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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ulrich von Hütten.

vollends bis zur Hefe leeren. In Basel lebte Erasmus, der vor dem Auf¬
treten Luthers in ganz Europa eines Ansehens genoß, dem sich nur etwa das
Voltaires und dessen persönlicher Einfluß auf die Höfe, die Gesellschaft und die
Litteratur des vorigen Jahrhunderts zur Seite stellen läßt. Nach Humanisten¬
weise hatte Hütten mit dem Manne in frühern Tagen litterarisch und persön¬
lich mannichfachen freundschaftlichen Verkehr gehabt; wohl deshalb lenkte er
seine Schritte nach Basel. Allein Erasmus fand es für gut, ihn jetzt zu
verleugnen. Daß er, der die Ruhe des Studirzimmers liebte, den reizbaren und
überdies an einer widerlichen Krankheit leidenden Agitator nicht geradezu in
sein Haus aufnahm, wird man ihm nicht zu sehr verübeln können. Aber er
that auch sonst nichts für den landsiüchtigen armen Teufel; ja es machte ihm
schon der Gedanke Sorge, daß er von Hütten um eine Geldunterstützung an¬
gegangen werden könnte. Alle Ausflüchte des vornehmen Gelehrten, denen man
ja trotz ihrer diplomatischen Abfassung das schlechte Gewissen des Mannes nur
zu sehr anmerkt, können das nicht bemänteln, daß er sich den Besuch seines
einstigen Freundes und humanistischen Gesinnungsgenossen deshalb verbat, weil
er sich bei seinen hohen Gönnern durch Annahme desselben nicht bloßstellen
wollte. Hütten wurde im Januar 1523 aus Basel ausgewiesen, weil der Rat
befürchtete, seine Anwesenheit könnte zu Unruhen Anlaß geben. Von Mül-
hausen aus, wohin sich Hütten nun wandte, schrieb er eine derbe Heraus¬
forderung an Erasmus, worin er dessen Haltung gegenüber den Zeit- und
Streitfragen, die einer so leidenschaftlichen Natur unbegreiflich sein mußte, als
Unaufrichtigkeit brandmarkte. Die Gegenschrift des Erasmus überbietet noch
die Huttensche in erbitterten Bemerkungen und persönlichen Angriffen. Als
Hütten auch in Mülhausen, wo er die niederschlagende Nachricht von dem
Tode seines Sickingen erhielt, nicht mehr sicher war, setzte er seinen Stab aber¬
mals weiter und floh nach Zürich, wo Zwingli sich seiner in der Stille an¬
nahm und die letzten Tage dieses umgetriebenen Sohnes der Erde mit seiner
Fürsorge erhellte.

Allein vergeblich war es, daß der Schweizer Reformator ihn zu dem be¬
freundeten Abt von Pfüsfers schickte, damit er in der warmen Quelle der Taumel
Genesung finde; Hütten kam ebenso krank zurück, wie er gegangen war. Seine
geistige Kraft freilich war noch ungebrochen, aber schon hatte die Hand des
Todes ihn berührt. Auf der Insel Ufnau im Zürchersee, bei Rapperswyl,
fand er im Pfarrhaus kundige Pflege für seine letzten Lebenstage. Aber selbst
bis hierher verfolgte ihn des Erasmus Nachsucht. Der beleidigte Gelehrte
suchte sich durch sein nunmehriges Vorgehen von seinen frühern Berührungen
mit Hütten und den Reformationsfrcunden reinzuwaschen und stachelte nun auch
den Rat vou Zürich auf gegen den flüchtigen Ritter, in der Hoffnung, ihn
auch von dort ausgewiesen zu sehen. In würdigem Tone wies der auf den
Tod kranke Hütten noch die giftigen Verleumdungen seines einstigen Freundes


Ulrich von Hütten.

vollends bis zur Hefe leeren. In Basel lebte Erasmus, der vor dem Auf¬
treten Luthers in ganz Europa eines Ansehens genoß, dem sich nur etwa das
Voltaires und dessen persönlicher Einfluß auf die Höfe, die Gesellschaft und die
Litteratur des vorigen Jahrhunderts zur Seite stellen läßt. Nach Humanisten¬
weise hatte Hütten mit dem Manne in frühern Tagen litterarisch und persön¬
lich mannichfachen freundschaftlichen Verkehr gehabt; wohl deshalb lenkte er
seine Schritte nach Basel. Allein Erasmus fand es für gut, ihn jetzt zu
verleugnen. Daß er, der die Ruhe des Studirzimmers liebte, den reizbaren und
überdies an einer widerlichen Krankheit leidenden Agitator nicht geradezu in
sein Haus aufnahm, wird man ihm nicht zu sehr verübeln können. Aber er
that auch sonst nichts für den landsiüchtigen armen Teufel; ja es machte ihm
schon der Gedanke Sorge, daß er von Hütten um eine Geldunterstützung an¬
gegangen werden könnte. Alle Ausflüchte des vornehmen Gelehrten, denen man
ja trotz ihrer diplomatischen Abfassung das schlechte Gewissen des Mannes nur
zu sehr anmerkt, können das nicht bemänteln, daß er sich den Besuch seines
einstigen Freundes und humanistischen Gesinnungsgenossen deshalb verbat, weil
er sich bei seinen hohen Gönnern durch Annahme desselben nicht bloßstellen
wollte. Hütten wurde im Januar 1523 aus Basel ausgewiesen, weil der Rat
befürchtete, seine Anwesenheit könnte zu Unruhen Anlaß geben. Von Mül-
hausen aus, wohin sich Hütten nun wandte, schrieb er eine derbe Heraus¬
forderung an Erasmus, worin er dessen Haltung gegenüber den Zeit- und
Streitfragen, die einer so leidenschaftlichen Natur unbegreiflich sein mußte, als
Unaufrichtigkeit brandmarkte. Die Gegenschrift des Erasmus überbietet noch
die Huttensche in erbitterten Bemerkungen und persönlichen Angriffen. Als
Hütten auch in Mülhausen, wo er die niederschlagende Nachricht von dem
Tode seines Sickingen erhielt, nicht mehr sicher war, setzte er seinen Stab aber¬
mals weiter und floh nach Zürich, wo Zwingli sich seiner in der Stille an¬
nahm und die letzten Tage dieses umgetriebenen Sohnes der Erde mit seiner
Fürsorge erhellte.

Allein vergeblich war es, daß der Schweizer Reformator ihn zu dem be¬
freundeten Abt von Pfüsfers schickte, damit er in der warmen Quelle der Taumel
Genesung finde; Hütten kam ebenso krank zurück, wie er gegangen war. Seine
geistige Kraft freilich war noch ungebrochen, aber schon hatte die Hand des
Todes ihn berührt. Auf der Insel Ufnau im Zürchersee, bei Rapperswyl,
fand er im Pfarrhaus kundige Pflege für seine letzten Lebenstage. Aber selbst
bis hierher verfolgte ihn des Erasmus Nachsucht. Der beleidigte Gelehrte
suchte sich durch sein nunmehriges Vorgehen von seinen frühern Berührungen
mit Hütten und den Reformationsfrcunden reinzuwaschen und stachelte nun auch
den Rat vou Zürich auf gegen den flüchtigen Ritter, in der Hoffnung, ihn
auch von dort ausgewiesen zu sehen. In würdigem Tone wies der auf den
Tod kranke Hütten noch die giftigen Verleumdungen seines einstigen Freundes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/78>, abgerufen am 01.09.2024.