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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Smaragdinsel.

das Elend der Landbevölkerung und schrieb es der übermäßigen Zunahme des
Weidelandes zu. "Durch die Zunahme des Weidelandes -- sagt er -- ver¬
schlingen die von Natur sanften Schafe Menschen und entvölkern Dörfer und
Städte. Denn wenn ein Edelmann findet, daß er durch Schafzucht mehr Ein¬
nahme erlangen kann, hebt er den Landbau auf, zerstört Häuser und Städte
und umzäunt den Boden für seine Schafe. Die Pächter werden daraus ver¬
trieben, ohne zu wissen, was sie beginnen oder wohin sie gehen sollen. Denn
ein einziger Schäfer kann eine Herde hüten, die eine Strecke Landes zur Er¬
nährung braucht, zu dessen Bestellung viele Hände erforderlich wären."

Der gleiche Vorgang wie in England hat sich auch in Irland abgespielt
und ist soweit fortgesetzt worden, daß Irland, das vorzugsweise auf Ackerbau
angewiesen sein sollte, heute fast nichts als Weideland ist. Die Feudalen haben
sich allmählich der unruhigen Bauern entledigt und das Land derselben mit
Schafen besiedelt. 74 Prozent des gesamten Landes sind anbaufähig. Aber
zwei Drittel dieses anbaufähige" Gebietes sind den Schafen und Rindern über¬
antwortet, und nur ein Neuntel bringt Getreide hervor. Über 10 Mil¬
lionen Acker sind damit für menschliche Arbeit verschlossen. Die großen Land¬
eigentümer freilich haben größere Einnahmen, da sie weniger Arbeitskräfte
zu bezahlen haben und das Getreide bei der großen Einfuhr von außen sich
nur schlecht bezahlt macht. Ob aber eine Volkswirtschaft gesund ist, die zu
Gunsten von ein paar Dutzend Lords mehreren Millionen die Existenzmöglichkeit
abschneidet, ist eine Frage, die jeder sich selbst beantworten mag.

Die bestehende Lage ist jedoch auch nach andern Seiten bedenklich. Gerade
jetzt wird vielfach die Möglichkeit eines feindlichen Angriffs auf England er¬
örtert. Englands ganze Hoffnung beruht auf der Flotte, die sich in einem
keineswegs befriedigenden Zustande befindet. Gesetzt den Fall, daß diese Flotte
geschlagen würde, so wäre England ohne weiteres der Gnade des Siegers
preisgegeben. Die schönste Armee zur Verteidigung Londons wäre nutzlos --
aus Mangel an Nahrungsmitteln. Das vereinigte Königreich bringt infolge
seiner oben beschriebenen Landwirtschaft nicht genug hervor, um seine Be¬
völkerung zu ernähren, und ist in großem Maßstabe von fremder Einfuhr
(Deutschland allein führte 1886 für über 200 Millionen Mark Lebensmittel
ein) abhängig. Sobald eine fremde Macht durch Vernichtung der Flotte die
Zufuhr abschneidet, steht England vor der Hungersnot, die selbst den zcihesten
Feind mürbe macht. Daher die Panik, die dann und wann das englische
Volk bei der Erkenntnis seiner unzulänglichen Verteidignngsmittel überfüllt.

Um aber auf Irland zurückzukommen: das Landvolk steht in sozialer Be¬
ziehung noch auf dem Standpunkte, der in Preußen durch die Stein-Harden-
bergsche Gesetzgebung überwunden wurde. Ein freier Bauernstand ist so gut wie
nicht vorhanden. Man kennt nur Pächter, die Zins bezahlen müssen von einem
Boden, der bei der handelspolitischen Lage nnr geringen oder gar keinen Ge-


Grenzbotcn II. 1883. gg
Die Smaragdinsel.

das Elend der Landbevölkerung und schrieb es der übermäßigen Zunahme des
Weidelandes zu. „Durch die Zunahme des Weidelandes — sagt er — ver¬
schlingen die von Natur sanften Schafe Menschen und entvölkern Dörfer und
Städte. Denn wenn ein Edelmann findet, daß er durch Schafzucht mehr Ein¬
nahme erlangen kann, hebt er den Landbau auf, zerstört Häuser und Städte
und umzäunt den Boden für seine Schafe. Die Pächter werden daraus ver¬
trieben, ohne zu wissen, was sie beginnen oder wohin sie gehen sollen. Denn
ein einziger Schäfer kann eine Herde hüten, die eine Strecke Landes zur Er¬
nährung braucht, zu dessen Bestellung viele Hände erforderlich wären."

Der gleiche Vorgang wie in England hat sich auch in Irland abgespielt
und ist soweit fortgesetzt worden, daß Irland, das vorzugsweise auf Ackerbau
angewiesen sein sollte, heute fast nichts als Weideland ist. Die Feudalen haben
sich allmählich der unruhigen Bauern entledigt und das Land derselben mit
Schafen besiedelt. 74 Prozent des gesamten Landes sind anbaufähig. Aber
zwei Drittel dieses anbaufähige» Gebietes sind den Schafen und Rindern über¬
antwortet, und nur ein Neuntel bringt Getreide hervor. Über 10 Mil¬
lionen Acker sind damit für menschliche Arbeit verschlossen. Die großen Land¬
eigentümer freilich haben größere Einnahmen, da sie weniger Arbeitskräfte
zu bezahlen haben und das Getreide bei der großen Einfuhr von außen sich
nur schlecht bezahlt macht. Ob aber eine Volkswirtschaft gesund ist, die zu
Gunsten von ein paar Dutzend Lords mehreren Millionen die Existenzmöglichkeit
abschneidet, ist eine Frage, die jeder sich selbst beantworten mag.

Die bestehende Lage ist jedoch auch nach andern Seiten bedenklich. Gerade
jetzt wird vielfach die Möglichkeit eines feindlichen Angriffs auf England er¬
örtert. Englands ganze Hoffnung beruht auf der Flotte, die sich in einem
keineswegs befriedigenden Zustande befindet. Gesetzt den Fall, daß diese Flotte
geschlagen würde, so wäre England ohne weiteres der Gnade des Siegers
preisgegeben. Die schönste Armee zur Verteidigung Londons wäre nutzlos —
aus Mangel an Nahrungsmitteln. Das vereinigte Königreich bringt infolge
seiner oben beschriebenen Landwirtschaft nicht genug hervor, um seine Be¬
völkerung zu ernähren, und ist in großem Maßstabe von fremder Einfuhr
(Deutschland allein führte 1886 für über 200 Millionen Mark Lebensmittel
ein) abhängig. Sobald eine fremde Macht durch Vernichtung der Flotte die
Zufuhr abschneidet, steht England vor der Hungersnot, die selbst den zcihesten
Feind mürbe macht. Daher die Panik, die dann und wann das englische
Volk bei der Erkenntnis seiner unzulänglichen Verteidignngsmittel überfüllt.

Um aber auf Irland zurückzukommen: das Landvolk steht in sozialer Be¬
ziehung noch auf dem Standpunkte, der in Preußen durch die Stein-Harden-
bergsche Gesetzgebung überwunden wurde. Ein freier Bauernstand ist so gut wie
nicht vorhanden. Man kennt nur Pächter, die Zins bezahlen müssen von einem
Boden, der bei der handelspolitischen Lage nnr geringen oder gar keinen Ge-


Grenzbotcn II. 1883. gg
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[0641] Die Smaragdinsel. das Elend der Landbevölkerung und schrieb es der übermäßigen Zunahme des Weidelandes zu. „Durch die Zunahme des Weidelandes — sagt er — ver¬ schlingen die von Natur sanften Schafe Menschen und entvölkern Dörfer und Städte. Denn wenn ein Edelmann findet, daß er durch Schafzucht mehr Ein¬ nahme erlangen kann, hebt er den Landbau auf, zerstört Häuser und Städte und umzäunt den Boden für seine Schafe. Die Pächter werden daraus ver¬ trieben, ohne zu wissen, was sie beginnen oder wohin sie gehen sollen. Denn ein einziger Schäfer kann eine Herde hüten, die eine Strecke Landes zur Er¬ nährung braucht, zu dessen Bestellung viele Hände erforderlich wären." Der gleiche Vorgang wie in England hat sich auch in Irland abgespielt und ist soweit fortgesetzt worden, daß Irland, das vorzugsweise auf Ackerbau angewiesen sein sollte, heute fast nichts als Weideland ist. Die Feudalen haben sich allmählich der unruhigen Bauern entledigt und das Land derselben mit Schafen besiedelt. 74 Prozent des gesamten Landes sind anbaufähig. Aber zwei Drittel dieses anbaufähige» Gebietes sind den Schafen und Rindern über¬ antwortet, und nur ein Neuntel bringt Getreide hervor. Über 10 Mil¬ lionen Acker sind damit für menschliche Arbeit verschlossen. Die großen Land¬ eigentümer freilich haben größere Einnahmen, da sie weniger Arbeitskräfte zu bezahlen haben und das Getreide bei der großen Einfuhr von außen sich nur schlecht bezahlt macht. Ob aber eine Volkswirtschaft gesund ist, die zu Gunsten von ein paar Dutzend Lords mehreren Millionen die Existenzmöglichkeit abschneidet, ist eine Frage, die jeder sich selbst beantworten mag. Die bestehende Lage ist jedoch auch nach andern Seiten bedenklich. Gerade jetzt wird vielfach die Möglichkeit eines feindlichen Angriffs auf England er¬ örtert. Englands ganze Hoffnung beruht auf der Flotte, die sich in einem keineswegs befriedigenden Zustande befindet. Gesetzt den Fall, daß diese Flotte geschlagen würde, so wäre England ohne weiteres der Gnade des Siegers preisgegeben. Die schönste Armee zur Verteidigung Londons wäre nutzlos — aus Mangel an Nahrungsmitteln. Das vereinigte Königreich bringt infolge seiner oben beschriebenen Landwirtschaft nicht genug hervor, um seine Be¬ völkerung zu ernähren, und ist in großem Maßstabe von fremder Einfuhr (Deutschland allein führte 1886 für über 200 Millionen Mark Lebensmittel ein) abhängig. Sobald eine fremde Macht durch Vernichtung der Flotte die Zufuhr abschneidet, steht England vor der Hungersnot, die selbst den zcihesten Feind mürbe macht. Daher die Panik, die dann und wann das englische Volk bei der Erkenntnis seiner unzulänglichen Verteidignngsmittel überfüllt. Um aber auf Irland zurückzukommen: das Landvolk steht in sozialer Be¬ ziehung noch auf dem Standpunkte, der in Preußen durch die Stein-Harden- bergsche Gesetzgebung überwunden wurde. Ein freier Bauernstand ist so gut wie nicht vorhanden. Man kennt nur Pächter, die Zins bezahlen müssen von einem Boden, der bei der handelspolitischen Lage nnr geringen oder gar keinen Ge- Grenzbotcn II. 1883. gg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/641>, abgerufen am 28.07.2024.