Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosoxhen. die ganze wunderbare Geschichte Deutschlands zusammendrängte wie in einem Vor dem Reiche, d. h. nach der alten Vorstellung gedacht, die in den Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosoxhen. die ganze wunderbare Geschichte Deutschlands zusammendrängte wie in einem Vor dem Reiche, d. h. nach der alten Vorstellung gedacht, die in den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0092" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202869"/> <fw type="header" place="top"> Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosoxhen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_274" prev="#ID_273"> die ganze wunderbare Geschichte Deutschlands zusammendrängte wie in einem<lb/> abschließenden Knoten, am größten, nächsten, deutlichsten natürlich in der Seele<lb/> Bismarcks selbst, und da sind denn auch dieser festesten Seele Thränen nötig<lb/> gewesen, um den Augenblick zu überwinden. Das erfuhr man glücklich hinter¬<lb/> drein aus den Berichten von Augenzeugen, die sich nicht bloß staatsmäßig zu<lb/> halten brauchten, wie der amtliche Bericht, in dem davon nichts stand, nur die<lb/> Worte des Staatsmannes, die, groß wie der Augenblick selber, mir wie das<lb/> beste Denkmal für den eben Beweinten vorkamen und durch den Staatsmann,<lb/> der da für die Welt wie weltgeschichtlich redete, doch auch den Menschen wunder¬<lb/> schön färbend hindurchleuchten ließen, dabei den deutschen Mann, den deutschesten<lb/> von allen, in Sinn und Thaten. Fürst Bismarck, der Eiserne, wie ihn die Welt<lb/> nennt, vor dem Reiche weinend, nichts kann so schön das Wesen dieser Tage,<lb/> das Große des Augenblicks beleuchten, groß in Schmerz und Erhebung zugleich,<lb/> groß in Trauer und Treue.</p><lb/> <p xml:id="ID_275" next="#ID_276"> Vor dem Reiche, d. h. nach der alten Vorstellung gedacht, die in den<lb/> Zeiten des alten Reiches ganz lebendig war, daß in den Vertretern, den Ständen,<lb/> das Reich selbst eben nach seinen Ständen gegenwärtig sei, das ganze Reich<lb/> sichtbar. Was am Reichstage vorging, vor Kaiser und Reich, wie die Formel<lb/> war, das geschah wie in einem engern Kreise für den ganzen weiten Kreis, der<lb/> von jenem nur die Fortsetzung war, alles aber zugleich ein Ganzes, ein Kreis,<lb/> ein Leben, mit dem gekrönten Kaiser als Mittelpunkt. Diese Vorstellung konnte<lb/> einem bei jener Gelegenheit am 9. März wieder recht deutlich wach werden;<lb/> macht es doch heutzutage die wunderbare Kunst, Gedanken und selbst klingende<lb/> Worte blitzartig in die Ferne gehen zu lassen, möglich, das gleichzeitige Zu¬<lb/> gegensein Aller beinahe zu einer Wahrheit zu machen, daß der engere Kreis<lb/> inmitten des Ganzen sich wirklich wie zugleich durch die ganze Weite nach<lb/> außen erstreckt und Alle an demselben Tage mit einem Zeitunterschiede, der<lb/> immer geringer wird, im Geiste um ihren Mittelpunkt versammelt sind. So<lb/> war es an jenem Tage so lebhaft, so allgemein und so eigenartig, wie gewiß<lb/> noch nie. Es gab dem Geschehenen und Geschehenden gegenüber eigentlich keine<lb/> Parteien mehr, in deren Reibung sich sonst im Reichstage wie im Reiche das<lb/> große Leben bewegt oder was das große Leben sein soll, keine Parteien, d. h.<lb/> Teile, Stücke, es gab da ein Ganzes oder das Ganze, soweit das menschen¬<lb/> möglich ist, wie so noch nie. Selbst die sogenannten Socialdemokraten, mehr<lb/> als andre Parteien ein Stück für sich, das sich doch wunderlich als zukünftiges<lb/> Ganzes träumt, gingen in das gegebene Ganze ein. Und wenn sie im Dresdner<lb/> Landtage dem Beispiele der Berliner Genossen nicht folgten, sondern, ihrem<lb/> Führer folgend, den Saal verließen, als der Vorsitzende verkünden wollte, was<lb/> sie wußte», als wollten sie sich der Wirkung des Augenblicks nicht unterziehen,<lb/> nun, so traten sie eben damit aus dem Kreise des Ganzen hinaus, der in diesen<lb/> Tagen zu einem geheiligten Bannkreise wurde, fest und weit, wie noch nie, zur</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0092]
Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosoxhen.
die ganze wunderbare Geschichte Deutschlands zusammendrängte wie in einem
abschließenden Knoten, am größten, nächsten, deutlichsten natürlich in der Seele
Bismarcks selbst, und da sind denn auch dieser festesten Seele Thränen nötig
gewesen, um den Augenblick zu überwinden. Das erfuhr man glücklich hinter¬
drein aus den Berichten von Augenzeugen, die sich nicht bloß staatsmäßig zu
halten brauchten, wie der amtliche Bericht, in dem davon nichts stand, nur die
Worte des Staatsmannes, die, groß wie der Augenblick selber, mir wie das
beste Denkmal für den eben Beweinten vorkamen und durch den Staatsmann,
der da für die Welt wie weltgeschichtlich redete, doch auch den Menschen wunder¬
schön färbend hindurchleuchten ließen, dabei den deutschen Mann, den deutschesten
von allen, in Sinn und Thaten. Fürst Bismarck, der Eiserne, wie ihn die Welt
nennt, vor dem Reiche weinend, nichts kann so schön das Wesen dieser Tage,
das Große des Augenblicks beleuchten, groß in Schmerz und Erhebung zugleich,
groß in Trauer und Treue.
Vor dem Reiche, d. h. nach der alten Vorstellung gedacht, die in den
Zeiten des alten Reiches ganz lebendig war, daß in den Vertretern, den Ständen,
das Reich selbst eben nach seinen Ständen gegenwärtig sei, das ganze Reich
sichtbar. Was am Reichstage vorging, vor Kaiser und Reich, wie die Formel
war, das geschah wie in einem engern Kreise für den ganzen weiten Kreis, der
von jenem nur die Fortsetzung war, alles aber zugleich ein Ganzes, ein Kreis,
ein Leben, mit dem gekrönten Kaiser als Mittelpunkt. Diese Vorstellung konnte
einem bei jener Gelegenheit am 9. März wieder recht deutlich wach werden;
macht es doch heutzutage die wunderbare Kunst, Gedanken und selbst klingende
Worte blitzartig in die Ferne gehen zu lassen, möglich, das gleichzeitige Zu¬
gegensein Aller beinahe zu einer Wahrheit zu machen, daß der engere Kreis
inmitten des Ganzen sich wirklich wie zugleich durch die ganze Weite nach
außen erstreckt und Alle an demselben Tage mit einem Zeitunterschiede, der
immer geringer wird, im Geiste um ihren Mittelpunkt versammelt sind. So
war es an jenem Tage so lebhaft, so allgemein und so eigenartig, wie gewiß
noch nie. Es gab dem Geschehenen und Geschehenden gegenüber eigentlich keine
Parteien mehr, in deren Reibung sich sonst im Reichstage wie im Reiche das
große Leben bewegt oder was das große Leben sein soll, keine Parteien, d. h.
Teile, Stücke, es gab da ein Ganzes oder das Ganze, soweit das menschen¬
möglich ist, wie so noch nie. Selbst die sogenannten Socialdemokraten, mehr
als andre Parteien ein Stück für sich, das sich doch wunderlich als zukünftiges
Ganzes träumt, gingen in das gegebene Ganze ein. Und wenn sie im Dresdner
Landtage dem Beispiele der Berliner Genossen nicht folgten, sondern, ihrem
Führer folgend, den Saal verließen, als der Vorsitzende verkünden wollte, was
sie wußte», als wollten sie sich der Wirkung des Augenblicks nicht unterziehen,
nun, so traten sie eben damit aus dem Kreise des Ganzen hinaus, der in diesen
Tagen zu einem geheiligten Bannkreise wurde, fest und weit, wie noch nie, zur
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