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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Tazobuchblätter eines Sonntagsphilosoxhen.

Hegelscher und Herbartscher Naturphilosophie, ja gegen Philosophie überhaupt;
insofern ist Fechners Buch ein Anachronismus. Für alle Zeiten aber gelten
die "Gründe erster Ordnung" für die Atomistik, zu denen die spätere Wissen¬
schaft nur noch hie und da ein wenig neues Material hinzuzufügen hat.

Wie Fechner die Fortschritte der Physik verfolgte, sieht man auch da, wo
man es zu sehen nicht erwartet. So enthält das gegen einen Angriff des
Botanikers Schleiden gerichtete Buch: "Professor Schleiden und der Mond" (1856)
eine Menge wertvollen statistischen Materials über die Frage, ob der Mond
einen Einfluß auf die Witterungsverhältnisse der Erdoberfläche habe, und in den
einleitenden Kapiteln der "Elemente der Psychophysik" (mit Vorwort vom 7. De¬
zember 1859) steht eine Abhandlung über "das große Prinzip der sogenannten
Erhaltung der Kraft," mit welcher nur zwei oder drei Abhandlungen der großen
Männer, die das Prinzip entwickelt und ihm allgemein Eingang und Geltung
verschafft haben, verglichen werden können; so klar überschaute Fechner die Bedeu¬
tung der neuen Errungenschaft, so bedeutungsvoll wendete er das Prinzip an auf
die Sinnesreize und ihre Folgevorgänge, die der Empfindung zu Grunde liegen.

(Schluß folgt.)




Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
it.0. Trauer und Treue.

as war eine merkwürdige Woche. Plötzliche schwere Trauer ihre Fär¬
bung, bange, schwere Sorge als Einleitung und nun auch als Folge.
Man sollte gedrückt sein und wars denn auch, aber man war
dabei auch gehoben, wie lange nicht oder so eigenartig noch nie:
Druck und Sorge im Gemüte und Erhebung und Größe zugleich
in seltsamer Mischung.

Es war, wie wenn im Hause ein Trauerfall eintritt, der schwerste, der
möglich ist, längst gefürchtet und längst zu erwarten, und doch nun, da er
kommt, mit einer Wirkung, die unerwartet neu ist und auch seltsam gemischt.
Man sieht und empfindet den betroffenen Lebenskreis mit einem Schlage ver¬
ändert, eine Lücke gähnt tief hinein, unansfüllbar, an der Stelle, die für den
Kreis der bestimmende Mittelpunkt, der Haltpunkt war. Schmerz ohne ein
Ende, Trauer, Sorgen erfassen das Herz, das bisherige Alltagsleben mit allen


Tazobuchblätter eines Sonntagsphilosoxhen.

Hegelscher und Herbartscher Naturphilosophie, ja gegen Philosophie überhaupt;
insofern ist Fechners Buch ein Anachronismus. Für alle Zeiten aber gelten
die „Gründe erster Ordnung" für die Atomistik, zu denen die spätere Wissen¬
schaft nur noch hie und da ein wenig neues Material hinzuzufügen hat.

Wie Fechner die Fortschritte der Physik verfolgte, sieht man auch da, wo
man es zu sehen nicht erwartet. So enthält das gegen einen Angriff des
Botanikers Schleiden gerichtete Buch: „Professor Schleiden und der Mond" (1856)
eine Menge wertvollen statistischen Materials über die Frage, ob der Mond
einen Einfluß auf die Witterungsverhältnisse der Erdoberfläche habe, und in den
einleitenden Kapiteln der „Elemente der Psychophysik" (mit Vorwort vom 7. De¬
zember 1859) steht eine Abhandlung über „das große Prinzip der sogenannten
Erhaltung der Kraft," mit welcher nur zwei oder drei Abhandlungen der großen
Männer, die das Prinzip entwickelt und ihm allgemein Eingang und Geltung
verschafft haben, verglichen werden können; so klar überschaute Fechner die Bedeu¬
tung der neuen Errungenschaft, so bedeutungsvoll wendete er das Prinzip an auf
die Sinnesreize und ihre Folgevorgänge, die der Empfindung zu Grunde liegen.

(Schluß folgt.)




Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
it.0. Trauer und Treue.

as war eine merkwürdige Woche. Plötzliche schwere Trauer ihre Fär¬
bung, bange, schwere Sorge als Einleitung und nun auch als Folge.
Man sollte gedrückt sein und wars denn auch, aber man war
dabei auch gehoben, wie lange nicht oder so eigenartig noch nie:
Druck und Sorge im Gemüte und Erhebung und Größe zugleich
in seltsamer Mischung.

Es war, wie wenn im Hause ein Trauerfall eintritt, der schwerste, der
möglich ist, längst gefürchtet und längst zu erwarten, und doch nun, da er
kommt, mit einer Wirkung, die unerwartet neu ist und auch seltsam gemischt.
Man sieht und empfindet den betroffenen Lebenskreis mit einem Schlage ver¬
ändert, eine Lücke gähnt tief hinein, unansfüllbar, an der Stelle, die für den
Kreis der bestimmende Mittelpunkt, der Haltpunkt war. Schmerz ohne ein
Ende, Trauer, Sorgen erfassen das Herz, das bisherige Alltagsleben mit allen


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[0088] Tazobuchblätter eines Sonntagsphilosoxhen. Hegelscher und Herbartscher Naturphilosophie, ja gegen Philosophie überhaupt; insofern ist Fechners Buch ein Anachronismus. Für alle Zeiten aber gelten die „Gründe erster Ordnung" für die Atomistik, zu denen die spätere Wissen¬ schaft nur noch hie und da ein wenig neues Material hinzuzufügen hat. Wie Fechner die Fortschritte der Physik verfolgte, sieht man auch da, wo man es zu sehen nicht erwartet. So enthält das gegen einen Angriff des Botanikers Schleiden gerichtete Buch: „Professor Schleiden und der Mond" (1856) eine Menge wertvollen statistischen Materials über die Frage, ob der Mond einen Einfluß auf die Witterungsverhältnisse der Erdoberfläche habe, und in den einleitenden Kapiteln der „Elemente der Psychophysik" (mit Vorwort vom 7. De¬ zember 1859) steht eine Abhandlung über „das große Prinzip der sogenannten Erhaltung der Kraft," mit welcher nur zwei oder drei Abhandlungen der großen Männer, die das Prinzip entwickelt und ihm allgemein Eingang und Geltung verschafft haben, verglichen werden können; so klar überschaute Fechner die Bedeu¬ tung der neuen Errungenschaft, so bedeutungsvoll wendete er das Prinzip an auf die Sinnesreize und ihre Folgevorgänge, die der Empfindung zu Grunde liegen. (Schluß folgt.) Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. it.0. Trauer und Treue. as war eine merkwürdige Woche. Plötzliche schwere Trauer ihre Fär¬ bung, bange, schwere Sorge als Einleitung und nun auch als Folge. Man sollte gedrückt sein und wars denn auch, aber man war dabei auch gehoben, wie lange nicht oder so eigenartig noch nie: Druck und Sorge im Gemüte und Erhebung und Größe zugleich in seltsamer Mischung. Es war, wie wenn im Hause ein Trauerfall eintritt, der schwerste, der möglich ist, längst gefürchtet und längst zu erwarten, und doch nun, da er kommt, mit einer Wirkung, die unerwartet neu ist und auch seltsam gemischt. Man sieht und empfindet den betroffenen Lebenskreis mit einem Schlage ver¬ ändert, eine Lücke gähnt tief hinein, unansfüllbar, an der Stelle, die für den Kreis der bestimmende Mittelpunkt, der Haltpunkt war. Schmerz ohne ein Ende, Trauer, Sorgen erfassen das Herz, das bisherige Alltagsleben mit allen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/88>, abgerufen am 01.09.2024.