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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Zum Andenken Gustav Theodor Fechners.

die Physik und die Psychologie, die Lehre von den mechanischen Vorgängen und
die von dem geistigen Geschehen trennt, weil er mit dem Auge des Naturforschers
auf die Kunst sah, zu der sein reiches Gemüt ihn hinzog, und weil er seine Ge¬
danken gehen ließ, Land zu suchen jenseits der Grenzlinie, welche alle Wissen¬
schaft einschließt.

Von dem Lebensgange Fcchners hat seine Gattin, die treue Genossin seines
Lebens und seiner Arbeit, die Nachrichten gegeben, die wir hier folgen lassen.

Gustav Theodor Fechner war am 19. April 1801 zu Groß-Särchen bei
Triebel in der Niederlausitz geboren. Er war der zweite Sohn des dortigen
Pastors Fechner und hatte noch einen ältern Bruder und drei jüngere Schwestern.
Der Vater überwachte genau die Entwicklung des Knaben und ließ ihn das
Latein schon mit der Muttersprache lernen und sprechen, was dadurch erleichtert
wurde, daß auch die Mutter, ebenfalls aus einer Pastorenfamilie, des Lateins
mächtig war.

Leider verlor der Knabe schon vor dem sechsten Jahre seinen Vater, und
so kam er mit seinem Bruder zu dem Bruder seiner Mutter, dem Superintendenten
Fischer in Würzen, der sich seiner Erziehung annahm. Sie war streng, wie
es in den Ansichten der damaligen Zeil lag, und das weiche Kindergemüt wurde
dadurch wohl etwas verschüchtert. Acht Jahre blieb er beim Onkel. Dann kehrte
er zur Mutter zurück, die nach der kleinen Stadt Triebel gezogen war, um dort
ihre Tochter die Schule besuchen zu lasse". Von hier aus kam Fechner auf die
Schule zu Sorau, was ihm nicht zu weit dünkte, um jeden Sonnabend in der Nacht
nach Triebe! zu laufen, Sonntags in der Familie zu sein und in der folgenden
Nacht wieder nach Sorau zurückzukehren. Nach einiger Zeit faßte die Mutter
den Entschluß, mit der Familie "ach Dresden überzusiedeln, um dort den Kindern
eine bessere Erziehung zu Teil werden zu lassen. Das war ihr Glück; denn
so erhielt sie sich die kleine Wilwcnpension, die ihr bei der bald darauf er¬
folgten Teilung Sachsens verloren gegangen wäre. In Dresden besuchte Fechner
die Kreuzschule, und als ihm der dortige Rektor 1817 in Scherz und Ernst
erklärte, er könne nun auf der Schule nichts mehr lernen, bezog er noch nicht
sechzehnjährig die Universität zu Leipzig.

Es waren schwere Jahre, die er hier durchzumachen hatte. Ganz ohne
Mittel, mußte er lehren, um zu lernen, und gab alle möglichen Stunden zu
den niedrigsten Preisen. Er studirte Medizin, aber bald zwangen ihn die Ver¬
hältnisse, auf litterarischen Erwerb zu denken, und so entstanden schon in jungen
Jahren durch seine Übersetzungen aus dem Französischen seine ersten wissen¬
schaftlichen Werke, sowie auch kleine humoristische Schriften, die er unter dem
Namen Miscs herausgab.

In den letzten zwanziger Jahren gestaltete sich sein Leben insofern heiterer,
als er in einen Kreis bedeutender junger Leute eintrat, mit denen gleiche Ge¬
sinnungen und gleiches geistiges Streben ihn verbanden. Professor Hermann


Zum Andenken Gustav Theodor Fechners.

die Physik und die Psychologie, die Lehre von den mechanischen Vorgängen und
die von dem geistigen Geschehen trennt, weil er mit dem Auge des Naturforschers
auf die Kunst sah, zu der sein reiches Gemüt ihn hinzog, und weil er seine Ge¬
danken gehen ließ, Land zu suchen jenseits der Grenzlinie, welche alle Wissen¬
schaft einschließt.

Von dem Lebensgange Fcchners hat seine Gattin, die treue Genossin seines
Lebens und seiner Arbeit, die Nachrichten gegeben, die wir hier folgen lassen.

Gustav Theodor Fechner war am 19. April 1801 zu Groß-Särchen bei
Triebel in der Niederlausitz geboren. Er war der zweite Sohn des dortigen
Pastors Fechner und hatte noch einen ältern Bruder und drei jüngere Schwestern.
Der Vater überwachte genau die Entwicklung des Knaben und ließ ihn das
Latein schon mit der Muttersprache lernen und sprechen, was dadurch erleichtert
wurde, daß auch die Mutter, ebenfalls aus einer Pastorenfamilie, des Lateins
mächtig war.

Leider verlor der Knabe schon vor dem sechsten Jahre seinen Vater, und
so kam er mit seinem Bruder zu dem Bruder seiner Mutter, dem Superintendenten
Fischer in Würzen, der sich seiner Erziehung annahm. Sie war streng, wie
es in den Ansichten der damaligen Zeil lag, und das weiche Kindergemüt wurde
dadurch wohl etwas verschüchtert. Acht Jahre blieb er beim Onkel. Dann kehrte
er zur Mutter zurück, die nach der kleinen Stadt Triebel gezogen war, um dort
ihre Tochter die Schule besuchen zu lasse». Von hier aus kam Fechner auf die
Schule zu Sorau, was ihm nicht zu weit dünkte, um jeden Sonnabend in der Nacht
nach Triebe! zu laufen, Sonntags in der Familie zu sein und in der folgenden
Nacht wieder nach Sorau zurückzukehren. Nach einiger Zeit faßte die Mutter
den Entschluß, mit der Familie »ach Dresden überzusiedeln, um dort den Kindern
eine bessere Erziehung zu Teil werden zu lassen. Das war ihr Glück; denn
so erhielt sie sich die kleine Wilwcnpension, die ihr bei der bald darauf er¬
folgten Teilung Sachsens verloren gegangen wäre. In Dresden besuchte Fechner
die Kreuzschule, und als ihm der dortige Rektor 1817 in Scherz und Ernst
erklärte, er könne nun auf der Schule nichts mehr lernen, bezog er noch nicht
sechzehnjährig die Universität zu Leipzig.

Es waren schwere Jahre, die er hier durchzumachen hatte. Ganz ohne
Mittel, mußte er lehren, um zu lernen, und gab alle möglichen Stunden zu
den niedrigsten Preisen. Er studirte Medizin, aber bald zwangen ihn die Ver¬
hältnisse, auf litterarischen Erwerb zu denken, und so entstanden schon in jungen
Jahren durch seine Übersetzungen aus dem Französischen seine ersten wissen¬
schaftlichen Werke, sowie auch kleine humoristische Schriften, die er unter dem
Namen Miscs herausgab.

In den letzten zwanziger Jahren gestaltete sich sein Leben insofern heiterer,
als er in einen Kreis bedeutender junger Leute eintrat, mit denen gleiche Ge¬
sinnungen und gleiches geistiges Streben ihn verbanden. Professor Hermann


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[0082] Zum Andenken Gustav Theodor Fechners. die Physik und die Psychologie, die Lehre von den mechanischen Vorgängen und die von dem geistigen Geschehen trennt, weil er mit dem Auge des Naturforschers auf die Kunst sah, zu der sein reiches Gemüt ihn hinzog, und weil er seine Ge¬ danken gehen ließ, Land zu suchen jenseits der Grenzlinie, welche alle Wissen¬ schaft einschließt. Von dem Lebensgange Fcchners hat seine Gattin, die treue Genossin seines Lebens und seiner Arbeit, die Nachrichten gegeben, die wir hier folgen lassen. Gustav Theodor Fechner war am 19. April 1801 zu Groß-Särchen bei Triebel in der Niederlausitz geboren. Er war der zweite Sohn des dortigen Pastors Fechner und hatte noch einen ältern Bruder und drei jüngere Schwestern. Der Vater überwachte genau die Entwicklung des Knaben und ließ ihn das Latein schon mit der Muttersprache lernen und sprechen, was dadurch erleichtert wurde, daß auch die Mutter, ebenfalls aus einer Pastorenfamilie, des Lateins mächtig war. Leider verlor der Knabe schon vor dem sechsten Jahre seinen Vater, und so kam er mit seinem Bruder zu dem Bruder seiner Mutter, dem Superintendenten Fischer in Würzen, der sich seiner Erziehung annahm. Sie war streng, wie es in den Ansichten der damaligen Zeil lag, und das weiche Kindergemüt wurde dadurch wohl etwas verschüchtert. Acht Jahre blieb er beim Onkel. Dann kehrte er zur Mutter zurück, die nach der kleinen Stadt Triebel gezogen war, um dort ihre Tochter die Schule besuchen zu lasse». Von hier aus kam Fechner auf die Schule zu Sorau, was ihm nicht zu weit dünkte, um jeden Sonnabend in der Nacht nach Triebe! zu laufen, Sonntags in der Familie zu sein und in der folgenden Nacht wieder nach Sorau zurückzukehren. Nach einiger Zeit faßte die Mutter den Entschluß, mit der Familie »ach Dresden überzusiedeln, um dort den Kindern eine bessere Erziehung zu Teil werden zu lassen. Das war ihr Glück; denn so erhielt sie sich die kleine Wilwcnpension, die ihr bei der bald darauf er¬ folgten Teilung Sachsens verloren gegangen wäre. In Dresden besuchte Fechner die Kreuzschule, und als ihm der dortige Rektor 1817 in Scherz und Ernst erklärte, er könne nun auf der Schule nichts mehr lernen, bezog er noch nicht sechzehnjährig die Universität zu Leipzig. Es waren schwere Jahre, die er hier durchzumachen hatte. Ganz ohne Mittel, mußte er lehren, um zu lernen, und gab alle möglichen Stunden zu den niedrigsten Preisen. Er studirte Medizin, aber bald zwangen ihn die Ver¬ hältnisse, auf litterarischen Erwerb zu denken, und so entstanden schon in jungen Jahren durch seine Übersetzungen aus dem Französischen seine ersten wissen¬ schaftlichen Werke, sowie auch kleine humoristische Schriften, die er unter dem Namen Miscs herausgab. In den letzten zwanziger Jahren gestaltete sich sein Leben insofern heiterer, als er in einen Kreis bedeutender junger Leute eintrat, mit denen gleiche Ge¬ sinnungen und gleiches geistiges Streben ihn verbanden. Professor Hermann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/82>, abgerufen am 01.09.2024.