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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Tyhno.

Liebst du den Mondschein? Ach, du weißt nicht, wie grausam er sein kann.
So eine mondklare Nacht, wenn die Luft in dem lustigen Lichte erstarrt und
die Wolken so langgezogen daliegen, Blumen und Laub halten ihren Duft
so fest, als wäre es ein Reich von Wohlgerüchen, der über ihnen liegt, und
alle Laute werden so fern und schwinden so plötzlich, weilen nicht; eine solche
Nacht ist unbarmherzig, denn die Sehnsucht wird so stark in ihr, sie saugt
das Herz mit starken Lippen aus, und da blinkt keine Hoffnung, schlummert
keine Verheißung in all der kalten, starren Klarheit. O, wie ich da geweint
habe, Tena! Tana, hast du nie so eine mondhelle Nacht durchweint? Geliebte,
es wäre ja Unrecht, wenn du weinen wolltest; du sollst nicht weinen. Es soll
stets Sonnenschein um dich her sein und Nosenncichte, eine Nosennacht.

Sie war ganz hingesunken in seine Umarmung, und den Blick in den
seinen verloren, murmelten ihre Lippen süße Liebesworte, halb erstickt von ihrem
Atem, und sie wiederholte die Worte, die vorhin gesprochen worden waren, als
flüstre sie sie ihrem Herzen zu.

Die Stimmen draußen entfernten sich, die Straße hinauf. Dann kehrten
sie wieder, taktmäßig unterbrochen von dem kurzen Stoßen eines Stockes, der
gegen die Steine schlug, dann entfernten sie sich abermals uach der andern
Seite, dann wurden sie schwächer und erstarben endlich.

Und das Schweigen um sie her schwoll wieder an, herzklopfend, bedrückend,
Atem raubend. Die Worte waren ihnen versiegt, die Küsse sielen schwer von
ihren Lippen wie zögernde Fragen, aber sie trugen keine Erlösung in sich, kein
Genießen der Gegenwart. Sie wagten es nicht, die Augen von einander ab¬
zuwenden, und wagten mich nicht, ihren Blicken Worte zu leihen, sie verschleierten
sie gleichsam, verbargen sich gleichsam dahinter vor einander, schweigend über
geheimnisvollen Träumen brütend.

Plötzlich ging ein Beben durch seine Umarmung, das erweckte sie, und
die Hände gegen seine Brust stemmend, riß sie sich los.

Geh, Ricks, geh, du darfst nicht hier sein, du darfst nicht, hörst du!

Er wollte sie an sich ziehen, sie aber drängte ihn zurück, wild und bleich.
Sie zitterte am ganzen Leibe und stand da, die Arme von sich gestreckt, als
wagte sie es nicht, sich selber zu berühren.

Ricks wollte knieen und ihre Hand ergreifen.

Du darfst mich nicht anrühren! Es lag Verzweiflung in ihrem Blick.
Warum gehst du nicht, wenn ich dich doch bitte! Mein Gott, kannst du denn
nicht gehen? Nein nein, du sollst nicht reden, verlaß mich jetzt! Kannst du
nicht sehen, wie ich vor dir zittre? Sieh, sieh! O, es ist unrecht von dir,
wie du gegen mich handelst! Und ich bitte dich doch!

Es war ihm unmöglich, ein Wort hervorzubringen, da sie nicht hören wollte.
Sie war ganz außer sich, Thränen entströmten ihren Angen, ihr Antlitz war fast
verzerrt und leuchtete förmlich, so bleich war es. Was sollte er anfangen?


Ricks Tyhno.

Liebst du den Mondschein? Ach, du weißt nicht, wie grausam er sein kann.
So eine mondklare Nacht, wenn die Luft in dem lustigen Lichte erstarrt und
die Wolken so langgezogen daliegen, Blumen und Laub halten ihren Duft
so fest, als wäre es ein Reich von Wohlgerüchen, der über ihnen liegt, und
alle Laute werden so fern und schwinden so plötzlich, weilen nicht; eine solche
Nacht ist unbarmherzig, denn die Sehnsucht wird so stark in ihr, sie saugt
das Herz mit starken Lippen aus, und da blinkt keine Hoffnung, schlummert
keine Verheißung in all der kalten, starren Klarheit. O, wie ich da geweint
habe, Tena! Tana, hast du nie so eine mondhelle Nacht durchweint? Geliebte,
es wäre ja Unrecht, wenn du weinen wolltest; du sollst nicht weinen. Es soll
stets Sonnenschein um dich her sein und Nosenncichte, eine Nosennacht.

Sie war ganz hingesunken in seine Umarmung, und den Blick in den
seinen verloren, murmelten ihre Lippen süße Liebesworte, halb erstickt von ihrem
Atem, und sie wiederholte die Worte, die vorhin gesprochen worden waren, als
flüstre sie sie ihrem Herzen zu.

Die Stimmen draußen entfernten sich, die Straße hinauf. Dann kehrten
sie wieder, taktmäßig unterbrochen von dem kurzen Stoßen eines Stockes, der
gegen die Steine schlug, dann entfernten sie sich abermals uach der andern
Seite, dann wurden sie schwächer und erstarben endlich.

Und das Schweigen um sie her schwoll wieder an, herzklopfend, bedrückend,
Atem raubend. Die Worte waren ihnen versiegt, die Küsse sielen schwer von
ihren Lippen wie zögernde Fragen, aber sie trugen keine Erlösung in sich, kein
Genießen der Gegenwart. Sie wagten es nicht, die Augen von einander ab¬
zuwenden, und wagten mich nicht, ihren Blicken Worte zu leihen, sie verschleierten
sie gleichsam, verbargen sich gleichsam dahinter vor einander, schweigend über
geheimnisvollen Träumen brütend.

Plötzlich ging ein Beben durch seine Umarmung, das erweckte sie, und
die Hände gegen seine Brust stemmend, riß sie sich los.

Geh, Ricks, geh, du darfst nicht hier sein, du darfst nicht, hörst du!

Er wollte sie an sich ziehen, sie aber drängte ihn zurück, wild und bleich.
Sie zitterte am ganzen Leibe und stand da, die Arme von sich gestreckt, als
wagte sie es nicht, sich selber zu berühren.

Ricks wollte knieen und ihre Hand ergreifen.

Du darfst mich nicht anrühren! Es lag Verzweiflung in ihrem Blick.
Warum gehst du nicht, wenn ich dich doch bitte! Mein Gott, kannst du denn
nicht gehen? Nein nein, du sollst nicht reden, verlaß mich jetzt! Kannst du
nicht sehen, wie ich vor dir zittre? Sieh, sieh! O, es ist unrecht von dir,
wie du gegen mich handelst! Und ich bitte dich doch!

Es war ihm unmöglich, ein Wort hervorzubringen, da sie nicht hören wollte.
Sie war ganz außer sich, Thränen entströmten ihren Angen, ihr Antlitz war fast
verzerrt und leuchtete förmlich, so bleich war es. Was sollte er anfangen?


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[0647] Ricks Tyhno. Liebst du den Mondschein? Ach, du weißt nicht, wie grausam er sein kann. So eine mondklare Nacht, wenn die Luft in dem lustigen Lichte erstarrt und die Wolken so langgezogen daliegen, Blumen und Laub halten ihren Duft so fest, als wäre es ein Reich von Wohlgerüchen, der über ihnen liegt, und alle Laute werden so fern und schwinden so plötzlich, weilen nicht; eine solche Nacht ist unbarmherzig, denn die Sehnsucht wird so stark in ihr, sie saugt das Herz mit starken Lippen aus, und da blinkt keine Hoffnung, schlummert keine Verheißung in all der kalten, starren Klarheit. O, wie ich da geweint habe, Tena! Tana, hast du nie so eine mondhelle Nacht durchweint? Geliebte, es wäre ja Unrecht, wenn du weinen wolltest; du sollst nicht weinen. Es soll stets Sonnenschein um dich her sein und Nosenncichte, eine Nosennacht. Sie war ganz hingesunken in seine Umarmung, und den Blick in den seinen verloren, murmelten ihre Lippen süße Liebesworte, halb erstickt von ihrem Atem, und sie wiederholte die Worte, die vorhin gesprochen worden waren, als flüstre sie sie ihrem Herzen zu. Die Stimmen draußen entfernten sich, die Straße hinauf. Dann kehrten sie wieder, taktmäßig unterbrochen von dem kurzen Stoßen eines Stockes, der gegen die Steine schlug, dann entfernten sie sich abermals uach der andern Seite, dann wurden sie schwächer und erstarben endlich. Und das Schweigen um sie her schwoll wieder an, herzklopfend, bedrückend, Atem raubend. Die Worte waren ihnen versiegt, die Küsse sielen schwer von ihren Lippen wie zögernde Fragen, aber sie trugen keine Erlösung in sich, kein Genießen der Gegenwart. Sie wagten es nicht, die Augen von einander ab¬ zuwenden, und wagten mich nicht, ihren Blicken Worte zu leihen, sie verschleierten sie gleichsam, verbargen sich gleichsam dahinter vor einander, schweigend über geheimnisvollen Träumen brütend. Plötzlich ging ein Beben durch seine Umarmung, das erweckte sie, und die Hände gegen seine Brust stemmend, riß sie sich los. Geh, Ricks, geh, du darfst nicht hier sein, du darfst nicht, hörst du! Er wollte sie an sich ziehen, sie aber drängte ihn zurück, wild und bleich. Sie zitterte am ganzen Leibe und stand da, die Arme von sich gestreckt, als wagte sie es nicht, sich selber zu berühren. Ricks wollte knieen und ihre Hand ergreifen. Du darfst mich nicht anrühren! Es lag Verzweiflung in ihrem Blick. Warum gehst du nicht, wenn ich dich doch bitte! Mein Gott, kannst du denn nicht gehen? Nein nein, du sollst nicht reden, verlaß mich jetzt! Kannst du nicht sehen, wie ich vor dir zittre? Sieh, sieh! O, es ist unrecht von dir, wie du gegen mich handelst! Und ich bitte dich doch! Es war ihm unmöglich, ein Wort hervorzubringen, da sie nicht hören wollte. Sie war ganz außer sich, Thränen entströmten ihren Angen, ihr Antlitz war fast verzerrt und leuchtete förmlich, so bleich war es. Was sollte er anfangen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/647>, abgerufen am 28.07.2024.