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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Willst du denn nicht gehen? Kannst du nicht sehen, wie dn mich durch
dein Bleiben mißhandelst, du mißhandelst mich, ja, das thust du. Was habe ich
dir gethan, daß du so schlecht gegen mich bist? Ach geh, hast du denn gar
kein Mitleid mit mir?

Mitleid! Er war eiskalt vor Zorn. Das war ja Wahnsinn! Dabei
war nichts weiter zu thun, als zu gehen. Und er ging. Die beiden Reihen
Stühle berührten ihn unangenehm, aber er ging langsam dazwischen durch
und schaute sie starren Blickes an, als wollte er ihnen trotzen.

üxit, Ricks Lyhne, sagte er, als er die Thüre des Vorzimmers hinter sich
ins Schloß warf.

Er ging bedächtig die Treppe hinab, den Hut in der Hand. Auf dem
Absatz hielt er an und sagte zu sich selber: Wenn ich nur das geringste von
alledem verstehen könnte! Warum dieses und warum jenes? Dann ging er
weiter. Dort waren die geöffneten Fenster. Er hatte die größte Lust, mit
gelten Ruf das abscheuliche Schweigen da oben zu unterbrechen, oder jemand
hier zu haben, mit dem er sprechen könnte, stundenlang, das Schweigen durch
Geschwätz zu übertönen, es gleichsam zu ertränken im Geschwätz. Er konnte das
Schweigen nicht loswerden aus seinem Blute, er konnte es sehen, es schmecken,
er watete förmlich darin. Plötzlich hielt er inne und ward blutrot vor ver¬
bitterter Scham: hatte sie sich mit ihm versuchen wollen?

Oben stand Fran Boye noch immer und weinte. Sie hatte sich vor den
Spiegel gestellt, stand mit beiden Händen auf die Konsole gestützt da und
weinte, daß ihr die Thränen von den Wangen herabströmten und in das rosen¬
rote Innere der Muscheln sielen, die dalagen. Sie sah ihr verstörtes Antlitz
an, wie es über dem Nebelfleck, den ihr Atem auf dem Glase gebildet hatte,
zum Vorschein kam, und sie verfolgte die Thränen, wie sie über die Augen-
ränder drangen und herabrollten. Woher kamen sie doch so unaufhörlich! So
hatte sie noch nie geweint. Ja doch, einmal in Frascati, als die Pferde mit
ihr durchgegangen waren.

Allmählich wurden die Thränen spärlicher, nur ein unruhiges Zucken lief
ihr noch stoßweise vom Nacken bis zu den Fersen hinab.

Die Sonne schien jetzt voller ins Zimmer; der zitternde Wiederschein
der Wogen zog sich schräge hinauf an die Decke, und an den Sommerläden
drangen ganze Reihen paralleler Strahlen hindurch, ganze Streifen goldigen
Lichtes. Die Wärme nahm zu, und durch die mit dem Geruch des erwärmten
Holzes und des sonnendurchglühten Staubes erfüllte Luft wogten jetzt noch
andre Düfte, denn aus den gestickten Blumen der Sofakissen, aus der seidenen
Rundung des Stuhlrückens, ans den Büchern und aufgerollten Teppichen löste
die Wärme hundert vergessene Gerüche, die gespensterhaft durch die Luft zogen.

Allmühlich verlor sich auch das Zittern, das Frau Boye befallen hatte,
und hinterließ nur eigenartigen Schwindel, in welchem phantastische Gefühle,


Ricks Lyhne.

Willst du denn nicht gehen? Kannst du nicht sehen, wie dn mich durch
dein Bleiben mißhandelst, du mißhandelst mich, ja, das thust du. Was habe ich
dir gethan, daß du so schlecht gegen mich bist? Ach geh, hast du denn gar
kein Mitleid mit mir?

Mitleid! Er war eiskalt vor Zorn. Das war ja Wahnsinn! Dabei
war nichts weiter zu thun, als zu gehen. Und er ging. Die beiden Reihen
Stühle berührten ihn unangenehm, aber er ging langsam dazwischen durch
und schaute sie starren Blickes an, als wollte er ihnen trotzen.

üxit, Ricks Lyhne, sagte er, als er die Thüre des Vorzimmers hinter sich
ins Schloß warf.

Er ging bedächtig die Treppe hinab, den Hut in der Hand. Auf dem
Absatz hielt er an und sagte zu sich selber: Wenn ich nur das geringste von
alledem verstehen könnte! Warum dieses und warum jenes? Dann ging er
weiter. Dort waren die geöffneten Fenster. Er hatte die größte Lust, mit
gelten Ruf das abscheuliche Schweigen da oben zu unterbrechen, oder jemand
hier zu haben, mit dem er sprechen könnte, stundenlang, das Schweigen durch
Geschwätz zu übertönen, es gleichsam zu ertränken im Geschwätz. Er konnte das
Schweigen nicht loswerden aus seinem Blute, er konnte es sehen, es schmecken,
er watete förmlich darin. Plötzlich hielt er inne und ward blutrot vor ver¬
bitterter Scham: hatte sie sich mit ihm versuchen wollen?

Oben stand Fran Boye noch immer und weinte. Sie hatte sich vor den
Spiegel gestellt, stand mit beiden Händen auf die Konsole gestützt da und
weinte, daß ihr die Thränen von den Wangen herabströmten und in das rosen¬
rote Innere der Muscheln sielen, die dalagen. Sie sah ihr verstörtes Antlitz
an, wie es über dem Nebelfleck, den ihr Atem auf dem Glase gebildet hatte,
zum Vorschein kam, und sie verfolgte die Thränen, wie sie über die Augen-
ränder drangen und herabrollten. Woher kamen sie doch so unaufhörlich! So
hatte sie noch nie geweint. Ja doch, einmal in Frascati, als die Pferde mit
ihr durchgegangen waren.

Allmählich wurden die Thränen spärlicher, nur ein unruhiges Zucken lief
ihr noch stoßweise vom Nacken bis zu den Fersen hinab.

Die Sonne schien jetzt voller ins Zimmer; der zitternde Wiederschein
der Wogen zog sich schräge hinauf an die Decke, und an den Sommerläden
drangen ganze Reihen paralleler Strahlen hindurch, ganze Streifen goldigen
Lichtes. Die Wärme nahm zu, und durch die mit dem Geruch des erwärmten
Holzes und des sonnendurchglühten Staubes erfüllte Luft wogten jetzt noch
andre Düfte, denn aus den gestickten Blumen der Sofakissen, aus der seidenen
Rundung des Stuhlrückens, ans den Büchern und aufgerollten Teppichen löste
die Wärme hundert vergessene Gerüche, die gespensterhaft durch die Luft zogen.

Allmühlich verlor sich auch das Zittern, das Frau Boye befallen hatte,
und hinterließ nur eigenartigen Schwindel, in welchem phantastische Gefühle,


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[0648] Ricks Lyhne. Willst du denn nicht gehen? Kannst du nicht sehen, wie dn mich durch dein Bleiben mißhandelst, du mißhandelst mich, ja, das thust du. Was habe ich dir gethan, daß du so schlecht gegen mich bist? Ach geh, hast du denn gar kein Mitleid mit mir? Mitleid! Er war eiskalt vor Zorn. Das war ja Wahnsinn! Dabei war nichts weiter zu thun, als zu gehen. Und er ging. Die beiden Reihen Stühle berührten ihn unangenehm, aber er ging langsam dazwischen durch und schaute sie starren Blickes an, als wollte er ihnen trotzen. üxit, Ricks Lyhne, sagte er, als er die Thüre des Vorzimmers hinter sich ins Schloß warf. Er ging bedächtig die Treppe hinab, den Hut in der Hand. Auf dem Absatz hielt er an und sagte zu sich selber: Wenn ich nur das geringste von alledem verstehen könnte! Warum dieses und warum jenes? Dann ging er weiter. Dort waren die geöffneten Fenster. Er hatte die größte Lust, mit gelten Ruf das abscheuliche Schweigen da oben zu unterbrechen, oder jemand hier zu haben, mit dem er sprechen könnte, stundenlang, das Schweigen durch Geschwätz zu übertönen, es gleichsam zu ertränken im Geschwätz. Er konnte das Schweigen nicht loswerden aus seinem Blute, er konnte es sehen, es schmecken, er watete förmlich darin. Plötzlich hielt er inne und ward blutrot vor ver¬ bitterter Scham: hatte sie sich mit ihm versuchen wollen? Oben stand Fran Boye noch immer und weinte. Sie hatte sich vor den Spiegel gestellt, stand mit beiden Händen auf die Konsole gestützt da und weinte, daß ihr die Thränen von den Wangen herabströmten und in das rosen¬ rote Innere der Muscheln sielen, die dalagen. Sie sah ihr verstörtes Antlitz an, wie es über dem Nebelfleck, den ihr Atem auf dem Glase gebildet hatte, zum Vorschein kam, und sie verfolgte die Thränen, wie sie über die Augen- ränder drangen und herabrollten. Woher kamen sie doch so unaufhörlich! So hatte sie noch nie geweint. Ja doch, einmal in Frascati, als die Pferde mit ihr durchgegangen waren. Allmählich wurden die Thränen spärlicher, nur ein unruhiges Zucken lief ihr noch stoßweise vom Nacken bis zu den Fersen hinab. Die Sonne schien jetzt voller ins Zimmer; der zitternde Wiederschein der Wogen zog sich schräge hinauf an die Decke, und an den Sommerläden drangen ganze Reihen paralleler Strahlen hindurch, ganze Streifen goldigen Lichtes. Die Wärme nahm zu, und durch die mit dem Geruch des erwärmten Holzes und des sonnendurchglühten Staubes erfüllte Luft wogten jetzt noch andre Düfte, denn aus den gestickten Blumen der Sofakissen, aus der seidenen Rundung des Stuhlrückens, ans den Büchern und aufgerollten Teppichen löste die Wärme hundert vergessene Gerüche, die gespensterhaft durch die Luft zogen. Allmühlich verlor sich auch das Zittern, das Frau Boye befallen hatte, und hinterließ nur eigenartigen Schwindel, in welchem phantastische Gefühle,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/648>, abgerufen am 28.07.2024.