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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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seine Gedichte. Es sind nicht Übertragungen orientalischer Poesie, sondern poe¬
tische Erlebnisse originaler Art im Orient. Ein junges Herz, einen empfäng¬
lichen Sinn, ein reines Gemüt, einen unterrichteten Geist brachte der Dichter
mit, und seine vornehme Kunst hat das sonnige Gold, das über jenen reich¬
gesegneten Fluren lagert, den sehnsuchtsvollen Mondenglanz, der die Nacht am
Bosporus magisch erhellt, in deutsche Verse gefaßt. Wir werden in eine ganz
eigne Welt versetzt. Wir wagen mit dem verliebten Dichter gefährliche Stell¬
dicheins mit einer verschleierten Haremsschönheit im nächtlichen Dunkel eines
schönen Gartens. Wir schwärmen berauscht mit ihm beim Girren der Turtel¬
tauben, beim Gesänge der Nachtigall. Wir sitzen mit ihm am Strande des
Bosporus, zählen die dahinfließenden Wellen und harren sehnsüchtig des Nachens,
der von Asiens Küste die Schöne herüberbringen soll. Oder der Dichter ge¬
denkt des klassischen geschichtlichen Bodens, auf dem er sich bewegt. Sein eignes
Schicksal vergleicht er der Argo, die den ahnungslosen Jason mit der schwarz
brütenden Medea führte. Auf den Prinzeninseln erfaßt ihn der tragische Gegensatz
zwischen Natur und Geschichte. Ewig golden leuchtet die Sonne, Frieden ver¬
kündet die paradiesische Landschaft, aber die Menschen, die Menschen! Die Ver¬
gänglichkeit, das ewig alte Weib, setzt sich dem Dichter zur Seite, der in die
Schönheit der Ruinen und des mit breiten Blättern sie umrankenden Feigen¬
baumes versunken ist. Sie erzählt ihm von den gekrönten Giftmischern und
Augenblendern des Kaiserreichs Byzanz, ihn schauderts, denn diese Ruinen bargen
die Verbrechen:

O laß mich ihrer nie gedenken!
Im Purpur der verruchten Brut,
Bemühe dies Paradies zu tränken
Mit Geifer, Thränen, Gift und Blut.
Daß Sturm die letzte Schrift vernichte,
Die ihrer Greuel Schande schreibt!
Daß nie der Mensch aus der Geschichte
Erfahre, was die Menschheit treibt!

ruft der Dichter aus, freilich recht im Gegensatze zu dem Geschmacke seiner Zeit,
die nicht genug davon erfahren kann, und er flüchtet wieder zur schönen Natur
zurück, denn sie allein ist das Licht, der Friede. Man könnte Foy beinahe als
Sonnenanbeter bezeichnen, so oft kehrt bei ihm der Preis der Sonne wieder.
Aber ebensogut könnte man auch ein klassisches Bekenntnis aus seinen Liedern
herauslesen, denn ebenso begeistert preist er die Schönheit der reinen Form,
zumal des Weibes. Überhaupt ist es merkwürdig, wie er sich zu der orien¬
talischen Welt gestellt hat. Er ist immer Deutscher und sogar auch Christ im
eigentlichen Sinne geblieben, er hat sich sehr davor gehütet, unter Orientalen
ein Orientale zu werden und etwa im Geschmacke Mirza Schaffys zu reimen.
Er ist ein Mann von hohen Gefühlen, er bewegt sich ebenso leicht in erhabenen


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seine Gedichte. Es sind nicht Übertragungen orientalischer Poesie, sondern poe¬
tische Erlebnisse originaler Art im Orient. Ein junges Herz, einen empfäng¬
lichen Sinn, ein reines Gemüt, einen unterrichteten Geist brachte der Dichter
mit, und seine vornehme Kunst hat das sonnige Gold, das über jenen reich¬
gesegneten Fluren lagert, den sehnsuchtsvollen Mondenglanz, der die Nacht am
Bosporus magisch erhellt, in deutsche Verse gefaßt. Wir werden in eine ganz
eigne Welt versetzt. Wir wagen mit dem verliebten Dichter gefährliche Stell¬
dicheins mit einer verschleierten Haremsschönheit im nächtlichen Dunkel eines
schönen Gartens. Wir schwärmen berauscht mit ihm beim Girren der Turtel¬
tauben, beim Gesänge der Nachtigall. Wir sitzen mit ihm am Strande des
Bosporus, zählen die dahinfließenden Wellen und harren sehnsüchtig des Nachens,
der von Asiens Küste die Schöne herüberbringen soll. Oder der Dichter ge¬
denkt des klassischen geschichtlichen Bodens, auf dem er sich bewegt. Sein eignes
Schicksal vergleicht er der Argo, die den ahnungslosen Jason mit der schwarz
brütenden Medea führte. Auf den Prinzeninseln erfaßt ihn der tragische Gegensatz
zwischen Natur und Geschichte. Ewig golden leuchtet die Sonne, Frieden ver¬
kündet die paradiesische Landschaft, aber die Menschen, die Menschen! Die Ver¬
gänglichkeit, das ewig alte Weib, setzt sich dem Dichter zur Seite, der in die
Schönheit der Ruinen und des mit breiten Blättern sie umrankenden Feigen¬
baumes versunken ist. Sie erzählt ihm von den gekrönten Giftmischern und
Augenblendern des Kaiserreichs Byzanz, ihn schauderts, denn diese Ruinen bargen
die Verbrechen:

O laß mich ihrer nie gedenken!
Im Purpur der verruchten Brut,
Bemühe dies Paradies zu tränken
Mit Geifer, Thränen, Gift und Blut.
Daß Sturm die letzte Schrift vernichte,
Die ihrer Greuel Schande schreibt!
Daß nie der Mensch aus der Geschichte
Erfahre, was die Menschheit treibt!

ruft der Dichter aus, freilich recht im Gegensatze zu dem Geschmacke seiner Zeit,
die nicht genug davon erfahren kann, und er flüchtet wieder zur schönen Natur
zurück, denn sie allein ist das Licht, der Friede. Man könnte Foy beinahe als
Sonnenanbeter bezeichnen, so oft kehrt bei ihm der Preis der Sonne wieder.
Aber ebensogut könnte man auch ein klassisches Bekenntnis aus seinen Liedern
herauslesen, denn ebenso begeistert preist er die Schönheit der reinen Form,
zumal des Weibes. Überhaupt ist es merkwürdig, wie er sich zu der orien¬
talischen Welt gestellt hat. Er ist immer Deutscher und sogar auch Christ im
eigentlichen Sinne geblieben, er hat sich sehr davor gehütet, unter Orientalen
ein Orientale zu werden und etwa im Geschmacke Mirza Schaffys zu reimen.
Er ist ein Mann von hohen Gefühlen, er bewegt sich ebenso leicht in erhabenen


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[0634] Neue Lyrik. Z seine Gedichte. Es sind nicht Übertragungen orientalischer Poesie, sondern poe¬ tische Erlebnisse originaler Art im Orient. Ein junges Herz, einen empfäng¬ lichen Sinn, ein reines Gemüt, einen unterrichteten Geist brachte der Dichter mit, und seine vornehme Kunst hat das sonnige Gold, das über jenen reich¬ gesegneten Fluren lagert, den sehnsuchtsvollen Mondenglanz, der die Nacht am Bosporus magisch erhellt, in deutsche Verse gefaßt. Wir werden in eine ganz eigne Welt versetzt. Wir wagen mit dem verliebten Dichter gefährliche Stell¬ dicheins mit einer verschleierten Haremsschönheit im nächtlichen Dunkel eines schönen Gartens. Wir schwärmen berauscht mit ihm beim Girren der Turtel¬ tauben, beim Gesänge der Nachtigall. Wir sitzen mit ihm am Strande des Bosporus, zählen die dahinfließenden Wellen und harren sehnsüchtig des Nachens, der von Asiens Küste die Schöne herüberbringen soll. Oder der Dichter ge¬ denkt des klassischen geschichtlichen Bodens, auf dem er sich bewegt. Sein eignes Schicksal vergleicht er der Argo, die den ahnungslosen Jason mit der schwarz brütenden Medea führte. Auf den Prinzeninseln erfaßt ihn der tragische Gegensatz zwischen Natur und Geschichte. Ewig golden leuchtet die Sonne, Frieden ver¬ kündet die paradiesische Landschaft, aber die Menschen, die Menschen! Die Ver¬ gänglichkeit, das ewig alte Weib, setzt sich dem Dichter zur Seite, der in die Schönheit der Ruinen und des mit breiten Blättern sie umrankenden Feigen¬ baumes versunken ist. Sie erzählt ihm von den gekrönten Giftmischern und Augenblendern des Kaiserreichs Byzanz, ihn schauderts, denn diese Ruinen bargen die Verbrechen: O laß mich ihrer nie gedenken! Im Purpur der verruchten Brut, Bemühe dies Paradies zu tränken Mit Geifer, Thränen, Gift und Blut. Daß Sturm die letzte Schrift vernichte, Die ihrer Greuel Schande schreibt! Daß nie der Mensch aus der Geschichte Erfahre, was die Menschheit treibt! ruft der Dichter aus, freilich recht im Gegensatze zu dem Geschmacke seiner Zeit, die nicht genug davon erfahren kann, und er flüchtet wieder zur schönen Natur zurück, denn sie allein ist das Licht, der Friede. Man könnte Foy beinahe als Sonnenanbeter bezeichnen, so oft kehrt bei ihm der Preis der Sonne wieder. Aber ebensogut könnte man auch ein klassisches Bekenntnis aus seinen Liedern herauslesen, denn ebenso begeistert preist er die Schönheit der reinen Form, zumal des Weibes. Überhaupt ist es merkwürdig, wie er sich zu der orien¬ talischen Welt gestellt hat. Er ist immer Deutscher und sogar auch Christ im eigentlichen Sinne geblieben, er hat sich sehr davor gehütet, unter Orientalen ein Orientale zu werden und etwa im Geschmacke Mirza Schaffys zu reimen. Er ist ein Mann von hohen Gefühlen, er bewegt sich ebenso leicht in erhabenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/634>, abgerufen am 01.09.2024.