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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Zum Andenken Gustav Theodor Rechners.
von A. Elsas.

in 18. November 1887 starb in Leipzig ein deutscher Gelehrter
und Philosoph, der diesen Ehrennamen verdient, wie nur wenige
Männer unsers Jahrhunderts. Es ist der besondre Ruhm des
Philosophen, über das durch Beruf und Amt abgegrenzte Arbeits¬
gebiet hinaus den Blick zu richten auf alle Bethätigungen der
Erkenntnis, den Gedanken wandern zu lassen über den Gesichtskreis hinaus, der
alles Wissen umgrenzt, ein empfängliches Gemüt zu haben für alles, was die
Menschenbrust durchbebt. Das ist auch der Ruhm Gustav Theodor Fechners.

Im ersten Jahre des Jahrhunderts geboren, nahezu gleichaltrig mit den
ihn überlebenden Vertretern der ersten Generation bedeutender deutscher Physiker,
Franz Neumann und Wilhelm Weber, hat er mit diesen einen hervorragenden
Anteil an den Arbeiten, welche das Gebiet der Elektrizität der exakten physi¬
kalischen Forschung zugänglich machte. Er gehört zu den ersten methodisch klaren
deutschen Experimentatoren, welche sich den französischen und englischen eben¬
bürtig an die Seite stellen durften und die Führung des deutschen Geistes auch
auf dem Gebiete der Physik begründeten. So war Fechner von Beruf Natur¬
forscher.

Im besten Mannesalter, eifrig mit Untersuchungen beschäftigt, welche
wesentlich dazu beigetragen haben, die Physiologie der Sinnesorgane der physi¬
kalischen Betrachtungsweise zu unterwerfen, überfiel ihn eine schwere Krankheit und
machte ihm die Berufsarbeit für die Folgezeit unmöglich. Das leibliche Auge
wurde geschwächt. Aber ungetrübt blieb der weite geistige Blick des Gelehrten.
Daß Fechners Name stets mit Stolz genannt wurde, wenn von dem Ruhme
der Universität Leipzig die Rede war, dazu waren nicht seine elektrischen Ma߬
bestimmungen die Veranlassung. Denn die exakten Wissenschaften, deren Methode
von der historischen Methode grundverschieden ist, sind auch in der Beziehung
unhistorisch, daß sie sich um ihre eigne frühere Entwicklung wenig kümmern.
Nein, Fechner ist berühmt geworden, überall wo es wissenschaftliches Leben
giebt, weil er mit kühnem Blick in das dunkle Grenzgebiet eindrang, welches


Grenzboten II. 1888. w


Zum Andenken Gustav Theodor Rechners.
von A. Elsas.

in 18. November 1887 starb in Leipzig ein deutscher Gelehrter
und Philosoph, der diesen Ehrennamen verdient, wie nur wenige
Männer unsers Jahrhunderts. Es ist der besondre Ruhm des
Philosophen, über das durch Beruf und Amt abgegrenzte Arbeits¬
gebiet hinaus den Blick zu richten auf alle Bethätigungen der
Erkenntnis, den Gedanken wandern zu lassen über den Gesichtskreis hinaus, der
alles Wissen umgrenzt, ein empfängliches Gemüt zu haben für alles, was die
Menschenbrust durchbebt. Das ist auch der Ruhm Gustav Theodor Fechners.

Im ersten Jahre des Jahrhunderts geboren, nahezu gleichaltrig mit den
ihn überlebenden Vertretern der ersten Generation bedeutender deutscher Physiker,
Franz Neumann und Wilhelm Weber, hat er mit diesen einen hervorragenden
Anteil an den Arbeiten, welche das Gebiet der Elektrizität der exakten physi¬
kalischen Forschung zugänglich machte. Er gehört zu den ersten methodisch klaren
deutschen Experimentatoren, welche sich den französischen und englischen eben¬
bürtig an die Seite stellen durften und die Führung des deutschen Geistes auch
auf dem Gebiete der Physik begründeten. So war Fechner von Beruf Natur¬
forscher.

Im besten Mannesalter, eifrig mit Untersuchungen beschäftigt, welche
wesentlich dazu beigetragen haben, die Physiologie der Sinnesorgane der physi¬
kalischen Betrachtungsweise zu unterwerfen, überfiel ihn eine schwere Krankheit und
machte ihm die Berufsarbeit für die Folgezeit unmöglich. Das leibliche Auge
wurde geschwächt. Aber ungetrübt blieb der weite geistige Blick des Gelehrten.
Daß Fechners Name stets mit Stolz genannt wurde, wenn von dem Ruhme
der Universität Leipzig die Rede war, dazu waren nicht seine elektrischen Ma߬
bestimmungen die Veranlassung. Denn die exakten Wissenschaften, deren Methode
von der historischen Methode grundverschieden ist, sind auch in der Beziehung
unhistorisch, daß sie sich um ihre eigne frühere Entwicklung wenig kümmern.
Nein, Fechner ist berühmt geworden, überall wo es wissenschaftliches Leben
giebt, weil er mit kühnem Blick in das dunkle Grenzgebiet eindrang, welches


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[0081] [Abbildung] Zum Andenken Gustav Theodor Rechners. von A. Elsas. in 18. November 1887 starb in Leipzig ein deutscher Gelehrter und Philosoph, der diesen Ehrennamen verdient, wie nur wenige Männer unsers Jahrhunderts. Es ist der besondre Ruhm des Philosophen, über das durch Beruf und Amt abgegrenzte Arbeits¬ gebiet hinaus den Blick zu richten auf alle Bethätigungen der Erkenntnis, den Gedanken wandern zu lassen über den Gesichtskreis hinaus, der alles Wissen umgrenzt, ein empfängliches Gemüt zu haben für alles, was die Menschenbrust durchbebt. Das ist auch der Ruhm Gustav Theodor Fechners. Im ersten Jahre des Jahrhunderts geboren, nahezu gleichaltrig mit den ihn überlebenden Vertretern der ersten Generation bedeutender deutscher Physiker, Franz Neumann und Wilhelm Weber, hat er mit diesen einen hervorragenden Anteil an den Arbeiten, welche das Gebiet der Elektrizität der exakten physi¬ kalischen Forschung zugänglich machte. Er gehört zu den ersten methodisch klaren deutschen Experimentatoren, welche sich den französischen und englischen eben¬ bürtig an die Seite stellen durften und die Führung des deutschen Geistes auch auf dem Gebiete der Physik begründeten. So war Fechner von Beruf Natur¬ forscher. Im besten Mannesalter, eifrig mit Untersuchungen beschäftigt, welche wesentlich dazu beigetragen haben, die Physiologie der Sinnesorgane der physi¬ kalischen Betrachtungsweise zu unterwerfen, überfiel ihn eine schwere Krankheit und machte ihm die Berufsarbeit für die Folgezeit unmöglich. Das leibliche Auge wurde geschwächt. Aber ungetrübt blieb der weite geistige Blick des Gelehrten. Daß Fechners Name stets mit Stolz genannt wurde, wenn von dem Ruhme der Universität Leipzig die Rede war, dazu waren nicht seine elektrischen Ma߬ bestimmungen die Veranlassung. Denn die exakten Wissenschaften, deren Methode von der historischen Methode grundverschieden ist, sind auch in der Beziehung unhistorisch, daß sie sich um ihre eigne frühere Entwicklung wenig kümmern. Nein, Fechner ist berühmt geworden, überall wo es wissenschaftliches Leben giebt, weil er mit kühnem Blick in das dunkle Grenzgebiet eindrang, welches Grenzboten II. 1888. w

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/81>, abgerufen am 13.11.2024.