Das ist ein Punkt, der bei mir und
Andern in meinem Kreise sich unter den angeregten Gedanken immer wieder mit
in den Vordergrund drängte. Er hat aber auch für unsre Zeit einen ganz be¬
sondern Wert, da sie weithin noch an dem Bodensatz des Geniewesens krankt,
den sie für den Genietrank selber nimmt, daß damit vor allem gründlich auf¬
zuräumen wäre, wenn wir zu ganzer Gesundung, Kraft und Freude kommen
wollen, und damit denn auch zu wahrhaft Genialem, wenn es einmal nicht anders
heißen soll. Wir haben es an zwei Fürsten erlebt, in Preußen und in Bayern,
die den Thron bestiegen mit dem Lichte oder Scheine von genialen Wesen um¬
geben, daher mit größten Erwartungen empfangen, und man weiß, wie sie davon
gegangen sind, daß alles heimlich oder offen froh war, das Feld wieder für
einfaches, treues, zielbewußtes Arbeiten frei zu sehen.

Dies war die Kraft des geschiedenen ersten deutschen Kaisers, ein unaus-
denklicher Segen für die Aufgabe, die der deutsche" Nation gestellt war, sich
nun auch nach außen zu verjüngen, wieder neu aus der Wurzel aufzuleben,
wenn sie überhaupt weiter leben wollte, wie es nach innen, im Geiste, wenigstens
im innersten Marke schon eigentlich fertig war. Und wie bei dieser riesenhaften
Vorarbeit oder Hauptarbeit von innen seit etwa 1780 ein Segen des Himmels
auf uns ruhte, daß für die Arbeit nahe beisammen so hoch erlesene Geister und
Kräfte gestellt wurden, wie Klopstock, Lessing u. s. w., so traf ein solcher Segen
auch in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ein für die Voll¬
endung der Arbeit nach außen, die immer anch als die Hauptarbeit gelten kann.
Daß Kaiser Wilhelm zu dieser Aufgabe, die ihm früh klar geworden war aus
der gegebenen Lage der Dinge und auch oft schon ausgesprochen, Helfer fand,
wie Fürst Bismarck und Graf Moltke, das ist wirklich wie ein genaues Seiten¬
stück zu der Erscheinung im vorigen Jahrhundert, wie da erlauchte Geisteskräfte
von Klopstock bis zu Schiller und Goethe hin auf verschiedensten Wegen doch


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosoxhen.

geschlossenen Einheit geweiht durch die tiefe Trauer um den gemeinsam Verlornen,
aus der doch die Größe des durch ihn gemeinsam Gewonnenen hoch aufstieg,
und durch das Gefühl der Treue, das durch Verlust und Gewinn neu ge¬
pflanzt wurde.

Ungezählte Tausende, ja Hunderttausende, standen im Geiste um die hohe
Gestalt des Mannes, der nun unter der Weihe des Todes mit tiefer, schöner
Ruhe in den Zügen zur ewigen Ruhe gestreckt dalag, zum Ausruhen von einem
langen Leben, wie es wenigen beschieden ist, aber auch von einem Tagewerke
von einer Größe, daß man nach einem Vergleich sich umsehend unwillkürlich
zu Karl dem Großen zurückdenken mußte, den die alten deutschen oder römischen
Kaiser in amtlicher Rede als „unsern lieben Vater" bezeichneten: hier lag der
Vater des neuen deutschen Reiches, dessen klare, feste, milde Gestalt hochauf¬
gerichtet in die deutsche Geschichte auf Jahrhunderte hin hinein leuchten wird
als mahnender Vater, den Enkeln die rechte Richtung zu weisen.

Und bei solcher Wirkung kein Genie! Das ist ein Punkt, der bei mir und
Andern in meinem Kreise sich unter den angeregten Gedanken immer wieder mit
in den Vordergrund drängte. Er hat aber auch für unsre Zeit einen ganz be¬
sondern Wert, da sie weithin noch an dem Bodensatz des Geniewesens krankt,
den sie für den Genietrank selber nimmt, daß damit vor allem gründlich auf¬
zuräumen wäre, wenn wir zu ganzer Gesundung, Kraft und Freude kommen
wollen, und damit denn auch zu wahrhaft Genialem, wenn es einmal nicht anders
heißen soll. Wir haben es an zwei Fürsten erlebt, in Preußen und in Bayern,
die den Thron bestiegen mit dem Lichte oder Scheine von genialen Wesen um¬
geben, daher mit größten Erwartungen empfangen, und man weiß, wie sie davon
gegangen sind, daß alles heimlich oder offen froh war, das Feld wieder für
einfaches, treues, zielbewußtes Arbeiten frei zu sehen.

Dies war die Kraft des geschiedenen ersten deutschen Kaisers, ein unaus-
denklicher Segen für die Aufgabe, die der deutsche« Nation gestellt war, sich
nun auch nach außen zu verjüngen, wieder neu aus der Wurzel aufzuleben,
wenn sie überhaupt weiter leben wollte, wie es nach innen, im Geiste, wenigstens
im innersten Marke schon eigentlich fertig war. Und wie bei dieser riesenhaften
Vorarbeit oder Hauptarbeit von innen seit etwa 1780 ein Segen des Himmels
auf uns ruhte, daß für die Arbeit nahe beisammen so hoch erlesene Geister und
Kräfte gestellt wurden, wie Klopstock, Lessing u. s. w., so traf ein solcher Segen
auch in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ein für die Voll¬
endung der Arbeit nach außen, die immer anch als die Hauptarbeit gelten kann.
Daß Kaiser Wilhelm zu dieser Aufgabe, die ihm früh klar geworden war aus
der gegebenen Lage der Dinge und auch oft schon ausgesprochen, Helfer fand,
wie Fürst Bismarck und Graf Moltke, das ist wirklich wie ein genaues Seiten¬
stück zu der Erscheinung im vorigen Jahrhundert, wie da erlauchte Geisteskräfte
von Klopstock bis zu Schiller und Goethe hin auf verschiedensten Wegen doch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/93>, abgerufen am 01.09.2024.